Meine Grussbotschaft an die Ahmadiyya Muslim Jamaat

Nuur-Moschee, Wigoltingen TG, 19. November 2015

Herr Präsident,
Herr Imam,
geschätzte Damen und Herren

Ich will Ihnen gestehen, dass es mir nach den fürchterlichen Anschlägen von Paris, deren Urheber sich – zurecht oder nicht – auf den Islam berufen, nicht ganz leicht gefallen ist, den Weg zu Ihnen nach Wigoltingen unter die Füsse zu nehmen.

Nun betrachte ich aber den Imam der Mahmud Moschee in Zürich, Herrn Sadaqat Ahmed als Freund, und da ich ihm bereits vor Wochen zugesagt habe, bin ich auch gekommen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich bei Ihnen sein darf: 2013 feierten wir gemeinsam das 50jährige Bestehen der bereits erwähnten Mahmud Moschee beim Balgrist in Zürich. Ich habe diese Feier in bester Erinnerung. Meine Frau und ich wurden von Ihnen sehr freundlich empfangen, und wir fühlten uns wohl bei Ihnen.

Manche von Ihnen erinnern sich vielleicht an meine kurze Grussbotschaft. Ich zitierte Karl Hediger, den Sohn des Schneidermeister Hediger, der sich in Gottfried Kellers „Fähnlein der sieben Aufrechten“ an die in Aarau versammelte Schützengesellschaft wandte. Prägendes Thema seines Referat war „Einheit in der Vielfalt“, oder umgekehrt „Vielfalt in der Einheit“.

Dieser Gedanke, oder vielmehr: dieses Konzept, liegt auch dem Motto unserer Schweizerischen Eidgenossenschaft zugrunde: „Einer für alle. Alle für einen.“ – Dieser Wahlspruch ziert auch die Bundeshauskuppel in Bern, allerdings auf lateinisch: Unus pro omnibus. Omnes pro uno.

Im Gegensatz zu unserem nördlichen Nachbarland haben und brauchen wir in der Schweiz kein Staatsoberhaupt, das uns sagt, was zu uns gehört. Die Schweiz ist eine besondere Idee des Zusammenlebens. Wir wollen die Vielfalt. Ja, wir suchen sie und kämpfen dafür. Aber wir wollen auch die Einheit. Wir wollen diesen Staat, der unsere Freiheit schützt. Und jeder von uns ist gefordert, dazu seinen Beitrag zu leisten.

Es ist unbestreitbar, dass weitaus die meisten Muslime hier in der Schweiz nichts anderes wollen, als in Frieden leben und gute Staatbürger sein. Zu Recht erwarten diese Menschen, dass Sie vom Staat bei der Ausübung Ihrer Religion in Ruhe gelassen werden.

Es ist verständlich, dass diese Menschen, zu denen ich Ihre Gemeinschaft zähle, nicht mit Terroristen, die vor keiner Gewalttat zurückschrecken und den Tod unzähliger Unschuldiger nicht nur in Kauf nehmen, sondern bewusst suchen, in den gleichen Topf geworfen werden wollen.

Damit dies nicht geschieht, sehr verehrte Damen und Herren, sind aber auch – ja: vor allem – Sie gefordert. Sie müssen unmissverständlich klar machen, dass Sie anders sind, dass Sie wirklich „Liebe und Frieden für alle und Hass für keinen“ wollen. Diese Arbeit lässt sich nicht mit Communiqués und einigen Worten der Distanzierungen nach einem Anschlag erledigen. Es braucht mehr. Viel mehr. Und zwar dauerhaft.

Mit dem Vorwurf konfrontiert, im Umfeld der An’Nur-Moschee in Winterthur gebe es ein Netzwerk einer IS-Zelle, wusste der Präsident des betreffenden islamischen Vereins in Winterthur nichts Besseres zu sagen, als, man sei lediglich für die 700 Quadratmeter der Moschee zuständig und könne nicht kontrollieren, was ausserhalb passiere.

Der Mann macht es sich so einfach, dass an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln ist. Selbstverständlich kann niemand in die Seele eines anderen Menschen schauen. Und selbstverständlich ist Eigenverantwortung eine der tragenden Säulen unserer Gesellschaft. Aber steht in der Religion nicht die Seele der Menschen im Zentrum? Will der Iman, wenn er am Freitag predigt, nicht die Seelen seiner Zuhörer berühren? Und ist es nicht unsere Seele, die darüber bestimmt, ob wir gute oder böse Menschen sind?

Gefragt sind nun nicht in erster Linie PR-Massnahmen nach aussen. Ich begrüsse zwar Ihre diesbezüglichen Anstrengungen, das Schaffen von Transparenz, den Dialog mit anderen Religionen oder die Öffnung Ihrer Moscheen ausdrücklich, doch das reicht nicht. Es braucht auch Aufklärung nach innen. Die Menschen, die aus fremden Kulturkreisen, vielleicht gar aus Diktaturen oder totalitär regierten Staaten hierherkommen, müssen mit den Vorzügen einer offenen und demokratischen Gesellschaft vertraut gemacht werden. Denn – und das sage ich mit Nachdruck! – unsere freiheitliche Rechtsordnung, die auf den Prinzipien der Aufklärung aufbaut, steht nicht zur Disposition. Sie gilt es mit allen Mitteln zu verteidigen, und Sie alle sind dazu aufgerufen, die Toleranz vor der Intoleranz zu schützen.

Und mit diesem Stichwort komme ich zum Schluss: Toleranz. Wer sich mit Religionen und Toleranz auseinandersetzt, wird bald einmal auf die Ringparabel in Lessings „Nathan der Weise“ stossen. Zu Recht gilt diese als ein Schlüsseltext der Aufklärung und als pointierte Formulierung der Toleranzidee:

Ein Mann besitzt ein wertvolles Familienerbstück, einen Ring, der die Eigenschaft hat, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn der Besitzer ihn „in dieser Zuversicht“ trägt. Dieser Ring wurde über viele Generationen vom Vater an jenen Sohn vererbt, den er am meisten liebte. Doch eines Tages tritt der Fall ein, dass ein Vater drei Söhne hat und keinen von ihnen bevorzugen will. Deshalb lässt er sich von einem Künstler exakte Duplikate des Ringes herstellen, vererbt jedem seiner Söhne einen der Ringe und versichert jedem, sein Ring sei der echte.

Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter aber ist ausserstande, dies zu ermitteln. Der Richter gibt den Söhnen den Rat, jeder von ihnen solle daran glauben, dass sein Ring der echte sei. Ihr Vater habe alle drei gleich gern gehabt und es deshalb nicht ertragen können, einen von ihnen zu begünstigen und die beiden anderen zu kränken, so wie es die Tradition eigentlich erfordert hätte. Wenn einer der Ringe der echte sei, dann werde sich dies in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen. Jeder Ringträger solle sich also bemühen, diese Wirkung für sich herbeizuführen.

Etwas salopp könnte man sagen, jede Religion müsse durch fleissiges Polieren dafür sorgen, dass ihr Ring am schönsten glänzt.

Geschätzte Damen und Herren, seit über 50 Jahren in Zürich und seit nun zehn Jahren hier in Wigoltingen, ist Ihre Bewegung daran, dem Ring, von dem Nathan spricht, seine Bedeutung wiederzugeben. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg und fordere Sie auf, in Ihren Anstrengungen nicht nachzulassen. Bleiben Sie ein Hort des Friedens!

5 Gedanken zu „Meine Grussbotschaft an die Ahmadiyya Muslim Jamaat“

  1. So ist es: „Denn – und das sage ich mit Nachdruck! – unsere freiheitliche Rechtsordnung, die auf den Prinzipien der Aufklärung aufbaut, steht nicht zur Disposition. Sie gilt es mit allen Mitteln zu verteidigen, und Sie alle sind dazu aufgerufen, die Toleranz vor der Intoleranz zu schützen.“

  2. Danke für die Botschaft, Es ist äusserst wichtig, dass wir uns für den Frieden vereinen und zusammen arbeiten.
    „Liebe für Alle, Hass für Keinen“

  3. Herzlichen Dank für Ihre Grussbotschaft. Ahmadiyya Muslim Jamaat ist die Reformbewegung innerhalb des Islams, die nicht nur für Frieden spricht, sondern sich aktiv einsetzt, Frieden und Harmonie in die Gesellschaft zu bringen. Sie präsentiert einen friedlichen Islam und lehnt jegliche Art von Gewalt ab. Ihr Motto ist ,, Liebe für alle, Hass für keinen.

    Ich schätze die Worte von Herrn Zanetti und gratuliere ihm für die wunderschöne Grussbotschaft während 10-jähriges Jubiläum der Nuur Moschee in Bonau TG.

  4. Herr Zanetti hat in seiner Grussbotschaft mit sehr schönen Worten ausgedrückt, das es nur ein Miteinander und nie ein gegeneinander geben kann wenn wir den Frieden für die ganze Menschheit herstellen wollen.
    Ich verspreche Ihnen das wir ein Hort des Friedens bleiben werden,getreu unserem Motto

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