Ein Verfassungsgericht widerspricht dem Wesen der schweizerischen Demokratie

Als Reaktion auf diese Medienmitteilung des Zürcher Regierungsrats verlas ich am 6. Juni 2011 im Kantonsrat diese vom mir verfasste Fraktionserklärung:

Es ist noch nicht einmal ein ganzer Monat her, seit unsere sieben Regierungsräte hier in diesem Saal feierlich gelobten, „die Rechte der Menschen und des Volkes zu schützen“. Eines dieser Rechte ist in Artikel 190 unserer Bundesverfassung verbrieft. Das Volk, das hierzulande der Souverän ist, behält sich in dieser Bestimmung aus¬drücklich das Recht vor, als Verfassungsgeber selber über die Einhaltung seiner Verfassung zu wachen. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit durch ein politisch zusammengesetztes Richtergremium wird damit weitgehend ausgeschlossen.

Geht es nach dem Willen der Zürcher Regierung, soll dem Schweizer und dem Zürcher Volk dieses Recht entzogen werden. Nach einem am vergangenen Freitag kommunizierten Regierungsratsbeschluss soll Artikel 190 BV aufgehoben werden. Nicht mehr das Volk, sondern Richter sollen das letzte Wort haben. Die Zürcher Regierung schützt also nicht, wie versprochen, die Rechte des Volkes – sie will sie ihm entziehen, weil sie einer Handvoll Funktionären mehr vertraut als den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern. Das gleiche Volk, von dem man sich wählen und bezahlen lässt, soll also seiner wichtigsten Kompetenz beraubt werden. Hätten die Regierungsräte einen Eid und nicht nur ein Gelübde geleistet, man müsste sie heute mit Fug und Recht als meineidig bezeichnen. Es mag nun jeder für sich selbst entscheiden, ob es ein Trost ist, dass sie bloss wortbrüchig sind.

Dieser Frontalangriff auf die direkte Demokratie ist selbstverständlich politisch motiviert: Der Abbau von Beitrittshürden ist das erklärte Ziel der Befürworter eines EU-Beitritts der Schweiz, und unsere direkte Demokratie ist nun einmal das grösste Hindernis auf dem Weg in die EU. Darum soll sie beseitigt werden.

Im noch nicht lange zurückliegenden Wahlkampf war der EU-Beitritt kein Thema. Und kein Kandidat liess eine grundsätzliche Demokratie-Skepsis erkennen. Umso ange¬brachter wäre es, dass der Regierungsrat wenigstens jetzt offen und ehrlich über seine wahren Absichten informiert. Leider verheisst der erwähnte Regierungsratsbe¬schluss in dieser Hinsicht nichts Gutes: Allen Ernstes wird darin die Forderung nach der Schaffung eines Verfassungsgerichts mit der Stärkung des Föderalismus begrün¬det. Das ist abwegig, jedem Kind leuchtet ein, dass jedes Gericht von seinem Wesen her der Zentralisierung Vorschub leistet, hat es doch für die einheitliche Anwendung des Rechts zu sorgen.

Offenbar ist dem Regierungsrat die Absurdität seiner Argumentation bewusst. Doch anstatt sich auf seine Verpflichtungen und Versprechen gegenüber der Zürcher Bevölkerung zu besinnen, flüchtet er sich in eine groteske Logik. So schreibt er beispielsweise, bei einer weiteren Vertiefung der Beziehungen zur EU seien inner¬staatliche Reformen zur Festigung der föderalistischen und demokratischen Staats¬organisation unerlässlich. – Pardon? Das Gegenteil ist richtig: EU und Demokratie und Föderalismus passen nicht zusammen. Sie sind inkompatibel. Wer für Födera¬lismus und Demokratie ist, kann nicht für einen EU-Beitritt sein. Und wer in die EU will, muss Demokratie und Föderalismus abbauen, nicht stärken. Das weiss auch der Zürcher Regierungsrat, der endlich aufhören soll, das Zürcher Volk und dieses Parlament für dumm zu verkaufen.

2 Gedanken zu „Ein Verfassungsgericht widerspricht dem Wesen der schweizerischen Demokratie“

  1. Es gibt Oligarchien, Theokratien, Diktaturen und Demokratien wie die Schweiz bisher eine war. Und nun soll die Schweiz zur Juristokratie, zum Richterstaat, werden ? Nein Danke ! Wenn ich an die undemokratisch verquere Denke eines ehem. Bundesrichters namens G. Nay denke, dann gute Nacht wenn solche Leute das Sagen hätten. Ausserdem korrigiert ein Gericht die Urteile des anderen und nach einiger Zeit sogar seine eigenen. Von Konstanz, von „rotem Faden“ keine Spur. Das brauchen wir nicht in so wichtigen Dingen wie es Verfassungsfragen sind !!

  2. Herr Zanetti muss wohl in Sachen Juristerei auch ein Fall Guttenberg sein. «Das Volk» kann gar nicht über die Verfassung wachen, weil «das Volk» kein rationales Subjekt ist. Aus Bauchentscheiden wie beim Minarettverbot lugt eben manchmal ein Widerspruch hervor. Wenn die Politiker so dumm sind, überhaupt die Möglichkeit eines Widerspruchs zuzulassen, braucht es eben Richter, die solche Entscheide rational bewerten. Ohne Rationalität ist ein Staatswesen eine Diktatur – wie beim Alkoholiker, der das Hirn abgeschaltet hat und nur noch für seine Sucht lebt.

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