Sterben für die Classe politique? – Die Schweiz wird weder am Hindukusch noch in der Ukraine verteidigt

Militärische Auslandeinsätze lassen sich nicht nach Belieben der Politiker an der Heimatfront eingrenzen. Sie können innert kürzester Zeit eine gefährliche Eigendynamik entwickeln. Mit einem Mal sind nicht mehr die „Guten Dienste“ gefragt, sondern die Bereitschaft zum Töten. Glücklich ist dann das Land, das sich neutral verhalten kann und dessen Neutralität von den Konfliktparteien auch anerkannt wird. (Verfasst 2007)

In keiner Domäne der Politik haben sich aristokratische Strukturen so sehr erhalten wie in der Aussenpolitik, die immer mehr zu einem Tummelfeld für geltungssüchtige Politiker und ehrgeizige Militärs wird. Bei Champagner und Kaviar werden ebenso leichtfertig Milliardenzahlungen wie militärische Unterstützung versprochen. Das nennt man internationale Solidarität. Im berühmten Gedicht von Bertold Brecht fragt der lesende Arbeiter „Wer bezahlt die Spesen?“ Die Antwort ist klar: Dafür aufzukommen haben wie seit jeher die Bevölkerung und der einfache Soldat, letzterer hat unter Umständen gar mit seinem Leben zu bezahlen.

Schweizer Politiker erliegen zusehends der Versuchung, sich im internationalen Scheinwerferlicht zu sonnen. Sie wollen dabei sein und schicken darum Soldaten in den Kosovo, wo sie unter anderem leere Häuser bewachen, Präsenz markieren, Kommunizieren und Politiker aus der Heimat empfangen. Auf den Nachweis, dass solche Einsätze der Schweiz tatsächlich etwas bringen, warten wir vergebens. Nicht einmal das leidige Fluglärmproblem mit unserem nördlichen Nachbarn liess sich im Zuge dieser internationalen Solidaritätseuphorie aus der Welt schaffen. Wo ein konkretes Ziel erreicht werden sollte, versagen unserer Aussenpolitiker. Es ist eindeutig so, dass die Schweiz umso stärker unter Druck gerät und werde umso mehr zur Kasse gebeten wird, je mehr sie sich am internationalen Aktivismus beteiligt.

Deutschland geht es ähnlich. Schliesslich sind deutsche Politiker nicht besser als unsere. Auch in unserem nördlichen Nachbarland rückt das Allgemeinwohl in den Hintergrund, wenn die Möglichkeit besteht, sich persönlich in Szene zu setzen. Ebenfalls gross in Mode sind derzeit Besuche bei im Ausland stationierten Truppen. Mitunter stellt sich gar die Frage, ob der Grund für Auslandeinsätze nicht letztlich darin besteht, Politikern Medienauftritte zu ermöglichen. Schliesslich ist es wesentlich einfacher und dankbarer mit Helm, schusssicherer Weste und besorgtem Gesichtsausdruck vor laufenden Fernsehkameras über den Weltfrieden zu reden, als zu Hause Probleme zu lösen.

Ein Platz an der Sonne

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Bundesrepublik Deutschland in aller Bescheidenheit – und dennoch erfolgreich – von Bonn aus regiert. Nach der Wiedervereinigung wurde es den Politikern dort rasch zu eng. Man wollte in die ehemalige Reichshauptstadt Berlin zurück, und überdimensionierte Bauten wie das neue Kanzleramt machen deutlich, dass es mit der Bescheidenheit vorbei ist. Man will noch immer den Platz an der Sonne und glaubt, diesen unter anderem mit einem Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu finden. Doch ein solcher ist nicht gratis zu haben. Die Rechnung lässt nicht auf sich warten.

Ende der 80er Jahre als die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten der Reihe nach in sich zusammenbrachen schlug der amerikanische Präsident George Bush dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl die Bildung einer Allianz der „Partners in Leadership“ vor. Zierten sich die Deutschen damals noch, weil man die Franzosen, mit denen man ein neues Europa aufbauen wollte, nicht verärgern wollte, so hat sich mittlerweile die aussenpolitische Doktrin grundsätzlich verändert. Beteiligte man sich anfänglich noch mit grösster Zurückhaltung an Auslandeinsätzen und beschränkte sich zunächst – unter dankbarer

Berufung auf eine historisch begründete Sonderstellung – auf logistische Hilfeleistungen, fielen die Hemmungen immer mehr, und abgesehen von der extremen Linken wendet sich heute im Bundestag keine Partei mehr dagegen, wenn es darum geht, Truppen ins Ausland zu schicken.

Gefährlicher Strudel

So fanden sich bayrische Gebirgsjäger plötzlich in Afghanistan wieder, wo sie Brunnen graben und ansonsten nicht wissen, wie sie die Zeit totschlagen sollen. Ganz ähnlich also wie die Schweizer Soldaten im Kosovo, wobei der Einsatz in Afghanistan natürlich wesentlich gefährlicher ist. Nicht nur das, er wird täglich gefährlicher, weil es der internationalen Koalition offensichtlich nicht gelingt, das Land zu befrieden und die Taliban-Rebellen im Vormarsch sind.

In den vergangenen Wochen wurden immer wieder Forderungen vor allem aus den USA, Kanada und Grossbritannien laut, Deutschland und andere Nato-Partner müssten innerhalb der internationalen Afghanistanschutztruppe (Isaf) mehr Verantwortung übernehmen und Kampftruppen in den Süden des Landes schicken, wo sich die Soldaten einiger weniger Nato-Staaten seit Monaten verlustreiche Kämpfe mit den Taliban liefern.

„Lernt zu töten!“

Nun eskaliert die Situation, denn in dieser Region sollen zwölf kanadische Soldaten getötet worden sein – auch weil deutsche Soldaten den Truppen des Nato-Partners nicht zur Hilfe kamen. Der Isaf-Kommandeur habe während der Operation „Medusa“ im Sommer 150 Mann aus Kampftruppen zur Unterstützung erbeten, der deutsche Kontingentführer habe daraufhin jedoch mitgeteilt, er habe zwar Soldaten, die er schicken könnte. Doch bekomme er aus Berlin keine Erlaubnis dafür. Zwar verbieten politische Vorgaben bisher Einsätze der Bundeswehr im Süden – gleichwohl sieht das deutsche Mandat ausdrücklich Hilfe für Alliierten in Notlagen vor.

Der Druck auf Deutschland steigt. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete kürzlich, dass der Regierungsbeauftragte für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Karsten Voigt, bei einem Besuch in Washington von Offiziellen bedrängt wurde, die Bundeswehr könne nicht immerzu nur im ruhigen Norden Patrouille fahren. Gefordert wird eine „faire Aufteilung der Lasten“. Die deutschen Soldaten müssten „lernen zu töten“. Sie werden es lernen. Die Regierung wird dem Druck am Ende nachgeben. Die Frage ist nur, wie viele Särge die Heimatfront erträgt.

Zurück zur Neutralität!

Ein beliebtes Argument in der Politik, das eigentlich gar keines ist, lautet: „Wer A sagt, muss auch B sagen.“ Obwohl diese Schlussfolgerung keineswegs zwingend ist, erweist sich die vermeintliche Logik als erstaunlich erfolgreich. Auch in der Schweiz erfreut sich die so genannte Salami-Taktik grösster Beliebtheit. Wurde zunächst noch hoch und heilig versprochen, Auslandeinsätze seien nur etwas für Freiwillige, waren sie für Instruktoren bald obligatorisch, und nun sollen sogar WK-Soldaten dazu gezwungen werden können. Wenn das A, B und C sind, graut mir vor D, E, und F. Wann werden auch wir das Töten eines Gegners, mit dem wir nichts zu tun haben, lernen müssen?

Es ist verständlich und im Grunde beruhigend, dass Regierungen ihrer eigenen Soldaten nicht ohne Not einer Todesgefahr aussetzen wollen. Wer jedoch Machtpolitik betreiben will – und das tut jede Regierung, die behauptet ein militärischer Auslandeinsatz liege im nationalen Interesse – muss bereit sein, Opfer zu bringen. Und genau dazu sind die europäischen Regierungen nicht bereit. Sie erachten es offensichtlich als normal und richtig, dass die besonders gefährlichen Einsätze von den Amerikaner, den Kanadiern und den Engländern geleistet werden. Diese Rechnung kann auf Dauer nicht aufgehen. Erst recht nicht, wenn sich ein Verteidigungsbündnis, wie die Nato, zum Eingreifbündnis entwickelt, das zur Krisenlösung oder Friedenssicherung überall auf der Welt eingesetzt wird.

Es gibt nur ein Konzept, das einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet: Das ist die Neutralität, wie sie im Rahmen des Wiener Kongresses von 1815 von den Europäischen Staaten in einer besonderen Erklärung verbrieft wurde. Diese Neutralität muss jedoch auch glaubwürdig sein, und das ist sie nur dann, wenn sie von den Konfliktparteien auch so wahrgenommen wird. Streit um die Neutralität und um damit verbundene juristische Spitzfindigkeiten sind der Glaubwürdigkeit zutiefst abträglich. Wer sich stets aufs neue darüber klar werden muss, wie er sich einer konkreten aussenpolitischen Situation verhalten soll, und sich schliesslich in gewundene Erklärungen flüchtet, verliert seine Glaubwürdigkeit und zerstört damit ein wichtiges friedenspolitisches Instrument. Und was kann es für die Schweizer Regierung wichtigeres geben, als dafür zu sorgen, dass das eigene Volk in Frieden leben kann?

Stichwort „Neutralität“

  1. Neutralität bedeutet in der internationalen Politik, dass ein Staat sich nicht an bewaffneten Konflikten zwischen anderen Staaten beteiligt. Das Neutralitätsrecht beinhaltet auch das Recht des neutralen Staates, durch den Konflikt unbehelligt zu bleiben.
  2. Die schweizerische Neutralität ist selbstgewählt, dauernd und bewaffnet. Sie ist nicht ein Selbstzweck, sondern war immer ein Instrument der schweizerischen Aussen- und Sicherheitspolitik. Sie dient ferner dem inneren Zusammenhalt des Landes und bietet die Grundlage für die „Guten Dienste“.
  3. Praktisch entwickelte sich die Schweizer Neutralität seit der Niederlage in der Schlacht bei Marignano 1515. International anerkannt ist die Neutralität der Schweiz seit dem Wiener Kongress von 1815.
  4. Neutralität schützt vor den Wünschen der Eliten nach Grösse, Medienauftritten, Applaus und Ruhm. Sie zwingt zur Bescheidenheit und dazu, das Anliegen des Neutralen immer wieder zu erklären, nicht zu rechtfertigen.
  5. Untrennbar mit der Wahrung der Glaubwürdigkeit verbunden auch der Wille, die Neutralität – falls Politik und Diplomatie scheitern sollten – notfalls auch mit Waffengewalt zu verteidigen.
  6. Neutral ist, wer von Konfliktparteien als neutral betrachtet wird.