Wer entscheidet, verhandelt nicht! – und umgekehrt.

Unappetitlicher als Bundesratswahlen ist in Bundebern eigentlich nur das, was «Europa-Politik» genannt wird, obwohl es dabei nur um die EU geht. Wie in einer Casting-Show geht es vor allem darum, wer sich durchsetzt oder sich wenigstens in Szene zu setzen vermag. Nun sollen sich gleich drei Bundesräte als Bittsteller am Hof zu Brüssel vorführen lassen. Sie könnten viel vom FBI lernen.

Als der Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein 1646 nach Münster aufbrach, um dort im Zuge der Friedensverhandlungen nach dem Dreissigjährigen Krieg, die Loslösung der Eidgenossenschaft aus dem «Heiligen Römischen Reich deutscher Nation» durchzusetzen, sorgte sich seine Frau, ob er wohl auch anständig genug gekleidet sei, um nicht zum Gespött der europäischen Granden zu werden. Noch immer sind Schweizer Politiker von solchen Minderwertigkeitskomplexen geplagt. Allerdings erreichen sie, im Gegensatz zu Wettstein, heute kaum mehr etwas, und mittlerweile ist es Mitgliedern unserer Landesregierung nicht einmal mehr peinlich, sich von fremden Funktionären öffentlich abknutschen zu lassen.

Seit dem Freihandelsabkommen von 1972 verhandelte die Schweiz mit der EU immer schlechter. Nach der Verwerfung des EWR durch Volk und Stände akzeptierte man sogar die Verknüpfung sachfremder Dossiers, um die Hürden für die Ablehnung zu erhöhen. Der Bundesrat verhandelt also im Grunde für die andere Seite; zumindest für die, zu der er lieber gehören möchte.

Nun hat der Bundesrat mit dem «Rahmenabkommen» ein Vertragswerk paraphiert, das so schlecht ist, dass er sogar selbst zur Einsicht gelangte, es werde vor dem Stimmvolk nicht bestehen. Das zuständige Gremium hat also gewogen, geprüft und für zu leicht befunden. Ein klarer Fall, sollte man meinen, wären da nicht jene Unbelehrbaren, die selbst dann nicht vom Pferd steigen, wenn längst die Geier über ihm kreisen. Das InstA, wie sie den Unterwerfungsvertrag in Täuschungsabsicht nennen, müsse unter allen Umständen gerettet werden, fordern sie. Nicht die Schweiz. Nicht ihre Unabhängigkeit. Nicht ihre Souveränität. Nicht die Neutralität. Und nicht die Rechte und Freiheiten des Schweizer Volks. Nein, der Vertrag!

Canossa liegt in Brüssel

Zu diesem Zweck sollen nun gleich drei Mitglieder der Landesregierung nach Brüssel wallfahren: Bundespräsident Parmelin, Aussenminister Cassis und Justizministerin Keller-Sutter. Damit ist der Quote Genüge getan, und die Sozis sind aus der Schusslinie. Was genau verhandelt werden soll, ist noch völlig unklar. Hätte man in Brüssel plötzlich ein Interesse, der Schweiz entgegenzukommen, würde ein Telefonanruf genügen. Doch warum sollten die dort von einer Verhandlungsposition abrücken, wenn die Gegenseite signalisiert, dass sie im Staub zu kriechen bereit ist?

Parmelin, Cassis und Keller Sutter gehen als Bittsteller. Sie mögen eleganter gekleidet sein als der brave Wettstein, aber in Tat und Wahrheit tragen sie das Büsserhemd wie Heinrich IV in Canossa. Öffentlich liessen sie sich bereits dafür tadeln, sie seien ihren Verpflichtungen gegenüber Brüssel nicht nachgekommen – als wären ihre Verpflichtungen gegenüber dem Schweizer Volk nicht tausendmal höher zu gewichten.

In keinem andern Politikbereich sind Verhaltensmuster aus der Zeit der Könige und Aristokraten besser erhalten geblieben als in der Aussenpolitik. Wird heute auch nicht mehr auf das Blut und den Stammbaum abgestützt, hält sich doch der Glaube hartnäckig, mit der Wahl oder Ernennung in ein bestimmtes Amt, wüchsen auch automatisch die individuellen Fähigkeiten. Plötzlich sollen Bundesräte – also Parteipolitiker, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, aus dem richtigen Kanton stammen und darüber hinaus dem richtigen Geschlecht angehören – Dinge tun, die sie zuvor noch nie tun mussten. Mehr noch: Es wird von ihnen erwartet, dass sie gewisse Dinge erfolgreicher erledigen als Menschen, die eigens dafür ausgebildet wurden, und für die «Verhandeln» zum Berufsalltag gehört. Wie halbwüchsige Prinzen einst Generäle und ganze Heere in Schlachten schickten, sollen heute Politiker internationale Verhandlungen erfolgreich zum Abschluss bringen.

Vom FBI lernen

Keine Zeit für solche Eitelkeiten hat man beim FBI, wenn es darum geht, Geiseln aus der Hand skrupelloser Erpresser zu befreien. Diese Profis gehen nach einem klaren Konzept vor, das sich auf die Formel reduzieren lässt: «Wer entscheidet, verhandelt nicht!». Nur eine Person hat direkten Kontakt mit dem Gangster. Sie sorgt für Entspannung und versucht, Vertrauen aufzubauen, indem sie vermittelnd auftritt. Unterstützt wird sie von einem Beobachter, der auf einen logistischen Apparat zurückgreifen kann, und der auch als Berater fungiert. Erst ganz am Schluss tritt der Chef in Aktion. Er entscheidet in Ruhe aufgrund sämtlicher vorliegender Fakten. Und er das Resultat zu verantworten. – Ist es das, was den Bundesrat daran hindert, nach diesem Konzept vorzugehen?