Der Populist und die Raser

Es war in den vergangenen Tagen häufig von Grund- und Menschenrechten die Rede. Für den Juristen, ehemaligen Zürcher Justizdirektor und heutigen Bundesrat Moritz Leuenberger scheinen diese nur fallweise – also willkürlich – zu gelten. In seiner Raserei in den Medien gegen die Raserei auf den Strassen wirft er Grundsätze unseres freiheitlichen Rechtstaats gleich haufenweise über Bord. Seit dem letzten tragischen Raserunfall lässt er kaum eine Gelegenheit aus, um gegen Raser zu wettern und sie als „kriminelle Asoziale“ zu brandmarken. (Nur zur Erinnerung: Christoph Blocher ist vor einigen Jahren medial gesteinigt worden, nur weil er im Zusammenhang mit zwei von der Interpol gesuchten Kriminellen das Wort „mutmasslich“ nicht verwendet hatte.)

Dass sich Bundesrat Leuenberger über Raser ärgert, ist verständlich und nachvollziehbar, handelt es sich bei dieser – sehr kleinen – Personengruppe doch tatsächlich um üble Zeitgenossen. Richtig ist auch seine Forderung, die rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um dem Problem Herr zu werden. Ob er mit Blick auf das Täterprofil auch an nahe liegende Massnahmen im Ausländerrecht denkt, ist allerdings unwahrscheinlich.

Flagrante Verletzung der Gewaltentrennung

Problematisch wird es dann, wenn ein Bundesrat eine im Strudel öffentlicher Empörung angekündigte Volksinitiative begrüsst, obwohl deren Text noch nicht einmal bestimmt und selbst der Inhalt noch völlig unklar ist. Ist die Stellungnahme zu Volksbegehren nicht Sache des Gesamtbundesrats? Und verletzt ein Mitglied der Landesregierung, das sich ohne Rücksprache mit seinen Kollegen öffentlich so vernehmen lässt, nicht das Kollegialitätsprinzip? Und wäre es nicht besser der betreffende Magistrat würde sich im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren einbringen, anstatt die Anstrengungen Dritter zu beklatschen?

Nicht mehr hinnehmbar wird es dann, wenn sich ein Bundesrat in populistischem Eifer daran macht, den Gerichten vorzuschreiben, wie sie ihren verfassungsmässigen Auftrag zu erfüllen haben. Ein Urteil zu kritisieren, ist das eine. Das gehört sogar zu unserem System von „Checks and Balances“. Wenn aber postuliert wird, es sei – nur weil sich dadurch das Strafmass erhöht – in Raser-Fällen generell von Eventualvorsatz auszugehen, haben wir es mit einer unzulässigen Einmischung in die Kernaufgabe der Justiz zu tun. Die Unterscheidung zwischen Fahrlässigkeit und Eventualvorsatz mag zwar im konkreten Fall häufig sehr schwierig sein, dennoch ist sie sinnvoll und nötig. Und sie vorzunehmen, ist Sache der Gerichte und nicht des Verkehrsministers. Abgesehen davon, ist in einem Rechtsstaat im Zweifel zu Gunsten des Beschuldigten zu entscheiden.

Strafrecht ist Freiheitsrecht

Besonders gefährlich ist schliesslich Herr Leuenbergers Ruf nach „konsequenter und abschreckender Fantasie“ der Richter. Wer so redet, missachtet über 2000 Jahre europäischer Rechts- und Geistesgeschichte. Schon für die Römer galt, dass keine Strafe ausgesprochen werden darf, wenn dies nicht auf Grundlage eines klaren Gesetzes geschieht. Strafrecht ist seinem Wesen nach nämlich Freiheitsrecht. Es bestimmt und regelt klar, unter welchen Umständen der Staat in geschützte Freiheitsrechte seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen darf. Es verfolgt gerade nicht den Zweck, es den Verfolgungsbehörden und der Justiz möglichst einfach zu machen, Leute einzusperren. Vermutlich ist Sozialdemokrat Leuenberger noch der sowjetischen Tradition verhaftet, in der fantasievolle Richter unter Berufung auf den berüchtigten § 58 („konterrevolutionäre Tätigkeiten“ und „antisowjetische Agitation“) möglich war, alles und jeden mit Zwangsarbeit im Gulag zu bestrafen.

Soll gegenüber Rasern bald auch das Folterverbot fallen? Die Forderung Moritz Leuenbergers, Raser in Verwahrung zu nehmen, deutet jedenfalls in diese Richtung. Und bestimmt denkt er nicht an die Art von Verwahrung, die damals herrschte, als er in Zürich Justizdirektor war und für ein grosszügiges Urlaubsregime verantwortlich zeichnete.

Erschienen im Tages-Anzeiger vom 12. Dezember 2008

 

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Ein Gedanke zu „Der Populist und die Raser“

  1. Ein bewusst Rasender- und auch kürzlich Diejenigen, die im Blick über Tage sich auslassen konnten, brauchen härteste Gangart gegen sich und Entzug auch von Ausweis. Es ist natürlich auch bedenklich, dass der Blick (Boulevardblatt) Seitenlange über Raser berichtete und diese sogar zu Worte kommen liess. Warum? Weil es Nachahmer geben dürfte, die auf diese Art vielleicht auch einmal in die Zeitung kommen möchten? Wohl für immer, bräuchten Raser Distanz von der Strasse. Aber wie will man dies machen. Nun aber ALLE, in denselben Topf zu werfen, die vielleicht einmal 100 Meter zu schnell fahren – und sonst – üblich, ist leider bei härtesten Massnahmen und bei unseren Politikern jeweils die Folge, dass dies auch Chance zu „unfairness“ bieten könnte? Wenn dann noch die Beamten – eigenes Fortkommen – riechen, dann wird es natürlich noch schwieriger und Ihre zum Teil unglaublichen Ideen wie „Businseln“ mitten in viel befahrene Strassen – wie z.B. die Höglerstrasse in Dübendorf… planten.

    Aber eines ist sicher, Raser gehören nicht auf die Strasse. Das aber Leuenberger – nicht mehr der Richtige dazu ist – „Lösungen“ anzugehen, zeigt er seit er Bundesrat ist. Leider. Zürich wurde nie mehr so schlecht vertreten, wie gerade von diesem Moritz Leuenberger, der sogar noch in Zürich wohnt. Und wie Herr Zanetti es im Schlusswort beschreibt – als Zürichs Justizdirektor – tatsächlich verantwortlich für ein grosszügiges Urlaubsregime verantwortlich gezeichnet hätte – aber zuvor leider bereits in die Nibelungen des Bundesrates – entschwand. Nun- 100 Jährig wird auch ein Leuenberger in diesem Amte – nicht mehr. Und dies.., dies lässt mich hoffen!

    „ThinkAbout.“

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