Sebastian Haffner: „Nichts ist irreführender, als Hitler einen Faschisten zu nennen.“

„Offensichtlich steht Hitler in der Reihe der Diktatoren des zwanzigsten Jahrhunderts irgendwo zwischen Mussolini und Stalin- und zwar, bei genauerem Hinsehen, näher bei Stalin als bei Mussolini. Nichts ist irreführender, als Hitler einen Faschisten zu nennen. Faschismus ist Oberklassenherrschaft, abgestützt durch künstlich erzeugte Massenbegeisterung. Hitler hat wohl Massen begeistert, aber nie, um dadurch eine Oberklasse abzustützen. Er war kein Klassenpolitiker, und sein Nationalsozialismus war alles andere als ein Faschismus. Wir haben bereits im vorigen Kapitel gesehen, daß seine «Sozialisierung der Menschen>> genaue Entsprechungen in sozialistischen Staaten wie etwa der heutigen Sowjetunion und DDR hat – Entsprechungen, die in faschistischen Staaten höchstens kümmerlich entwickelt sind und mitunter ganz fehlen. Von Stalins «Sozialismus in einem Lande» unterschied sich Hitlers «Nationalsozialismus» (man beachte die terminologische Identität!) freilich durch das weiterbestehende Privateigentum an Produktionsmitteln, für Marxist en ein gravierender Unterschied. ob er in einem totalitären Befehlsstaat wie dem Hitlerschen wirklich so gravierend ist, bleibe dahingestellt. Aber die Unterschiede zum klassischen Faschismus Mussolinis sind jedenfalls noch gravierender: keine Monarchie, daher keine Absetzbarkelt und Auswechselbarkeit des Diktators, keine feste Hierarchie in Partei oder Staa4 keine Verfassung (auch keine faschistische!), kein wirkliches Bündnis mit den traditionellen Oberklassen, am wenigsten irgendwelche Hilfsdienste für sie. Eine Äußerlichkeit ist symbolisch für vieles wesentliche: Mussolini trug ebenso oft Frack wie Parteiuniform. Hitler trug Frack nur gelegentlich in der Übergangszeit 1933/34, solange Hindenburg noch Reichspräsident war und Hitler sein Scheinbündnis mit Papen noch aufrechterhalten mußte; danach immer nur Uniform – wie Stalin.“

Quelle: Sebastian Haffner, «Anmerkungen zu Hitler»