Die FDP schafft in der Europafrage Klarheit – vorübergehend

Wir stehen vor einem Wahljahr. Am 23. Oktober 2011 werden die Eidgenössischen Räte neu bestellt. Und wie es derzeit aussieht werden zwei Themenkomplexe den Wahlkampf dominieren – und entscheiden: „Ausländerkriminalität und Asylrechtsmissbrauch“ sowie „EU-Beitritt“. Bei beidem haben nur zwei politische Lager eine klare Haltung. Die internationalistische Linke will Grenzen niederreissen, Verantwortung kollektivieren und jeden, dem es hier gefällt, mitsamt Familie einreisen lassen. Mörder und Vergewaltiger des Landes zu verweisen, wird als unmenschlich abgelehnt. Wenn einer hier kriminell wird, so liegt das ihrer Meinung nach daran, dass sich die Schweiz zu wenig um Integration bemüht hat. Auf der anderen Seite hält die SVP die Fahne der nationalen Volks-Souveränität hoch. Sie will weder die direkte Demokratie noch die Neutralität preisgeben und der Bevölkerung keine Verdoppelung der Mehrwertsteuer zumuten. Sie ist darum gegen den Beitritt zur EU. Aus den gleichen Motiven leitet die Volkspartei auch ihre Haltung in der Ausländer- und Asylpolitik ab: „Hier gelten unsere Regeln! Wer hier leben will, hat sich diesen anzupassen!“

Dazwischen findet sich „die Mitte“, die krampfhaft nach einem ominösen „dritten Weg“ sucht und sich nur mittels Fusionen und der Bildung von Fraktionsgemeinschaften über Wasser zu halten vermag. Vermutlich ist das der Grund dafür, dass ihre Positionen so wässrig sind. „Die Mitte“ will es allen recht machen. Genau wie im Berner „Burebüebli: „Mau ufe, mau abe, mau linggs, mau rächts, mau füre, mau hingere, mau linggs, mau rächts…“ Wer nach 162 (FDP), bzw. 119 (CVP) Jahren noch nicht begriffen hat, dass man die auf dem Abstimmungszettel gestellte Frage mit „ja“ oder „nein“ beantworten muss, hat unter den gegebenen Voraussetzungen natürlich ein Problem. Das hat mittlerweile auch Fulvio Pelli erkannt, unter dessen Präsidentschaft die zur „FDP.Die Liberalen“ fusionierten Freisinnigen den niedrigsten Wähleranteil in ihrer Geschichte erreicht haben.

Die Freisinnigen treffen sich heute in Herisau zur Delegiertenversammlung. Es gilt, ein Positionspapier zu verabschieden, das den sexy Titel trägt: „Die Schweiz in einer globalisierten Welt – Selbstbewusste Aussenpolitik, Freihandel und aktive Vermittlung zwischen Konfliktparteien.“ Den Konflikt mit Christian Levrat hat Pelli – ohne Vermittlung Toni Brunners – bereits beendet. Jetzt will er auch noch den parteiinternen „Europa-Graben“ zuschütten. EWR- und EU-Beitritt sollen kein Ziel mehr sein. Doch Pelli wäre nicht Pelli, und die FDP.Die Liberalen nicht die FDP.Die Liberalen, wenn sie das auch so klar sagen und beschliessen würden. Wörtlich heisst es im Positionspapier: „Weder eine „Abschottung in einem Alleingang“, noch ein EU- oder EWR-Beitritt sind aktuelle Optionen.“ – Das mit dem „Alleingang“ ist Unfug. Niemand will das. Genauso so obsolet wäre die Aussage: „Die Verlegung des Bundeshauses nach Dagmarsellen ist keine Option.“ Viel wichtiger ist allerdings das Wörtchen „aktuell“, das die vermeintlich angestrebte Klarheit zunichte macht. Was heisst aktuell? Heute? Nächste Woche? Oder heisst es „bis zum 23. Oktober 2010“? Wird man nach den Wahlen für den EU-Beitritt sein, weil man ja nur „aktuell“ dagegen ist? Waren es nicht auch zwei freisinnige Bundesräte, die das Bankkundengeheimnis für „nicht verhandelbar“ erklärten?

Mit der so „geklärten“ Europa-Position werden auch die freisinnigen Euro-Turbos problemlos leben können. Unter Verweis auf veränderte Umstände werden sie frei nach Ulrich von Rudenz aus Schillers „Wilhelm Tell“ weiterhin behaupten, es sei vergebens, der EU zu widerstreben, die Welt gehöre nun einmal ihr. Und sie werden fragen, ob wir uns tatsächlich „eigensinnig steifen und verstocken, die Länderkette ihr unterbrechen, die sie gewaltig rings um uns gezogen“. Nichts Neues unter der Sonne.

Die freisinnige Familie wird also in Minne auseinandergehen, und niemand wird bemängeln, dass die Sache mit der Nato-Mitgliedschaft, die in der „Vision 2007“ in internationalistischem Übermut gefordert wurde, im neusten Wurf mit keiner Silbe erwähnt wird. Von einer wirklichen Klärung der aussenpolitischen Position kann also keine Rede sein. Es werden einmal mehr die Wählerinnen und Wähler sein, die Klarheit schaffen müssen. In einem Jahr haben sie dazu Gelegenheit.
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Erschienen in der Berner Zeitung vom 16. Oktober 2010.

Ein Gedanke zu „Die FDP schafft in der Europafrage Klarheit – vorübergehend“

  1. Die FDP hat doch einfach Kreide gefressen. Wetten, dass dieser Beschluss blitzartig von der FDP umgestossen wird, wenn das Windlein wieder einmal Richtung EU drehen sollte. Dies allerdings scheint nicht so schnell der Fall zu sein. Die EU kommt einem vor wie jemand, der mit 2 Händen 3 Löcher zuhalten sollte.

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