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So wird Demokratie zur Farce

Die meisten Kommentare im Nachgang der Europawahl offenbaren vor allem geistige Armut. Der Gedanke, dass die Wähler eine Wahl ernst nehmen könnten, erscheint vielen Politikern, Qualitätsjournalisten und anderen „Experten“ als absurd. Sie pflegen lieber ihre abwegigen Theorien.

Anfang der 90er-Jahre besuchte ich im Bezirk Meilen eine der ersten Podiumsveranstaltungen zum EWR-Beitritt. Der Bundesrat behauptete damals noch, eine institutionelle Anbindung an die damalige EG komme nicht in Frage, und die Politiker waren noch dabei, sich zu dem Vertragswerk eine Meinung zu bilden. Um der Veranstaltung gleich zu Beginn Würze zu verleihen, stellte Moderator Peter Stücheli von der NZZ Nationalrat und SVP-Parteipräsident Christoph Blocher folgende Frage: „Der Unternehmer David de Pury hat gesagt, die Zugehörigkeit zum EWR sei für die Schweizer Wirtschaft überlebenswichtig. Herr Blocher, wollen Sie die Wirtschaft ruinieren?“ Tatsächlich war Herr de Pury erst vor Kurzen von der ABB als Co-Präsident und Lobbyist angeheuert worden. Zuvor arbeitete er als Wirtschaftsdiplomat beim Bundesamt für Aussenwirtschaft. Unternehmer Christoph Blocher war darum um eine Antwort nicht verlegen und stellte klar: „Wenn Herr de Pury Unternehmer ist, dann bin ich auch Staatssekretär, schliesslich war ich auch schon im Bundeshaus.“

Mit religiösem Eifer für die EU

Diese Anekdote kam mir in den Sinn, als ich im Nachgang der Wahl des EU-Parlaments vom vergangenen Sonntag einmal mehr feststellen musste, wie leichtfertig Journalisten mit Etiketten um sich werfen. So wird einer mit der richtigen Gesinnung, wenn er „EU“ richtig buchstabieren kann, flugs zum „Europa-Experten“, und wer hingegen Europa vor der EU schützen will, ebenso rasch zum „Populisten“, „EU-Skeptiker“, „EU-Feind“ oder gar zum Rechtsextremen. Der zwangsgebührenfinanzierte deutsche Staatssender ARD machte aus EU-Skeptikern sogar kurzerhand Demokratie-Skeptiker und verwendete beides synonym. Die Clique der Wohlmeinenden, die selbst für Bombenattentate islamistischer Terroristen noch Worte der Rechtfertigung und Entschuldigung findet, greift zum verbalen Zweihänder, wenn es um die EU geht, der Europa angeblich Frieden zu verdanken hat. „Die EU, das „Friedensprojekt“, ist gut, wer sie kritisiert, muss demnach schlecht sein, muss Krieg wollen“, so lautet das Credo derer, die Andersdenkenden gerne schwarz-weiss-Denken vorwerfen.

Der Experte, er keiner ist

Einer, der von der selbsternannten Qualitätsjournaille gerne als „Experte“ für EU-Fragen beigezogen wird, ist der pensionierte Professor Dieter Freiburghaus, der kaum eine Gelegenheit auslässt, um auf Tages-Anzeiger-Online zu beweisen, dass er vollkommen zu unrecht für einen Experten gehalten wird. Das heisst, für irgendetwas ist er bestimmt Experte. Nur nicht für das, worüber ihn die Journalisten regelmässig befragen. Das Praktische bei ihm ist, dass er immer die gewünschten Antworten liefert. Dafür muss Freiburghaus im Rahmen dieser publizistischen Symbiose nie befürchten, mit einer kritischen Frage konfrontiert zu werden.

Im Zusammenhang mit dem Wahlausgang in Frankreich behauptete Freiburghaus unwidersprochen und ohne Beleg: „In Frankreich war die Bevölkerung bisher offen gegenüber der EU.“ Ein intelligenter und vorbereiteter Journalist hätte an dieser Stelle nachgefasst und darauf hingewiesen, dass Frankreich am 29. Mai 2005 den Verfassungsvertrag der EU verwarf, nachdem es 13 Jahre vorher der berühmten Vertrag von Maastricht mit 51 zu 49 Prozent noch sehr knapp gutgeheissen hatte. Ist es da nicht ganz einfach Blödsinn von einer grundsätzlichen Offenheit sprechen? Müsste man nicht viel mehr eine tiefe Spaltung der Gesellschaft konstatieren? Und dürfte nicht die Missachtung des „Non“ von 2005 durch die so genannten etablierten Parteien nicht wesentlich dazu beigetragen haben, dass es die Franzosen nun mit einer so genannten Protestpartei versuchen wollen? Ja ist es nicht geradezu eine logische Folge und Zeugnis von der Intelligenz der Bevölkerung? Analoges gilt übrigens für Dänemark, das 1992 den Maastricht-Vertrag und 2009 die Einführung des Euro verwarf. Doch, wie gesagt, das sind alles Fragen und Zusammenhänge, auf die ein intelligenter Journalist eingegangen wäre.

Opium für Journalisten

Schweizer Qualitätsjournalisten erkennt man daran, dass sie das eigene Land schlecht reden und suggerieren, wir müssten froh und dankbar sein, wenn sich einer der Hohen Herren zu Brüssel überhaupt dazu herablässt, mit uns zu reden. So auch der Tenor bei Professor Freiburghaus.

Deutsche Qualitätsjournalisten sind hingegen regierungstreuer als die Regierung selber, und wie diese sind sie vom Gedanken beseelt, die Welt müsse am deutschen Wesen genesen. Bemerkenswerterweise sind es gerade diejenigen, die diesen deutschen Hegemonieanspruch infrage stellen, die als „Rechtsaussenpolitiker“ und „Rechtspopulisten“ gebrandmarkt werden. Es gilt als ausgemachte Sache, dass Deutschland in einem Friedensprojekt das Sagen haben muss. Wer könnte schliesslich besser für Frieden sorgen, als derjenige, der den letzten Krieg vom Zaun gerissen hat?

Deutschland weiss, was für die anderen gut ist

Im Stile eines Oberlehrers der Völker zieht Roland Nelles auf Spiegel-Online „Fünf Lehren der Europawahl“. Was mit Artikel 20 des Grundgesetzes seines eigenen Landes gemeint sein könnte, scheint ihm unverständlich. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, ist schliesslich auch eine überaus komplizierte Formulierung für Menschen mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein.

Für den Genossen Nelles lautet darum seine erste Forderung: „Die EU-Freunde dürfen sich von den Populisten jetzt nicht irremachen lassen.“ Das Wichtigste sei jetzt „politische Führung“. Und Weiter: „Nicht weniger, sondern mehr Europa ist die Antwort auf den Angriff der Einfältigen. Die europäische Integration muss vorangetrieben werden.“ Das Ganze gipfelt in der Aufforderung: „Macht etwas draus, schlagt zurück, Europa-Fans!“ In Herrenmenschen-Tradition gibt Nelles auch gleich anderen Ländern die Marschrichtung vor: Frankreich müsse aufhören, in Weltschmerz zu versinken und „sich bei den nächsten Wahlen klar gegen rechts“ positionieren.

Natürlich weiss Nelles auch, was England braucht: Die tapferen EU-Fans dort müssten Unterstützung bekommen. „Sie müssen von der restlichen EU in die Lage versetzt werden, dem eigenen Publikum Erfolge bei den geforderten Reformen der EU-Institutionen vorweisen zu können.“ Welche Erfolge gemeint sein könnten, behält der Qualitätsjournalist für sich. Dafür legt er seine Beweggründe offen. Es ist nicht etwa Altruismus oder gar die Besinnung auf abendländische Wurzeln, die ihn wünschen lassen, England möge der EU erhalten bleiben. Nein, es ist purer Egoismus, das Streben nach Deutscher Hegemonie: „Eine EU ohne Grossbritannien wäre vor allem für Deutschland schlecht, gerade in wirtschaftspolitischen Fragen ticken die Briten eher so wie die Deutschen.“ Und dann kommt ein Satz, der an Arroganz kaum zu überbieten ist und sich mit den hehren Prinzipien einer Wertegemeinschaft nicht vereinbaren lässt: „Oder wollen wir künftig allein mit Italienern und Griechen über die Kunst des ordentlichen Haushaltens diskutieren?“

Einheit ohne Vielfalt

Schliesslich geht Nelles doch noch auf Deutschland ein, das sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen dürfe. Und als hätte es noch eines Beweises für seine undemokratische Gesinnung bedurft, gibt es zum Schluss seines Artikels noch der Hoffnung Ausdruck die „Alternative für Deutschland“ (AfD) möge sich hoffentlich bald in Luft auflösen. – Das ist es also, was man sich unter dem „bunten Europa“ vorzustellen hat, von dem immer dann die Rede ist, wenn gerade keine Wahlen anstehen. Denn die EU in ihrer heutigen Form und Demokratie passen nicht zusammen. Entweder man ist für die EU oder für die Demokratie. Beides geht nicht. Und hiess es früher, etwas fürchten, wie der Teufel das Weihwasser, passt heute besser, „etwas fürchten, wie die EU die Demokratie“.

Zensur – Beängstigende Tendenzen in der EU

Volksaufklärung und Propaganda machen unfrei Die EU-Kommission strebt nach einer politisch motivierten Kontrolle über die Medien. Die Lethargie, mit der diese auf den Angriff reagieren, ist besorgniserregend und offenbart ein groteskes Freiheitsverständnis. Zensur – Beängstigende Tendenzen in der EU weiterlesen

Hilfe, Intellektuelle, die nicht denken!

Manchmal frage ich mich, ob die Millionen und Milliarden, die wir für unser Bildungssystem ausgeben, tatsächlich gut angelegt sind. Wenn ich beispielsweise feststellen muss, wie sich Politiker und Mainstream-Journalisten, die einmal hier zur Schule gingen, selbst einfachsten Gedankengängen kategorisch verweigern, komme ich zum Schluss, dass man das Geld ebenso gut im Rahmen einer grossen Party hätte verjubeln können.

Die vom Weltschmerz geplagte Linke ist beispielsweise überzeugt, dass der westliche Kolonialismus die so genannte Dritte Welt praktisch unheilbar zerstört hat, und „der Westen“ damit eine Art Erbschuld auf sich geladen hat. Dass diese These einer kritischen Beurteilung nicht standhält, und viele frühere Kolonien prächtig gedeihen, wird verdrängt. Fakten sind Dogmatikern bekanntlich lästig.

Doch das ist noch nicht der ganze Ausdruck für die geistige Verarmung, die ich kritisiere. Wenn man schon der Meinung ist, Kolonialismus sei etwas Schlechtes, dann soll man daraus auch die entsprechenden Schlüsse ziehen. Eine einfache logische Schlussfolgerung müsste etwa lauten:

  • Kolonialismus ist schlecht.
  • Die EU führt sich wie eine Kolonialmacht auf.
  • Also ist die EU schlecht.

Jedes Kind begreift das. Nicht aber unsere selbsternannte geistige Elite. Wenn es um die EU geht, ist Schluss mit Logik. Dann gilt nur noch Ideologie. Dann glaubt und predigt man sogar das vom „Friedensprojekt“.

Kolonialistisches Gehabe der EU

So war in den vergangen Tagen in unseren zwangsgebührenfinanzierten Staatsmedien immer wieder zu hören, die EU verlange von Luxemburg den automatischen Informationsausgleich, und wenn das Grossherzogtum nachgebe, werde auch die Schweiz nachgeben müssen. – Ein klarer Fall von geistiger Verblödung. Denn gleich zu behandeln ist nur, was nach Massgabe seiner Gleichheit gleich ist, und in dieser Hinsicht besteht zwischen der Schweiz und Luxemburg und der Schweiz ein fundamentaler Unterschied: Luxemburg ist EU-Mitglied, während die Schweiz klug genug war, sich dieser zentralistischen Funktionärsherrschaft nicht zu unterwerfen.

Sollte sich die EU also in schweizerische Belange einmischen, wäre das ein klarer Fall von Hegemoniestreben in kolonialistischer Tradition. Dagegen müsste die Linke im Grunde aufbegehren. Doch dem stehen offensichtlich ideologische Motive entgegen.

Schutz des Bürgers oder Schutz des Fiskus?

Im gleichen Kontext findet sich ein weiteres Beispiel für den intellektuellen Bankrott des linken Mainstreams, der sich gerne als „progressiv“ bezeichnet. Bereits schon in diesem Begriff kommt eine geistige Beschränktheit zum Ausdruck: Es wird suggeriert, neu sei a priori besser als alt. Anstatt zu fragen, ob eine Lösung gut oder schlecht sei, wird sie beklatscht, weil sie „neu“, „modern“ oder auch nur „zeitgemäss“ sei. Gegenwärtig ist man aus dem Häuschen, weil in Sachen „Bankgeheimnis“ ein Paradigmenwechsel ins Haus stehe. Der Begriff „Paradigmenwechsel“ genügt gewissen Leuten offenbar als Argument. Dabei braucht man auch hier kein Nobelpreisträger zu sein, um die einzig richtige – von der Logik gebotene – Frage zu stellen: Ist die neue Lösung besser oder schlechter? Je nachdem bin ich dafür oder dagegen.

Schauen wir uns diesen „Paradigmenwechsel“ mal etwas genauer an: Bisher galt in der Schweiz das Paradigma „Privatsphäre steht über fiskalischen Interessen“. Der Staat vertraute den Bürgern, die ihn schliesslich ausmachen. Und dieses Vertrauen wurde durch eine sehr geringe, ja vernachlässigbare Steuerhinterziehung belohnt. In der EU gilt die umgekehrte Devise „Fiskus vor Privatsphäre“. Diese vollkommen unterschiedliche Staatskonzeption kommt auch darin zum Ausdruck, dass wir in der Schweiz die Steuerbelastung zum Schutz der Bürger in der Verfassung festlegen, während in der EU Mindeststeuersätze gelten, was dem Staatsapparat das Recht gibt, sich praktisch nach Belieben zu bedienen.

Wir haben es also tatsächlich mit verschiedenen Paradigmen zu tun. Doch nach den Regeln der Logik wird jeder intelligente Mensch alles daran setzten, den von der Linken geforderten Paradigmenwechsel nicht zu vollziehen.

Törichte Euro-Einführung

Eines der klügsten Bücher, das der an politischen und historischen Zusammenhängen interessierte Zeitgenosse lesen kann, heisst „Die Torheit der Regierenden – Von Troja bis Vietnam“. Geschrieben hat es die 1989 verstorbene amerikanische Historikerin und Journalistin Barbara Tuchman. Mit Blick auf die aktuelle Euro-Krise würde die Autorin ihr Werk wohl um ein Kapitel erweitern.

Was ist Torheit? Barbara Tuchman definiert sie als ein den eigenen Interessen zuwiderlaufendes Verhalten. Nun ist es allerdings nicht so, dass sie einfach mit dem Wissen späterer Generationen um die Folgen geschichtsträchtiger Entscheidungen Zensuren verteilt. Im Gegenteil. Sie qualifiziert ein Handeln nur dann als töricht, wenn drei genau definierte Kriterien erfüllt sind: So muss eine Politik bereits zu ihrer Zeit, und nicht erst im Nachhinein, als kontraproduktiv erkannt worden sein. Es muss also hinreichend warnende Stimmen gegeben haben. Das ist deshalb wichtig, weil es ungerecht wäre, Menschen der Vergangenheit nach den Vorstellungen der Gegenwart zu beurteilen. Weiter muss es praktikable Handlungsalternativen zu der kritisierten Politik gegeben haben. Und schliesslich muss diese, zur Vermeidung der Fixierung auf einzelne Personen, von einer ganzen Personengruppe verfolgt und als richtig betrachtet worden sein.

Anhand des mythologischen Modellfalls der Trojaner, die das hölzerne Pferd, in dem sich die Griechen versteckten, in ihre Stadt zogen, erläutert Barbara Tuchman, was man unter törichtem Verhalten zu verstehen hat. Weitere Beispiele bieten ihr die Renaissancepäpste, die eine Kirchenspaltung provozierten, die Briten, die im Zuge einer verfehlten Steuerpolitik Amerika verloren, und die US-Regierung, die sich in Vietnam immer tiefer in einen nicht zu gewinnenden Krieg verstrickte.

Es fehlte nicht an Warnungen

Die dramatische Geschichte der europäischen Einheitswährung Euro passt nahtlos zu diesen Beispielen. Was Helmut Kohl, François Mitterand und Jacques Delors Mitte der 90-er-Jahre über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg getan haben, war töricht.

Von Anfang an fehlte es nicht an Stimmen, die vor der Einführung einer Einheitswährung ohne einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik warnten. Doch die Politiker machten aus einer wirtschaftlichen eine politische Frage und beantworteten sie entsprechend falsch. Aus Sicht der Franzosen war die Aufgabe der Mark der Preis, mit dem sich die Deutschen ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung zu erkaufen hatten. Sie wussten, dass Helmut Kohl dafür kein Opfer zu gross war. Umgekehrt dachten die Franzosen keine Sekunde daran, die Meinung ihrer „europäischen Freunde“ einzuholen, als sie, wirtschaftspolitisch bedeutsam, die 35-Stunden-Woche einführten. Dabei wussten alle, dass es zumindest eine in den Grundzügen einheitliche Wirtschaftspolitik braucht, um den Erfolg einer gemeinsamen Währung in den Bereich des Möglichen zu rücken.

Auch in der EU decken Politiker Probleme lieber mit Geld zu, anstatt sie zu lösen. Und von Anfang an war auch klar, dass auch bei dem als irreversibel bezeichneten „Projekt Euro“ Deutschland die Rolle des Hauptzahlmeisters zukommt. Um dem deutschen Wähler und Steuerzahler wenigstens eine gewisse Sicherheit vorzugaukeln, wurde im so genannten „Stabilitätspakt“ die Einhaltung ordnungspolitischer Tugenden beschworen. Doch das Papier erwies sich rasch als wertlos. Deutschland und Frankreich waren die Ersten, die die darin enthaltenen Kriterien verletzten und darum eine grosszügigere Auslegung verlangten. Der Damm war gebrochen.

Die Verantwortlichen hätten also die Risiken erkennen können und entsprechend handeln müssen. Doch stattdessen setzten sie sich über sämtliche Warnungen hinweg. Kohls dümmlicher Vergleich von der EU, die sich wie ein Fahrrad ständig bewegen müsse, um nicht umzukippen, und es darum keine Denkpause ertrage, überzeugte. Sämtliche Warnungen erwiesen sich als Kassandrarufe, womit wir wieder bei Troja angelangt sind. Die Tochter des Königs Priamos hatte zwar Recht, wie auch Laokoon, der vor den Griechen sogar in dem Fall warnte, dass sie Geschenke bringen. Doch als man das realisierte, war es zu spät. Das erste von Barbara Tuchman geforderte Kriterium ist damit erfüllt.

Es gab Alternativen

Wie steht es um das Zweite? Gab es Alternativen zur Einführung des Euro? Selbstverständlich! Doch leider wird in der EU kaum je sachlich über die EU diskutiert. Alles ist gleich grundsätzlich, und wer nur schon kritische Fragen stellt, wird als Saboteur am grossen „Friedensprojekt“ verunglimpft. Selbst die klügsten Köpfe können nicht mehr klar denken, wenn es um „Europa“ geht. Als richtig gilt, was politisch korrekt ist. Da kann es durchaus vorkommen, dass eherne Grundsätze in ihr Gegenteil verkehrt und mit der gleichen Überzeugung zum Ausdruck gebracht werden. Ein Beispiel lieferte jüngst das deutsche Staatsoberhaupt Horst Köhler. Als Staatssekretär war er einer der Hauptverantwortlichen für die Währungsunion. Um den Deutschen das Wagnis schmackhaft zu machen, sagte er in einem Spiegel-Interview: „Wenn sich ein Land durch eigenes Verhalten hohe Defizite zulegt, dann ist weder die Gemeinschaft noch ein Mitgliedstaat verpflichtet, diesem Land zu helfen.“ Und zur Bekräftigung fügte er hinzu: „Es wird nicht so sein, dass der Süden bei den sogenannten reichen Ländern abkassiert. Dann nämlich würde Europa auseinanderfallen.“ Und auf die schon damals bekannte Griechenland-Problematik angesprochen, warb er für die Aufnahme des Mittelmehrlandes mit dem Argument: „Wir würden eine historische Chance vertun, wenn wir die vor den Kopf stossen würden, die sich deutsche Stabilitätsvorstellungen zu eigen machen.“

Heute fordert der gleiche Horst Köhler von der Bundesregierung finanzielle Hilfe für Griechenland. Es liege im eigenem Interesse einen Beitrag zur Stabilisierung leisten, heisst es plötzlich. Und freilich fehlt auch nicht das obligate Spekulanten-Bashing. Dabei machen sich diese nur seine schweren Fehler zunutze.

Am gescheitesten wäre es wohl gewesen, nichts zu tun und zuzuwarten. Man hätte ohne weiteres das europäische Währungssystem fortführen können, um den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, die Wechselkursschwankungen weiter zu reduzieren. Mit der Zeit hätte sich auf diese Weise sogar von selbst eine kohärente Wirtschaftspolitik entwickelt. Es bestand keine Notwendigkeit, sich durch Festlegung eines willkürlichen Zeitplans unter Druck zu setzen. Und insbesondere war es falsch, eine wirtschaftliche Frage, die man in guten Treuen bejahen konnte, rein politisch zu beantworten.

Gleich haufenweise Alternativen hätte es naturgemäss bei der Frage gegeben, welche Staaten in die Eurozone aufgenommen werden sollen. Wurden bis anhin noch die „Einheit Europas“ und die Irreversibilität des Integrationsprozesses beschworen, redete Helmut Kohl plötzlich von einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“. Wer in welcher Geschwindigkeit weiterfahren durfte, wurde dann in einem Bericht der EU-Kommission festgehalten. Belgien, das die Maastrichter-Kriterien um Längen verfehlte, wurde die Teilnahme deshalb gestattet, weil die EU ihren in dem Land Sitz hat. Und Griechenland wollte man einfach nicht vor den Kopf stossen, obwohl es schon damals klare Anzeichen dafür gab, dass dessen Gesuch auf falschen Zahlen basierte. Doch anstatt von Betrug sprach man beschönigend von „kreativer Buchführung“. Eine strengere Selektion anhand klarer wirtschaftlicher Kriterien hätte zweifellos viel zur Verhinderung oder zumindest zur Verringerung der gegenwärtigen Krise beigetragen. Heute erscheint nicht einmal mehr der Gedanke, dass sich Deutschland vom Euro verabschieden könnte, abwegig. Auch das zweite Kriterium ist klar erfüllt.

„Europa“ schadet dem Denkvermögen

Kommen wir damit zur Frage, ob der letztlich eingeschlagene Weg auf einem breit abgestützten Konsens beruhte. Auch dies ist zu bejahen. In kaum einer anderen Politdomäne arbeiten die Regierenden und die mit ihnen verbündeten Medien und Behörden so dogmatisch verblendet wie in der Europapolitik. Alleine schon die Frage zu stellen, ob die Kommission oder der Ministerrat auch immer richtig und klug handeln, gilt als ketzerisch. Was von Brüssel kommt, ist gut, weil es von Brüssel kommt. Und nationale Regierungen und Parlamente schämen sich nicht einmal dafür, dass sie bloss noch nachvollziehen.

Leider ist auch den Gerichten die Kraft abhanden gekommen, sich dieser Zersetzung der Vaterländer in den Weg zu stellen. Auch das deutsche Verfassungsgericht begnügte sich mit der Mahnung, es mit der Preisgabe der Souveränität nicht zu weit zu treiben. Und es war auch zu erwarten, dass die Karlsruher Richter auch die Milliardenzahlungen an Griechenland sanktionieren werden, obwohl das – zuvor ebenfalls von ihnen genehmigte – Maastrichter-Vertragswerk genau solche Zahlungen verbietet. In der Europapolitik hält sich manch einer für einen kleinen Adenauer, bloss weil er heute das Gegenteil von dem predigt, was er noch gestern voller Überzeugung propagierte.

Die Krise Griechenlands und des Euros ist nicht nur einzelnen Personen anzulasten. Es liegen ihr zahlreiche Fehlentscheidungen auf verschiedenen Stufen und in vielen Gremien zugrunde. Es erweist sich nun als fatal, dass sich die Regierenden mit der Arroganz der Macht über sämtliche Einwände hinwegsetzten und Fakten schufen, von denen sie glaubten, sie seien irreversibel. Ihr Platz in den Geschichtsbüchern war ihnen wichtiger als das Wohl der Menschen Europas. Sie werden auch tatsächlich in die Geschichte eingehen. Als Verantwortliche für eine Torheit.

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Erschienen auf der Website der Weltwoche und in der „Schweizerzeit“.