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Den Bundesrat als Führungsgremium stärken

Im Vorwort zu ihrem grossartigen Buch „Die Torheit der Regierenden“ („The March of Folly“) schreibt die US-amerikanische Reporterin und Historikerin Barbara Tuchman, in der Regierungskunst, so scheine es, blieben die Leistungen der Menschheit weit hinter dem zurück, was sie auf fast allen anderen Gebieten vollbracht hat. Stimmt. Umso entschlossener müssen wir jene wenigen Errungenschaften, die es dennoch gibt, verteidigen. Eine der wichtigsten ist meines Erachtens die Idee der Gewaltentrennung und -hemmung, die wir grossen Geistern des 18. Jahrhunderts zu verdanken haben.

Anstatt dass ein absolutistischer Herrscher per Dekret regiert, den Vollzug seiner Anordnungen durchsetzt und auch gleich noch die Strafverfolgung und die Justiz kontrolliert, sollen diese staatlichen Kernaufgaben von drei verschiedenen, unabhängigen Gremien wahrgenommen werden. Diese sollen sich gegenseitig kontrollieren, sich in Schach halten und so gefährliche Machtkonzentrationen verhindern.

Lassen wir die Justiz einmal beiseite und beschäftigen uns mit dem Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive. Dem Wesen nach steht, derjenige, der das Recht setzt, also die Regeln festlegt, über dem, der dessen Beschlüsse zu vollziehen hat. In der Praxis ist es allerdings so, dass zwar nicht unbedingt die Regierung, wohl aber die Verwaltung im Laufe der Zeit massiv an Macht und Einfluss gewinnt, was hauptsächlich auf deren Informationsvorsprung und Erfahrung zurückzuführen ist.

Gefragt ist Gestaltungs- und Führungswille

Regierungen kommen und gehen. Die Verwaltung bleibt die gleiche. So ist es nicht verwunderlich, dass Bundesräte immer deutlicher als verlängerter Arm der eigenen Verwaltung agieren. Anstatt zu führen, werden sie geführt. Dieses Problem lässt sich durch eine Erhöhung der Zahl der Mitglieder der Landesregierung oder durch zusätzliche Staatssekretäre nicht lösen. Solche Massnahmen wären vermutlich sogar kontraproduktiv. Was es braucht, sind Persönlichkeiten, die charakterlich geeignet sind für ein Regierungsamt. Menschen mit Gestaltungswillen. Menschen, die in ihr Amt gewählt werden, weil man ihnen etwas zutraut.

Ganz knapp entschieden sich seinerzeit unsere Verfassungsväter gegen die Direktwahl des Bundesrats durch das Volk. So kurz nach dem Sonderbundskrieg versprach man sich davon wohl eine Wahl, bei der Emotionen eine weniger grosse Rolle spielen. Mittlerweile geht es im Vorfeld von Bundesratswahlen praktisch nur noch um Emotionen, und niemand wird behaupten, dass nur „die Besten und Wägsten“ ins oberste Vollzugsgremium unseres Landes entsandt werden.

Die Bundesverfassung ist grosszügig. Nur zwei Anforderungen muss erfüllen, wer Bundesrat werden will: Infrage kommen alle Schweizerbürgerinnen und Schweizerbürgern, sofern sie auch als Mitglieder des Nationalrates wählbar sind. Nach Abzug der Urteilsunfähigen und Entmündigten gibt es in der Schweiz gemäss neusten Zahlen 5’158’493 Stimmberechtigte. Die Vereinigte Bundesversammlung hätte also eine grosse Auswahl. Sie beschränkt sich allerdings recht stur auf den eigenen Kreis und zieht allenfalls hin und wieder einen Regierungsrat in Betracht.

Wie hältst Du’s mit der SVP?

Leider findet bei Bundesratswahlen kaum ein Aspekt weniger Beachtung als die zentrale Frage nach der Eignung des Kandidaten oder der Kandidatin für das Amt. Das Verfahren verkam zu einem schäbigen Jahrmarkt der Eitelkeiten, in dem kaum etwas zu belanglos ist, um nicht Eingang in die die Medien zu finden. Zur Nagelprobe wurde in diesem Klima die Frage nach dem Verhältnis zur SVP, der wählerstärksten Partei im Land. Ihr zu schaden, ist manchem Strippenzieher wichtiger, als dem Land zu nützen. Weder Politiker noch Journalisten fragen und reflektieren, ob es wünschenswert sei und im Gesamtinteresse unseres Landes liege, dass ein bestimmter Kandidat aufgrund seiner Persönlichkeit und seiner politischen Überzeugungen mit dem höchsten Exekutivamt betraut werden soll. Auch der Idee, die wichtigsten politischen Kräfte in die Regierungsverantwortung einzubinden, droht das langsame Aus. Es brauche heute eine inhaltliche oder ideelle Konkordanz, heisst es. Dabei ist das Bestechende an der so genannten „Zauberformel“ gerade der Umstand, dass Parteien nicht in der Regierung sind, weil sie gleicher Meinung sind, sondern obwohl sie unterschiedliche Auffassungen haben. Die politischen Kräfteverhältnisse des Landes, so die Absicht, sollen sich in der Landesregierung widerspiegeln.

Damit sind wir beim Kern des Problems. Es geht um die demokratische Legitimation eines für das Leben der Schweizerinnen und Schweizer sehr wichtigen Gremiums. Diese ist am besten gewährleistet, wenn sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in diesem Gremium vertreten fühlen. Und nichts garantiert das besser als eine direkte Wahl, wobei über deren konkrete Ausgestaltung, etwa über den Minderheitenschutz, noch zu diskutieren wäre.

Eine Volkswahl der Mitglieder der Regierung, wie sie in sämtlichen Kantonen seit jeher erfolgreich praktiziert wird, würde das Gremium insgesamt stärken. Nicht nur gegenüber der Bundesversammlung, sondern, viel wichtiger, auch gegenüber der Verwaltung. Niemand im Lande könnte auf eine dermassen starke demokratische Legitimation verweisen, wie vom Volk gewählte Bundesräte. Und diese stünden nur dem Souverän gegenüber in der Verantwortung. Damit erführe das Prinzip der Gewaltentrennung, von „checks ans balances“, eine Stärkung. Davon profitierten alle, denn nur im freien und offenen Disput von Ideen und Meinungen kommt eine Gesellschaft vorwärts.