Das Vertrauen des Bundeskanzlers in E-Voting ist unerheblich

Bundeskanzler Walter Thurnherr hat nach eigener Aussage mehr Vertrauen ins E-Voting als in jedes andere System, das er auf seinem Computer verwendet. Dagegen ist nichts einzuwenden. Schliesslich gibt ihm die Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Artikel 15 unserer Bundesverfassung das Recht, zu glauben, was immer er mag. Und wie es in der Präambel so schön heisst, ist nur frei, wer seine Freiheit gebraucht. Nur: Was unser oberster Beamter im Zusammenhang mit E-Voting glaubt oder nicht, ist vollkommen unerheblich. Wichtig ist nur das Vertrauen des Souveräns.

E-Voting teilt die Gesellschaft in zwei Lager: Die Einen glauben den Resultaten und vertrauen den Systemen, die Anderen verstehen die dahinterliegenden Algorithmen. Das dürfte in der Schweiz bei rund zwei Dutzend Personen der Fall sein. Nun haben die Bürgerinnen und Bürger aber ein verfassungsmässiges Recht auf klare und richtige Wahl- und Stimmresultate. Und nur wenn dies garantiert ist, kann von der Minderheit verlangt werden, dass sie sich der Mehrheit fügt. Selbst eine nur behauptete Unregelmässigkeit, die höchstens von den Spezialisten überprüft werden könnte, genügt, um das Vertrauen in das Resultat zu untergraben. Der Samen zur Zersetzung unserer direkten Demokratie wäre damit gesetzt. Erst vor einigen Jahren musste im Kanton Bern die Abstimmung über die Senkung der Motorfahrzeugsteuern wiederholt werden, weil die – straflos gebliebene! – Vernichtung der Stimmzettel durch einige Gemeinden eine Nachzählung verunmöglicht hatte. Wie viel einfacher wird es sein, Computerprobleme als Grund für eine Abstimmungswiederholung anzuführen?

Leider haben Heidi Gmür und Erich Aschwanden ihre Hausaufgaben nur ungenügend gemacht. Andernfalls hätten sie Bundeskanzler Turnherr mit dem Essay „E-Voting – Das Ende der Demokratie“ von Dipl. El.-Ing. ETH René Droz konfrontiert, der 10 Jahre lang das militärische Computer Emergency Response Team in der Führungsunterstützung im VBS leitete. Er verfügt über 28 weitere Jahre Berufserfahrung in Industrie und Verwaltung in den Bereichen Netzwerktechnik und IT Sicherheit. Der Mann führt detailliert und überzeugend aus, wie wir uns mit E-Voting ein Kuckucksei ins Netz legen.

Deutschland zum Vorbild

Leider liessen die beiden Interviewer Turnherr mit der Aussage davonkommen, er wisse nicht was mit der in der Parl. Initiative meines Ratskollegen Balthasar Glätti erhobenen Forderung, Verfahren zur Ermittlung von Wahl- und Abstimmungsergebnissen müssten von den Stimm- und Wahlberechtigten ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können, gemeint sei. Diese Formulierung, die sich – übrigens mit Quellenangabe – auch in meiner Interpellation an den Bundesrat findet, stammt nämlich vom deutschen Bundesverfassungsgericht, das am 3. März 2009 die Verwendung elektronischer Wahlgeräte als nicht verfassungskonform untersagte. Das weiss Herr Turnherr natürlich genau. Und er weiss aus, dass sich Norwegen (2014), Frankreich (2017) und Finnland (2017) gegen die Einführung von E-Voting aussprachen.

Zu Recht konstatieren die NZZ-Fragesteller, dass man von den Befürwortern kaum mehr etwas hört. Woher die Zurückhaltung komme, vermag der Kanzler allerdings nicht zu erklären. Dazu müsse man die Frage jenen selbst stellen. Doch genau das haben Gmür und Aschwanden gemacht. Walter Turnherr ist der richtige Adressat für diese Frage, denn auf Bundesebene und in den Kantonen sind die Verwaltung und ihr nahestehende Organisationen die treibende Kraft hinter E-Voting. Es ist wie immer: Wenn die Beamten wollen, kommt alles ins Rollen, und wenn die Verwaltung (nicht) will, steht alles still. Es braucht darum den längst überfälligen politischen Grundsatzentscheid: „Halt, Übung abbrechen!“