Ein Geschichtsbuch, das man gelesen haben muss

„Christoph Blocher – der konservative Revolutionär“ heisst die neue Biographie, die Weltwoche-Redaktor Markus Somm kürzlich der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Wer die Schweiz gerne hat und sich für Zeitgeschichte interessiert, muss dieses ansprechend geschriebene Buch lesen.

Bisher war ich der festen Überzeugung, gute politische Literatur zeichne sich durch Kürze aus. Nun hat Markus Somm ein Buch geschrieben, das mich eines Besseren belehrte*. Auch wenn Somms Werk 528 Seiten umfasst, musste er vieles weglassen, was bestimmt auch noch interessant gewesen wäre. Der Vorwurf eines Redaktors des Tages-Anzeigers allerdings, der Abstieg des „rechten Revolutionärs“ sei ausgeblendet, ist abwegig und zielt ins Leere. Wie soll man einen Abstieg beschreiben, wo kein Abstieg ist?

Erosion des Freisinns

Streng genommen handelt es sich um ein Geschichtsbuch, in dem der Schweizer Ausnahmepolitiker Christoph Blocher eine zentrale Bedeutung innehat. Wer es liesst, erfährt viel über die Veränderungen, welche die Schweiz in den letzten 50 Jahren durchlebte. Ein Schwergewicht legt Somm dabei auf die Rolle der einst alles dominierenden FDP. Überzeugend beschreibt er, wie insbesondere der wichtige Zürcher Freisinn nach der Zäsur, die der Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks 1989 geschichtlich darstellt, keinen Tritt mehr fand.

Die so genannte „Affäre Kopp“ erachtet Somm bloss als äusseres Zeichen einer tief greifenden Verunsicherung innerhalb des Freisinns. Vieles, was zuvor als „ewig gültig“ betrachtet worden war, hatte plötzlich – scheinbar – keine Geltung mehr. Man glaubte, eine neue Epoche habe begonnen. Da war die Armee, einst ein Bollwerk der Bürgerlichen, von den Linken als „Heilige Kuh“ verspottet. Plötzlich musste sie ihre Existenz begründen und behaupten. Eine Volksinitiative verlangte gar die Abschaffung, und die Bürgerlichen hatten dem Argument der „Friedensdividende“, die es einzulösen gelte, wenig Brauchbares entgegenzusetzen. Zwar scheiterte das Volksbegehren, doch die Bereitschaft, für die Landesverteidigung einzustehen, hatte spürbar und auf Dauer Schaden genommen. Werte wie „Unabhängigkeit“ und „Neutralität“ verloren an Bedeutung.

Anstatt sich auf die Werte zu besinnen, die er seit der Gründung des Bundesstaates konsequent vertreten hatte, wandte sich der Freisinn immer mehr von der SVP ab und nahm in wichtigen Fragen abweichende Positionen ein. Dass sich die neuen Positionen dafür immer mehr mit denen des linken Lagers deckten, wurde in Kauf genommen, man versprach sich davon sogar Stärke gegenüber der SVP. Eine verhängnisvolle Fehlbeurteilung!

Die SVP und die anderen

In dieser Phase ohne klare politische Ausrichtung suchten immer mehr Politiker das Heil in der Anbindung an internationale Organisationen. Statt autonomer Verteidigung, die an der Landesgrenze beginnt, hiess es plötzlich, nur noch im Verbund mit anderen Staaten sei Sicherheit gewährleistet. Und plötzlich musste die Schweiz ihr Verhältnis zur EG, bzw. EU klären. Damit begann der Aufstieg von Christoph Blocher, der die SVP zu der mit Abstand stärksten Partei im Land machte, indem er sich dem Beitritt zum europäischen Wirtschaftsraum (EWR) widersetzte und dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und publizistischen Establishment eine empfindliche Niederlage bereitete.

Angenehme und spannende Lektüre

Somm versteht es, komplexe Zusammenhänge und Abläufe verständlich darzustellen. Geschickt verwendet er Anekdoten und kurze Geschichten, um Sachverhalte anschaulich darzustellen. So etwa, wenn er beschreibt, wie der frühere Besitzer der EMS-Werke, Werner Oswald, und sein Sekretär Christoph Blocher über den Gotthard an die Marignano-Schlachtfeier reisen und dabei über das Wesen der Neutralität diskutieren. Ein Thema, das Christoph Blocher sein Leben lang beschäftigt. Auch als Mitglied der Landesregierung setzte er sich entschieden gegen die Behauptung zur Wehr, der Bundesrat stehe „geschlossen“ zu „Schengen“.

Blocher der Unternehmer, Blocher der Regimentskommandant, Blocher der Politiker und Blocher als Bundesrat. All diese Aspekte werden eingehend analysiert und beschrieben. Somm zeigt, wie Christoph Blocher denkt und funktioniert, wie er Probleme angeht und Lösungen umsetzt. Der Leser erfährt, mit welcher Raffinesse es Bundesrat Blocher fertig brachte, festgefahrene Gesetzesrevisionen, wie beispielsweise das Gesetz über das Bundesgericht, einer Lösung zuzuführen, die alle Seiten zu befriedigen vermochte. Sogar die Linke war voll des Lobes. Umso unverständlicher ist es daher, weshalb schliesslich nichts unversucht gelassen wurde, um Christoph Blocher als Bundesrat zu stürzen.

Kritisch und doch anständig

Wie immer, wenn es um Christoph Blocher oder die SVP geht, setzt bei einem Grossteil der Schweizer Medienschaffenden der Verstand aus, und es regieren dumpfe Reflexe. Es gilt praktisch als ungeschriebenes Gesetz, dass man weder an Christoph Blocher noch an der von ihm massgeblich geprägten SVP ein gutes Haar lassen darf. Die Palette beginnt mit Verunglimpfungen bei der Titelsetzung, geht über eigentliche Hasskampagnen, und reicht bis zum Aufruf zum medialen Boykott. Markus Somm bildet in dieser Hinsicht eine löbliche Ausnahme. Er ist durchaus kritisch, doch bleibt er immer anständig und pflegt den Stil, den andere nur einfordern.

Bleibt zu hoffen, dass dem Buch ein grosser Erfolg beschieden ist. Das gibt Markus Somm die Gelegenheit, die Neuauflage seines Werks mit einem Personen- und Sachregister zu versehen.

 * Markus Somm: Christoph Blocher, Der konservative Revolutionär, 528 Seiten, illustriert, Appenzeller Verlag, 48 Franken.

Ein Gedanke zu „Ein Geschichtsbuch, das man gelesen haben muss“

  1. Ich kaufe das Buch sicher nicht, verschwende meine kostbare Zeit nicht für tempi passati, habe die Schweiz aber trotzdem gerne (eben meine Schweiz, nicht die durch Volksparteien besudelte).

    Das mit dem Bollwerk der Bürgerlichen, das plötzlich seine Existenz begründen muss, kommt mir bekannt vor. Was stellen Pseudo-Bürgerliche alles in Frage? Die Sozialwerke, die Kultur, die Justiz etc.

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