Eine brachliegende Fundgrube für Qualitätsjournalisten

Wohl nur der olympische Eid, wonach alle fairen Sport wollen, wird so häufig und in voller Absicht gebrochen, wie die Erklärungen des schweizerischen Presserats. Danach haben „Journalistinnen und Journalisten den gesellschaftlich notwendigen Diskurs“ zu sichern. Und weiter heisst es im Text: „Die Verantwortlichkeit der Journalistinnen und Journalisten gegenüber der Öffentlichkeit hat den Vorrang vor jeder anderen, insbesondere vor ihrer Verantwortlichkeit gegenüber ihren Arbeitgebern und gegenüber staatlichen Organen.“ Die Realität sieht anders aus.

Als die „SonntagsZeitung“ beispielsweise kürzlich schrieb, sie habe vernommen, dass die „Weltwoche“ an einem Artikel über Alkoholprobleme des mittlerweile zum Bundesrat gewählten Waadtländer SVP-Politikers Guy Parmelin arbeitete, verletzte sie damit sämtliche Regeln des Presserats. Kein anständiger Journalist schreibt so etwas. Die Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit, die ein Anrecht auf sachgerechte, also wahre Informationen hat, wurde hier mit Füssen getreten.

Die meisten Journalisten bezeichnen sich selber als „kritisch“, dabei sind die meisten lediglich boshaft. Wären sie tatsächlich kritisch, würden sie die Positionen der Mächtigen hinterfragen und Argumente zu kontern versuchen, ohne als erstes zu fragen, von wem sie stammen. Eine wunderbare Gelegenheit dafür hätte beispielsweise das Referat von Roger Nordmann, dem Präsidenten der SP-Fraktion der Bundesversammlung anlässlich der Bundesratsersatzwahl geboten.

Selbst wenn man den Umstand, dass Nordmanns Ausführungen in erster Linie Ausdruck der völligen Konzeptlosigkeit seiner Truppe waren, hätten sie in mehreren Punkten, jeden zur Reflexion fähigen Berichterstatter und Kommentator zumindest aufhorchen lassen müssen. Im Bestreben, die Staatsgefährlichkeit der SVP zu illustrieren rief Nordmann in den Saal: „Encore avant-hier, l’UDC a refusé le budget, alors qu’elle avait obtenu des avantages pour sa „clientèle“.“ Man könne die SVP also nicht wählen, weil sie es gewagt habe, das Budget des Bundes abzulehnen. Abgesehen davon, dass es eine Demokratie erst ausmacht, dass man eine Frage mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten darf, wäre in diesen Zusammenhang von kritischen Medien daran zu erinnern gewesen, dass auch die SP selber den Voranschlag ablehnte.

Doch es kommt noch grotesker: Als sich an der elektronischen Anzeigetafel nämlich abzeichnete, dass „Rot“ (also Nein“) obsiegt, schwenkten die Genossinnen und Genossen kurzerhand auf „Stimmenthaltung“. Die Sozis fürchteten also, es könne eintreten, was sie zuvor gefordert hatten, und kippten. Ist das gradlinige Politik? Und warum hat die Öffentlichkeit, der gegenüber man sich in den Medien angeblich in der Verantwortung sieht, davon nichts erfahren?

Nordmann gab sich aber noch eine weitere Blösse, über welche die Bundesqualitätsmedien gnädig den Mantel des Schweigens warfen: „Nous observons que l’UDC n’a toujours pas supprimé de ses statuts la clause totalitaire qui exclue automatiquement du parti un élu au Conseil fédéral qui ne serait pas son candidat officiel. Cette clause est scandaleuse et antidémocratique parce qu’elle fait pression et tant à restreindre les prérogatives de l’Assemblée fédérale, ceci alors que le peuple vient de confirmer tout récemment que c’est à l’Assemblée fédérale d’élire le Conseil fédéral.“

Dass Sozialdemokraten an einer Klausel in den Statuten der SVP-Fraktion keine Freude haben, ist nicht weiter schlimm, schliesslich politisiert die Volkspartei nicht zum Gaudi der Linken. Eine Partei ist ihren Wählern verpflichtet, und die Erwartung, man solle ein klares Versprechen zwei Monate nach der Wahl brechen, zeugt von einem bedenklichen Demokratieverständnis. Freilich stellte kein einziger Qualitätsjournalist Nordmann dazu eine Frage. Nicht einmal, was besser daran sei, einen gewählten Bundesrat zur Abdankung zu nötigen, weil einem sein Geschlecht missfällt, musste Nordmann beantworten. Und auch zur überaus kühnen Behauptung, die Wahlfreiheit der Bundesversammlung sei dadurch infrage gestellt, dass transparent und im vornherein über allfällige Konsequenzen informiert wird, durfte Genosse Nordmann schweigen.

Schliesslich – Nordmanns Referat wäre für einen kritischen Journalisten eine wahre Fundgrube – hätte der sprunghafte Umgang mit Volksinitiativen Anlass für Fragen geboten: Aus dem klaren Nein von Volk und Ständen zur SVP-Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates leitete Nordmann ab, „le peuple a confirmé que c’est l’Assemblée fédérale qui doit élire librement qui elle entend.“ Auch hier konnte sich Nordmann auf die Loyalität der Medien verlassen: Niemand wies darauf hin, dass es bei besagter Abstimmung um den Wahlkörper und nicht um die Statuten der SVP ging. Und selbstverständlich fragt auch niemand, warum der SP-Fraktionschef im einen Satz einen bestimmten Volksentscheid zum Dogma erklärt, um nur Sekunden später gegen Entscheide des gleichen Volkes zu SVP-Volksinitiativen zu wettern.

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