2017: Rückt das Ende der EU und des Euro näher oder: wenn Le Pen doch gewählt wird?

Nach dem überraschenden Wahlsieg von Donald Trump und den bitteren Erfahrungen der Politelite mit der Brexit-Abstimmung und dem Referendum in Italien fragen sich viele Anleger, welches die nächsten politischen Tretminen sein könnten. Kommt es sogar zu einem Triple- oder Vierer-Paket? – Ein Gastbeitrag von Wirtschaftsberater und alt Nationalrat Hans Kaufmann

Kommt es am März 2017 zu einem Wahlsieg von Geert Wilders und seiner  rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV) in den Niederlanden, der das Land vor schwierige Koalitionsverhandlungen der Restparteien stellen wird. Blockiert anschliessend eine brüchige Mehrparteienregierung aus kleineren Parteien das Land politisch über mehrere Jahre?

Wird in Frankreich am 23. April und 7. Mai 2017 Le Pens (Front National), zur Staatspräsidentin gewählt, die dem traditionellen Zweiparteiensystem ein Ende setzen und ein Referendum über einen Euro- und EU-Austritt anberaumen wird?

Enden die deutschen Bundestagswahlen (24. September 2017) in einer Sechsparteien-Landschaft und wird Kanzlerin Merkel durch eine rot-rot-grüne-Koalition abgelöst?

Und schliesslich könnte es auch noch in Italien zu vorgezogenen Neuwahlen (ordentliche Wahlen im Februar 2018) mit EU-feindlichem Ausgang kommen. Auch in Italien droht ein Referendum über einen Euro-Austritt.

Die anstehenden Wahlen kommen für Europa bzw. die EU zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die EU steht 2017 ohnehin vor grossen Herausforderungen, angefangen bei den Verhandlungen über den Brexit bis zum Umgang mit dem neugewählten US-Präsidenten Trump.  Weder für die Flüchtlingskrise, die Finanzprobleme Griechenlands, die Bankenkrise in Italien noch bezüglich des Ukraine-Konfliktes inkl. Boykotte von Russland sind Lösungen in Sicht. Viele Anleger befürchten ein Auseinanderbrechen der EU und des Euros, wenn es in Europa zu einem parteipolitischen Richtungswechsel in diesen vier Kernländern kommt. Die wichtigste diese vier Wahlen ist wohl jene in Frankreich, denn dabei geht es nicht nur um Frankreichs Regentschaft, sondern auch um die Zukunft der EU und des Euros. Frankreich nimmt innerhalb der EU eine Schlüsselstellung ein, als einzige verbliebene Atommacht der EU auch auf militärischem Gebiet. Die Achse Deutschland-Frankreich gilt als Kernstück der EU. Die französischen Spitzenbeamten, an den landeseigenen Kaderuniversitäten für den öffentlichen Dienst gedrillt, gelten als Rädelsführer des Brüsseler Zentralismus.

Der monatliche Index betreffend die politischen Unsicherheiten zeigt für Frankreich per Ende 2016 die höchsten Werte seit Beginn der Statistik im Jahre 1987an. Offensichtlich schätzen viele Marktteilnehmer, die Medien und die Politik die Lage in Frankreich für derart unsicher ein, dass ein massiver Kurswechsel bzw. eine Wahl von Marine Le Pen, der Vertreterin der rechtspopulistischen Front National zur französischen Präsidentin nicht mehr ausgeschlossen wird.

Aufgeblähter Staat erdrückt die freie Wirtschaft

Rein wirtschaftlich betrachtet rangiert Frankreich mit einem BIP 2016 von EUR 2’229 Mrd. (nach Deutschland mit einem BIP 2016 3’130 Mrd. und Grossbritannien EUR 2’375 Mrd.) als drittgrösste Volkswirtschaft Europas und als sechstgrösste der Welt.  Das BIP entspricht dem Total der 18 kleinsten EU-Länder zusammengerechnet. Flächenmässig ist Frankreich das grösste Land der EU. Mit 66.4 Mio. Einwohnern und einen Anteil von 13.1% an der EU-Bevölkerung liegt Frankreich auf Rang 2. Zur Finanzierung der EU trägt Frankreich brutto EUR 19 Mrd., netto EUR 5.5 Mrd. bei. Brisant sind Frankreichs Garantieverpflichtungen für den Europäischen Rettungsfonds und andere gemeinsame Euro- oder EU-Institutionen im Falle eines Ausscheidens aus der EU oder aus dem Euro. Gemessen an den absoluten Staatsausgaben liegt Frankeich in Europa hinter Deutschland auf Platz 2, pro Kopf hinter Dänemark, Schweden, Finnland und Österreich auf Rang 5. Seit 1974, d.h. in den letzten 42 Jahren, schloss die Staatsrechnung jedes Jahr mit einem Defizit ab. Nur Finnland weist mit 58.7% eine noch höhere Staatsquote auf als Frankreich mit 57.2% (2014). Unter den weltgrössten Staatsschuldnern belegt Frankreich Rang 7, in Europa Rang 4. Frankreichs Arbeitslosigkeit liegt mit 9.5% (November 2016) mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland (4.1%). Frankreich verfügt über die personalmässig grösste Armee Westeuropas und hilft vor allem in Afrika mit Spezialtruppen Ländern wie Niger, Mali, Tschad den Terrorismus zu bekämpfen. Die wichtigsten Kennzahlen Frankeichs in der nachfolgenden Tabelle stammen von Eurostat, INSEE und vom IWF:

Wahlen in Frankreich sind auch ein Plebiszit für oder gegen die EU

Vor jeder der vier bevorstehenden Wahlen in der EU werden die Finanzmärkte nervös reagieren, denn die Umfrageergebnisse von demoskopischen Instituten sind heute kein verlässlicher Wegweiser mehr. Unsicherheit würde sich vor allem dann breitmachen, wenn bereits in den Niederlanden die PVV deutlicher als heute von vielen befürchtet, siegen würde. Ebenso ungewiss wie die Wahlausgänge sind aber auch die Folgen und die Reaktionen der Finanzmärkte. Die Anti-EU- und Anti-Euro-Sympathisanten sollten dabei Folgendes nicht übersehen. Die meisten populistischen Parteien in der EU sind zwar Alternativen zu den abgehobenen Politeliten und zur Brüsseler Bürokratie.  Mit Ausnahme der AfD sind die meisten aber dennoch kein echte Alternative zu den Sozialisten und jenen Bürgerlichen, die die EU ins Elend regiert haben. Es liegt nicht nur an der qualitativen, personellen Dotierung für die Übernahme von Regierungsverantwortung, die den jungen Parteien meist fehlt. Die rechtspopulistischen Parteien lehnen grossmehrheitlich einen staatlichen Sparkurs ab und möchten lieber wieder die Schuldenschleusen öffnen. Immerhin setzen sie aber in der Ausgabenpolitik andere Prioritäten, indem sie – wie von US-Präsident Trump vorexerziert – die eigene Bevölkerung an erster Stelle setzen und die Immigration selektiver und zurückhaltender gestalten wollen. Andererseits postulieren sie im Aussenhandel protektionistische Massnahmen.

Noch glaubt die EU-Politik und ihre Medien-Entourage, dass nicht sein kann, was aus ihrer Sicht nicht sein darf. Aber 2016 hat gezeigt, dass die Eliten die Realität falsch einschätzten und Revolutionen auch an der Urne stattfinden können. Sollten in den Niederlanden, in Frankreich, in Italien und allenfalls in Deutschland die heutigen Regierungsparteien weggefegt werden, dann werden auch die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs, im tatsächlichen Entscheidungsgremium der EU, kippen. Die Koalition der Gutmenschen (Christdemokraten EVP) und Umverteiler (Sozialisten) drohen ihre heute noch knappe Mehrheit zu verliert.

Besonders tragisch könnte sich die Enttrohnung der etablierten Parteien auswirken, wenn in Frankreich oder Italien auch noch Referenden über einen EU- oder Euro-Austritt erfolgreich wären, und damit der Zerfall der EU und des Euros beschleunigt würde. Als Kapitalanleger müsste man sich eigentlich auf solche Szenarien einstellen, aber die wenigsten tun es, weil sie – wie die Politelite – hoffen, dass nicht eintritt, was nicht eintreten darf. Sollte es dennoch zu einem oder anderen Durchbruch der Populisten kommen, werden die Märkte reagieren. Aber wie sie reagieren werden, lässt sich nicht zuverlässig abschätzen. Entgegen den Vorhersagen der sogenannten Profis der Finanzbranche, brach der britische Aktienmarkt nach dem Brexit nicht ein und auch in den USA kletterte der DJ-Aktien-Index trotz Trumps Sieg auf einen neuen historischen Höchststand. Am stärksten dürften sich die Wahlen auf die Währungen auswirken. Obsiegen die etablierten Parteien, dann werden einzelne Aktienmärkt wohl temporär jubilieren, aber solche Siege der Politelite könnten sich als Phyrus-Siege erweisen, denn «nach den Wahlen ist vor den nächsten Wahlen».

Wahlsiege bedeuten keinen Richtungswechsel

Selbst wenn Kanzlerin Merkel im September 2017 im Amt überlebt, steht sie in Europa in wesentlichen Fragen zusehends auf verlorenem Posten.  Die Briten fehlen ihr wegen des Brexit für die Sicherung eines liberalen Kurses in der EU- Wirtschaftspolitik, die Italiener und Franzosen wollen nicht weiter Austeritätsprogramme auf Befehl Deutschlands umsetzen und sie werden auch einen anderen Russlandkurs einschlagen als von Deutschland propagiert. Sowohl in Frankreich als auch in Italien werden wohl Volksabstimmungen über den Verbleib im Euro und in der EU aufgegleist werden, denn aus dem Euro kann man theoretisch nur austreten, wenn das Land zuvor die EU verlässt. Als Koalitionspartner unter den grossen 5 EU-Nationen kämen für Merkel dann noch Spanien und Polen infrage, aber erstere haben ebenfalls genug von Sparvorgaben aus Deutschland und gegenüber Polen hat sich Kanzlerin Merkel mit ihrer Abstempelung der heutigen Machthaber als «unerwünschte Regierung» ins Abseits manövriert. Dies obwohl Polen wohl als einziges der grossen EU-Länder die Kanzlerin bei ihrer harten Haltung gegenüber Russland unterstützt. Kommt dazu, dass die spanische Minderheitsregierung Mariano  Rajoy selbst nur auf Zusehen hin von den übrigen Parteien geduldet ist und möglicherweise ein Referendum über ein autonomes Katalonien (Barcelona) ausgerufen wird. Frankreich ist ja nicht das einzige Land, in dem sich Anti-EU und Anti-Euro-Kräfte in schnellem Tempo breitmachen. Die nachfolgende Tabelle zeigt die in den jüngsten Umfragen ermittelten Parteienstärke in einigen europäischen Ländern und den Anteil der Bevölkerung, der einen Euro-Austritt befürwortet:

53% der französischen Wähler möchten über die EU-Mitgliedschaft abstimmen, wie eine Umfrage gegen Ende 2016 zeigt. Das EU-Thema wird im französischen Wahlkampf ein Thema werden, auch wenn derzeit noch  45% für einen Verbleib, 33% für einen Austritt und 22% noch unentschieden sind.

Noch wird die Wahrscheinlichkeit eines breiten Rechtsrutsches in Europa für minim gehalten, aber einen radikalen Kurswechsel auszuschliessen, wäre fahrlässig. Selbst wenn in Europa die populistischen Parteien von der herrschenden Politelite nochmals besiegt werden, muss man sich bewusst sein, dass damit die anstehenden Probleme nicht gelöst sind und die Geschichte zeigt: wenn friedliche «Revolutionen» von der selbsternannten Elite abgewürgt werden, kommen sie zu einem späteren Zeitpunkt allenfalls mit Gewalt zurück. Die Bevölkerung realisiert, dass die Elite vielfach nur noch um ihren Machterhalt, um ihre Pfründe und Pöstchen kämpft. Diese Verhaltensweise wird weniger und weniger toleriert und als Kapitalanleger müsste man eigentlich zur Kenntnis nehmen, dass sich eine Clique von Politikern an der EU-Spitze und vielerorts auch auf nationaler Ebene eingenistet hat, die sich heute nicht mehr an die Verfassungs- und Verträge halten. Sie bezeichnen sich oft noch als bürgerlich, obwohl sie selbst die Umverteilung ungebremst vorantreiben und entsprechende Massnahmen zur Finanzierung treffen. Dies ist auch in Deutschland der Fall. Mit grosszügigen Staatsausgaben zwecks Umverteilung lassen sich Stimmen kaufen und Steuererhöhungen sind einfacher durchzuführen als staatliche Sparmassnahmen umzusetzen.

Die heutige EU-Politelite kümmert sich einen Deut um ihre vertraglichen Maastrichter-Versprechen, die jährlichen Defizite der Staaten auf 3% des BIP zu begrenzen und die Verschuldung bei 60% des BIP zu stabilisieren. Auch 2016 erfüllten 18 von 29 EU-Ländern die Schuldenobergrenze von 60% nicht und 5 Länder, darunter Frankreich, werden ein Defizit von mehr als 3% aufweisen. Frankreich und Deutschland waren die ersten Euro-Länder, die die Maastrichter Regeln verletzten und ungestraft davonkamen. In Deutschland, wo 2016 ein Budgetüberschuss von EUR 19.5 Mrd. erzielt wurde, verdrängen die Politiker die Vertragstreue. Vielmehr sinnieren sie darüber, was mit dem Überschuss zu tun sei. Fakt ist jedoch, dass auch Deutschland eine Verschuldungsquote aufweist, die mit 71% (2015) klar über der Maastrichter Höchstgrenze liegt. Beängstigend ist aber nicht nur der Schuldenstand und die Defizitwirtschaft vieler EU-Staaten, vorab auch in Frankreich und Spanien, sondern auch der gestiegene Staatsanteil am BIP. Dieser liegt zwar im Euroraum bei «nur» 46.3%, aber Frankreichs Staat ist in den letzten Jahren auf über 56% des BIP gewuchert (zum Vergleich: Deutschland 45%, USA 33%, Schweiz 36%, Japan 36%). Die aufgeblähten Staaten und der  überdimensionierten Bankensektor sind Probleme, die das längerfristige Wachstum in Europa beschneiden werden. Dazu kommen die demographischen Probleme für die Arbeitsmärkt (Überalterung, zu geringe Kinderzahlen). Die unfinanzierbaren Sozialsysteme belasten die Staatsrechnungen immer stärker. Staatsschulden sind letztlich nichts anderes als künftige Steuern und je höher diese angesetzt werden, umso geringer fällt die Kaufkraft der Konsumenten und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen aus. In Europa, vorab in Frankreich, hat die Staatsclique besonders viel zu verlieren und deshalb wird die Elite auch alles daransetzen, ihre Macht zu verteidigen.  In jüngster Zeit erscheint auch die Rede- und Meinungsfreiheit in der EU gefährdet und die Zensur von unerwünschten Neuigkeiten ist unter dem Deckmantel «Kampf gegen Fake-News» wieder im Anzug.

Schlechte Verlierer

Immer öfters zeigt sich, dass sich die entmachtete „frühere Elite“ als schlechte Verlierer erweisen. Diese Feststellung trifft vor allem auf die politisch Linke zu. Damit sind nicht nur die Protestmärsche nach verlorenen Wahlschlachten gemeint, sondern die Tatsache, dass die ungeliebten neuen Konkurrenten, die so genannten populistischen Parteien, aus der Regierung ausgeschlossen werden, weil keine der Verliererparteien mit ihnen Koalitionen eingehen will. Dies ist selbst dann der Fall, wenn die Rechtspopulisten als stärkste oder zweitstärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen. Solche Beispiele findet man z.B. anlässlich der Landtagswahlen selbst in Deutschland.  Das ist das Demokratieverständnis der Elite. Solange die Bürger in ihrem Sinne wählen und stimmen wird die Demokratie hochgehalten, im umgekehrten Falle wird das Volk als unmündig taxiert und die Demokratie infrage gestellt.

Realitätsverlust der EU-Politelite

Die Realität präsentiert sich häufig anders als sie das Polit-Establishment wahrhaben will. Aber selbst glasklare Umfrageergebnisse werden zugunsten der herrschenden Klasse umgemünzt. So suggeriert der Titel des Bericht über die jährliche Umfrage der Europäischen Kommission in 34 Länden  (21. Bis 31. Mai 2016) „hohe Zustimmung für die Prioritäten der Kommission“, dass die EU-Bürger mit der Arbeit der EU-Bürokratie in Brüssel vollauf zufrieden seien. Die Umfrage belegt aber vielmehr das Gegenteil. Die Bürgerinnen und Bürger machen sich vor allem Sorgen wegen der ungezügelten Immigration (48%) und des Terrorismus (39%).  Und diese Probleme sind nun mal nicht die unbestrittenen Prioritäten der EU-Kommission. Im Gegenteil, die Personenfreizügigkeit darf nicht infrage gestellt. Wer einen Abbruch der Flüchtlingszuwanderung und eine Massenrückführung fordert, um die Einschleppung von Terrorismus und fremder Kulturen zu verhindern, wird als unsolidarisch und nicht den europäischen Werten verpflichtet abgetan. Dabei stellt die ungezügelte Immigration gemäss der Umfrage in 20 Ländern das Hauptproblem dar. Viele Bürger akzeptieren zwar eine Zuwanderung aus EU-Ländern (58%), aber die gleiche Prozentzahl lehnt eine Zuwanderung von ausserhalb der EU ab. Warum nimmt man in der EU diese klaren Signale nicht zur Kenntnis? Die Realitätsverweigerung der Politiker geht heute so weit wie sie der französische König Ludwig XVI zu Beginn der französischen Revolution (1789 bis 1799) zutage legte. Obwohl während seines Jagdausflugs die Bastille vom Volk gestürmt wurde, schrieb er über die Ereignisse des Tages in sein Tagebuch: „Nichts“. Missliebige Referenden in Frankreich, in den Niederlanden und in Irland (z.B. 2005 über eine europäische Verfassung) werden schlicht und einfach ignoriert und umgangen statt als  Wegweiser für ein Europa der selbstbestimmenden Völker begriffen. Man will immer noch nicht zur Kenntnis nehmen, dass die zu rasche EU-Erweiterung auf 28 Länder und die Aufnahme von Ländern in den Euro, die aufgrund der wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür nicht qualifizierten, grundlegende Fehler waren.

Von breiten Bevölkerungskreisen werden heute Immigration und Terrorismus als gravierendere Probleme eingestuft als die wirtschaftliche Situation (19%), die Staatsfinanzen (16%) und die Arbeitslosigkeit (15%). Die EU-Kommission gibt sich auch stolz, dass 55% der EU-Bevölkerung den Euro positiv bewertet, innerhalb der Euro-Zone sogar 68%. Solche Umfragewerte sind doch, realistisch betrachtet, eher enttäuschend. Man stelle sich vor, nur 55% der Schweizer ständen noch hinter dem Franken! Und stolz ist man auch, dass immerhin 33% in die EU Vertrauen hätten, während die nationalen Regierungen nur von 27% als vertrauenswürdig eingestuft würden. Solche „Vertrauensbeweise“ wären eigentlich ein Grund für einen sofortigen Rücktritt der Regierenden, auf nationaler wie auf EU-Ebene. Nur 38% der Befragten glauben, dass sie als Stimmbürge in der EU etwas zu sagen hätten.  Und da behaupten die EU-Machthaber allen Ernstes, die Mehrheit der Bevölkerung stände hinter ihrer Politik. Andere jüngere Umfragen zeigen, dass sich 55% der EU-28-Bürger vor der Globalisierung fürchten, 35% vor einem wirtschaftlichen Abstieg und 50% hängen an traditionellen Werten.

Der französische Staatspräsident verfügt über grosse Macht

Am 23. April und 7. Mai 2017 finden die französischen Präsidentschaftswahlen statt. Der Präsident wird vom Volk gewählt. Die Amtszeit beträgt 5 Jahre, d.h. sie dauert von 2017 bis 2022. Eine Wiederwahl ist möglich, allerdings für höchstens zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden. Vor 2002 wurde der Staatspräsident für eine Amtszeit von sieben Jahren gewählt und die Zahl der Wiederwahlen war unbegrenzt. In anderen Staaten wird das Staatsoberhaupt meist nach den Parlamentswahlen gewählt, und die Regierung wird dann vom Parlament zusammengestellt. In Frankreich erfolgt die Präsidentschaftswahl zeitlich vor der Parlamentswahl, die am 11. und 17. Juni stattfindet. Im Gegensatz zu anderen Ländern in Europa verfügt der französische Präsident über wesentlich grössere Machtbefugnisse:

  • Er hat das Recht zur Auflösung des Parlaments, d.h. der Nationalversammlung.
  • Er ernennt den Premierminister und führt den Vorsitz im Ministerrat,
  • Er fertigt die Gesetze vor ihrem Inkrafttreten aus und kann weitere Beratungen über bereits verabschiedete Gesetze erzwingen sowie Volksentscheide durchführen lassen.
  • Er ist Oberbefehlshaber der Armee.
  • Er hat das Begnadigungsrecht
  • In der französischen Verfassungswirklichkeit seit Beginn der Fünften Republik 1958 gibt es die Domaine réservé, einen „reservierten Bereich“, der dem Präsidenten die Verantwortung für Aussenpolitik und Streitkräfte zuweist. So kann er etwa bei Gipfeltreffen das Land allein vertreten.
  • Der Premierminister wird zwar durch den Präsidenten ernannt, ist dann allerdings dem Parlament

Während die Präsidenten ihre Amtszeit in der Regel aussitzen, kommt es innerhalb der Regierungen zu häufigen Wechseln der Ministerämter und des Ministerpräsidenten. Noch nie hat in der 5. Republik (seit 5. Oktober 1958) ein Präsident auf seine Wiederwahl verzichtet. Präsident Holland ist der erste. Viele Franzosen sehnen sich nach einem Präsidenten als starke Führungskraft der Frankreich wieder zur alten Stärke und Glorie zurückführen soll, etwa in der Art von General De Gaulle, dem ersten Präsidenten der 5. Republik.

Bernard Cazeneuve ist seit 1959, d.h. seit 53 Jahren,  bereits der 26. Ministerpräsident, während in dieser Zeit nur 7 Präsidenten amteten:

Charles de Gaulle 1959-69 (UNR / Konservativer)
Georges Pompidou 1969-74 (UDR / Gaullist / Konservativer)
Valéry Giscard d’Estaing 1974-81 (UDF / Liberal-konservativer)
François Mitterand 1981-95 (Sozialist)
Jacques Chirac 1995-2007 (UMP / Gaullist /Konservativer)
Nicolas Sarkozy 2007-12 (UMP / Gaullist / Konservativer)
François Hollande 2012-17 (Sozialist)

François Fillon war bisher der einzige Premierminister, der die komplette Amtszeit eines Staatspräsidenten amtierte. Mit einer Amtszeit von 4 Jahren, 11 Monaten und 23 Tagen war er nach Georges Pompidou (6 J / 2 M / 26 T) der bisher am zweitlängste amtierende Premier. Noch zahlreicher als die Ablösung von Premierministern waren die Auswechslungen, Absetzungen und Rochaden in den Ministerämtern.

Dieses schon seit Jahren praktizierte Polit-Karussell, bei dem es um ideologische Machtkämpfe, um Pfründe und Prestige geht, sind mit ein Grund für den fehlenden Reformwillen, den kümmerlichen Leistungsausweis der französischen Regierungen und den wirtschaftlichen Niedergang des Landes.  

Die Spitzenkandidaten für die Wahlen vom 23. April

Nachdem die französischen Sozialisten am 29. Januar 2017 den früheren Bildungsminister Benoît Hamon zu ihrem Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahlen vom 23. April aus 7 Bewerbern kürten, ist die Palette der realistischen Bewerber um das Präsidentenamt mehr oder weniger komplett:

Marine Le Pen (Front Nationale / FN)

François Fillon (Républicains / RL)

Benoît Hamon (Parti socialiste / PS)

Emmanuel Macron (Ex-PS / „En Marche“)

Jean-Luc Mélechon (Ex-PS / „La France Insoumise“)

Yannick Jadot (Grüne)

Der französische Präsident wird in der Regel in zwei Runden bestimmt, denn noch nie hat ein Bewerber im ersten Wahlgang das absolute Mehr, das für eine Wahl im ersten Wahlgang notwendig wäre, erreicht. In die zweite Entscheidungsrunde (7. Mai 2017) gelangen jene 2 Kandidaten, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erzielt haben. Derzeit wird erwartet, dass in der Endrunde am 7. Mai 2017 der konservative Fillon mit 70% zu 30% die Spitzenkandidatin des FN, Marine Le Pen, schlagen wird. Als linker Aussenseiter wird Emmanuel Macron gehandelt.

Die Wahlen in Frankreich werden für Europa wegweisend sein, denn das Land spielt innerhalb der EU vor allem deshalb eine wichtige Rolle, weil Frankreich bis anhin die Führerschaft bezüglich Zentralismus innehielt. Frankeich versucht schon seit Jahren planmässig so viele wie mögliche Spitzenposten der EU und in anderen internationalen Wirtschaftsorganisationen zu besetzen. Noch immer trauert die französische Politelite jenen Zeiten nach, als Frankreich noch als „Grande Nation“ galt und entsprechend arrogant tritt sie in den internationalen Politgremien auf. Das entsprechende Know-how und die Seilschaften werden in der speziell auf das Management von Staaten spezialisierten Universität École nationale d’administration (ENA) in Paris erworben. Frankreich betreibt auch eine Universität (École de guerre économique / EGE), an der ehemalige Geheimdienstleute die Studenten auf Wirtschaftskriege vorbereiten. Sie ist die erste europäische Institution, die eine Ausbildung für Angriffs- und Verteidigungsmethoden anbietet, denen die Unternehmen im Wettlauf der Globalisierung ausgeliefert sind. Der Weg zur Macht über die Besetzung von Schlüsselpositionen in regionalen und globalen Institutionen ist den Franzosen über längere Zeit auch überraschend gut gelungen.

So nahm Frankreich vor allem 2010 in dieser Beziehung eine beneidneswerte Pool-Position ein: WTO: Direktor Lamy, EZB: Präsident Trichet (heute Vizepräsidium mit Benoît Cœuré), IWF: Strauss-Kahn (heute Christine Lagarde), G-8 und G-20 Vorsitz Präsident Sarkozy, politische Führung in der EU effektiv das Team Sarkozy/Merkel, die sich jeweils vor den entscheidenden Sitzungen absprechen, Bedingungen und Forderungen stellen. Ohne Frankreich läuft in den EU-Gremien gar nichts. Teile des EU-Parlamentes und der Administration wurden in Strassburg angesiedelt, ebenfalls der EU-gesponserte Fernsehkanal Arte und der Europarat, in dem die EU stimmenmässig wiederum die Mehrheit hält. In Paris befindet sich der Hauptsitz der OECD. Über den Beamtenapparat kann Frankreich grossen Einfluss auf diese internationalen Organisationen ausüben. Innerhalb der OECD versucht der für den Steuerbereich zuständige Pascal Saint-Amans  den Steuerwettbewerb zu unterdrücken. Frankreich ist mit seiner hohen Staatsquote und hohen Staatsdefiziten durch den internationalen Steuerwettbewerb besonders gefährdet. Allerdings sind jene 2’500 OECD-Beamten, die sich dem Kampf gegen den Steuerwettbewerb verschrieben haben, selbst steuerbefreit. Der Kampf wird dabei teils unter dem Deckmantel von „Kampf gegen die Geldwäscherei“ geführt, um die Steuerhinterziehung von Privaten zu kriminalisieren. Unfairen Steuerpraktiken bzw. -optimierungen und steuerlich gesteuerte Verrechnungspreisen der grossen Multies sollen mit dem BEBS-Abkommen (BEPS = Base Erosion and Profit Sharing) bekämpft werden. Auch in der EU versucht Frankreich mit seinem Kommissär Pierre Moscovici, ein französischer Politiker der Parti Socialiste, die Finanzen anderer Länder zu kontrollieren und zu überwachen.  Am 10. September 2014 wurde Pierre Moscovici zum Wirtschafts- und Währungskommissar ernannt. Durch eine neue Aufgabenverteilung innerhalb der EU-Ressort wurde er zugleich für Steuern und die Zollunion zuständig. In der UNO verfügt Frankreich über ein Veto-Recht im Sicherheitsrat. Dort wo Frankreich wegen Amtszeitbeschränkungen oder rotierenden Ansprüchen derzeit nicht an der Spitze der Beamtenpyramide steht, lauern bereits französische Aspiranten für eine Rückkehr Frankreichs in die Schlüsselpositionen.

Ein Ausscheiden Frankreichs aus dem EU-Verbund könnte somit auch ein Ende des EU-Zentralismus bedeuten. Französische Spitzenbeamte in der EU, bei der OECD, beim IWF etc., die oft als Vertreter oder mit Hilfe der EU in diese Positionen gelangt sind, müssten wohl ihre Plätze räumen. Immerhin könnte dann wenigstens der monatliche kostspielige Umzug des EU-Parlamentes von Brüssel nach Strassburg aufgegeben werden, womit die EU pro Jahr über EUR 100 Mio. einsparen könnte.

Gerade der übertriebene Zentralismus unter französischer Führung könnte den etablierten Parteien Frankreichs zum Verhängnis werden. Wie weltfremd der noch amtierende sozialistische Staatspräsident Frankreichs, François Holland, im Jahre 2015 die Lage der EU einschätzte, zeigen seine Forderungen und Vorschläge zu einer „radikalen Neuordnung des Euros“. Als Gründungsmitglieder sollen sechs Staaten ihre Haushalte zusammenlegen sowie ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung etablieren. Man stelle sich vor, Deutschland und Frankreich würden von einem einzigen Staatspräsidenten geführt und die Parlamente zusammengelegt! Die Deutschen zahlen in die gemeinsame Kasse ein, die Franzosen geben das Geld aus! Danach forderte er eine EU-Wirtschaftsregierung, um politische Streitigkeiten zu beenden. Später steigerte er seine Absurditäten noch mit der Aussage, dass die Krise in der Eurozone nicht durch zu viel, sondern durch zu wenig Europa entstanden sei. Er kritisierte, dass die nationalen Parlamente zu weit von den Entscheidungen der EU entfernt seien, womit die Einstimmigkeit der 28 EU-Regierungen oft verhindert würde. Damit meinte er wohl, dass nationale Parlamente nichts mehr zu Beschlüssen der EU zu sagen haben sollen und ausgeschaltet werden müssten. Korrekter wäre gewesen, wenn er darüber gejammert hätte, dass die EU-Politelite die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern verloren hat, zu jenen, die von den Brüsseler Beschlüssen betroffen werden, ohne dass sie etwas dazu zu sagen hätten.

Ein EU-Parlament mit umfassenden Kompetenzen würde den nationalen Parlamenten zu reinen Regionalparlamenten degradieren, die auf der EU-Ebene nichts mehr zu sagen hätten. Hollande träumte offensichtlich auch davon, dass in einem omnipotenten EU-Parlament eine Allianz der Sozialisten, allenfalls inklusive Grüne und Christdemokraten (EVP) dann über viele Jahre hinweg in der EU das Sagen hätte. Eigentlich könnte man geneigt sein, diese Ideen als Luftschlösser eines demnächst pensionierten Staatschefs abzutun, aber der in den Vorwahlen zur Kandidatur ums Präsidentenamt unterlegene ehemalige Ministerpräsident Manuel Carlos Valls, hat diese Vorschläge aufgegriffen und sogar noch konkretisiert. Die neue Staatengemeinschaft soll Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande umfassen. Ähnliche Ideen hatte allerdings 1994 auch schon der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in einem grundlegenden Papier dargelegt. Schäuble wollte allerdings Italien nicht in einer solchen neuen politischen Kernunion haben.

Marine Le Pen (48):  Sie ist die jüngere Tochter von Jean-Marie Le Pen (89), dem Gründer der rechtspopulistischen Partei Front National (FN) im Jahr 1972. Er war bis zur Übernahme der Position durch Marine Le Pen am 16. Januar 2011 während 39 Jahren Vorsitzender des FN und trat bei fünf Präsidentschaftswahlen an. Im August 2015 wurde er wegen „schwerer Verfehlungen“ aus der Partei ausgeschlossen. Marine Le Pen arbeitete nach einem juristischen Hochschulabschluss (Strafrecht) zwischen 1992-1998 als zugelassene Rechtsanwältin in Paris. Sie arbeitete sich innerhalb der Partei von der Leiterin des juristischen Dienstes des FN (1998) bis an die Spitze der Partei herauf. Seit 2011 ist sie Vorsitzende der Partei, seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlamentes.

In den Regionalwahlen 2015 eroberte der FN 27.7% der Stimmen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2004 erzielte die Partei erst 10.5%, bei den Präsidentschaftswahlen 2012 (erste Runde) 17.9%. Es ist damit zu rechnen, dass die Spitzenkandidatin Marine Le Pen, am 7. Mai 2017, an der zweiten, entscheidenden Stichwahl, mit von der Partie sein wird, zumal sich die zerstrittenen linken Parteien gegenseitig Stimmen wegnehmen werden.

Der FN gilt als rechtspopulistisch. Solchen Parteien ist gemein, dass sie nebst dem Nationalismus auch Umverteilungsgelüste für ihre Wahlklientel pflegen. Le Pen kann bei ihrem Wahlkampf auf die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungskreise mit der heutigen Politik und Wirtschaft zählen. Vor allem die hohe Arbeitslosigkeit, die unter der früheren UMP (Sarkozy / heute Republikaner) und der sozialistischen Regierung von Ministerpräsident Hollande auf über 10% angeschnellt ist, hat zu einer Radikalisierung des Landes geführt. Le Pen wirft der Regierung vor, die Interessen Frankreich nicht in gleichem Ausmass zu verteidigen wie dies Kanzlerin Merkel für Deutschland tue. Le Pen gewinnt deshalb auch zunehmend Unterstützung in der Arbeiterklasse, wollen doch 45% der „Blue Collar“-Wähler und 38% der Arbeitslosen ihre Stimme für sie abgeben. Sie punktet auch bei den Alleinerziehenden, denn sie war selbst eine. Dazu kommt eine gewisse Europamüdigkeit breiter Bevölkerungskreise, die aus Protest gegen die EU für den FN stimmen werden.

Konkret lassen sich aus den jüngsten Interviews mit der Parteivorsitzenden etwa folgende politischen Prioritäten ablesen:

  • Der FN erachtet die EU und vor allem den EUR für Frankreich als Zwangskorsett. Le Pen will aus dem EUR austreten und mit einem schwachen Franc (FF) die Exportwirtschaft wieder wettbewerbsfähig machen. Sie kündigte auch bereits an, dass bei einem Euro-Austritt sämtliche EUR-Staatsschulden in FF-Schulden umgewandelt würden, damit die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP nicht zunähme. Dabei spielt es für sie keine Rolle, dass der Grossteil der französischen Staatsschulden (gemäss Eurostat 2014: 57.2%) heute von ausländischen Grossanlegern gehalten werden. Weitere 40.8% der Staatsschulden sind im Besitz von französischen Finanzhäusern und nur 2% liegen bei anderen französischen Anlegern.
  • Le Pen spricht sich für die Verstaatlichung der Banken aus
  • Aussenpolitisch erachtet Le Pen die USA als unzuverlässigen und teils problematischen Partner. Diese Haltung könnte nach dem Wahlsieg von Donald Trump allenfalls etwas relativiert werden. Sie zeigt sich hingegen gegenüber Russland auch mit Blick auf den Ukraine-Konflikt als verständnisvoller. Letzterer sei auch eine Folge der EU-Provokationen (NATO-Erweiterung in Osteuropa, EU-Kandidatenländer etc.) und des Imperialismus der USA. Auch im Nahen Osten sei der Kampf gegen den IS mit den USA alleine nicht zu gewinnen. Dazu sei die Unterstützung Russlands notwendig. Le Pen will aus diesem Grund auch die Beziehungen zum noch amtierenden syrischen Staatschef Beshar al Assad wieder verbessern. Andererseits will sie das Verhältnis zu Katar und zur Türkei überprüfen. Sie wirft diesen Ländern vor, dass sie den Terrorismus unterstützen.
  • Der FN vertritt eine harte Nulltoleranzpolitik gegenüber Dschihadisten und nicht-französisch-sprechenden Predigern. Sie will französische Gotteskämpfern im Einsatz in Irak/Syrien die Staatsbürgerschaft aberkennen. Le Pen stellt auch einen klaren Bezug zwischen Immigration und religiös motivierter Radikalisierung fest.
  • Der FN will auch in der Arbeiterschaft Stimmen gewinnen, indem er sich für einen starken Service Public einsetzt und die Arbeiter und Landwirte vor der unkontrollierbar gewordenen Globalisierung schützen will. Le Pen will das Renteneintrittsalter wieder auf 60 Jahre senken und mit Zöllen und strikteren Grenzkontrollen für Personen und Güter die einheimische Wirtschaft schützen.

Der Front National hat in den letzten Jahren deutlich zugelegt, weil die Terroranschläge (Januar 2015: Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo, 13. November 2015 Nachtclub in Paris mit 130 Toten, 14. Juli 2016 Lastwagen-Attentat in Cannes mit über 80 Toten) und der danach verhängte Ausnahmezustand die schlimmsten Befürchtungen des FN bezüglich der Gefährlichkeit der Islamisierung Frankreichs bestätigten. Die Terroranschläge belegen aber auch, dass die Sicherheitskräfte die Kontrolle über die Banlieus in Paris und Stadtteile in Marseille oder Strassburg verloren haben. Dies obwohl der Anteil der im Ausland geborenen Einwohner Frankreichs in den letzten 10 Jahren im Unterschied zu anderen europäischen Ländern kaum mehr stark zugenommen hat. Im Anstieg von 8.1% auf 8.9% (2014) dürfte allerdings eine unbekannte aber als signifikant vermutete Anzahl illegaler, nicht registrierter Zuwanderer nicht enthalten sein. Von dieser Bevölkerungsgruppe bezeichnen sich 40% als gläubige und praktizierende Muslime. Insgesamt sollen sich in Frankreich rund 5 Mio. Muslime aufhalten, was bezogen auf die gesamte Bevölkerung von 66.7 Mio. einer Quote von 7.5% entspräche. Viele der Immigranten sind ein Erbe aus der Kolonialzeit, d.h. sie stammen aus Algerien, Marokko und Tunesien.

Nach Gross-Attentaten steigen allerdings meistens die positiven Umfragewerte der Regierenden und nicht der Opposition an, weil viele glauben, die Regierung würden in der Folge etwas zur Verbesserung der inneren Sicherheit unternehmen. Dieser Effekt zeigte sich auch in Deutschland im Anschluss an den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016. Die Umfragewerte für Merkels CDU stiegen bis Ende Januar 2017 um 3-4 Prozentpunkte auf (32.5% INSA, 36% Emnid, 38% Forsa). Auch in Frankreich konnte Präsident Hollande nach den Attentaten kurzfristig etwas höhere Beliebtheitswerte verbuchen, aber diese Effekte sind wieder verflogen. Die Umfragewerte für Präsident Hollande fielen sogar auf ein Allzeittief von 4%- bis 15%, was wohl noch kein amtierender Präsident sechs Monate vor dem Ende seiner Amtszeit erlebt hat.

Noch unklar ist, wer Le Pens Herausforderer in der zweiten Wahlrunde vom 7. Mai 2017 sein wird: der republikanische François Fillon, der Sozialist Benoît Hamon oder der von den Sozialisten abgesprungene ehemalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron (eigene Partei: „En Marche“) oder sogar der Vertreter der Linken Front (LF) Jean-Luc Mélechon. Gemeinsam ist all diesen Kandidaten, dass sie als Polit-Karrieristen mit Ausnahme von Emmanuel Macron (Investmentbanker) und allenfalls noch Arnould Montebourg und Marine Le Pen als Rechtsanwälte, nie in der Realität des Normalbürgers oder gar eines Unternehmers gelebt haben. Eitelkeit und Neidpolitik stehen ihrer Jagd nach politischen Ämtern und Pfründen Pate. Die Aufzählung ihrer Orden in den Lebensläufen und das Ämterhüpfen sind klare Signale dieser bei Politikern weitverbreiteten schlechten Eigenschaften. Gemeinsam ist einigen Linkspolitiken (Mélechon, Hamon, Montebourg) auch der Hass auf Zuchtmeister Deutschland.

Bürgerliche mit Überraschungskandidat

Nicolas Sarkozy und Alain Juppé: Der parteiintern nominierte Spitzenkandidat des konservativen Lagers, entspricht nicht den Erwartungen der Medien. Noch zwei Wochen vor der internen Ausmarchung galt Alain Juppé als gesetzter Kandidat des konservativen Flügels. Aber sowohl Alain Juppé als auch Ex-Präsident Nicolas Sarkozy wurden bereits bei den Vorwahlen eliminiert.  Sarkozy will sich nun definitiv aus der Politik zurückziehen. Alain Juppé, ein Gaullist, ist Bürgermeister von Bordeaux. Er hatte mehrere Ministerämter inne und war vom 1995 bis 1997 Premierminister Frankreichs. Spitzenkandidat der Bürgerlichen wurde überraschend François Fillon mit Zweidritteln der Parteistimmen. Sollte Fillon wider Erwarten seine Kandidatur zurückziehen, so will Alain Juppé nicht in die Bresche springen, und mit dem „Ladenhüter“ Sarkozy wäre ein Wahl selbst gegen Le Pen wohl nicht zu gewinnen.

Um wieder an die Macht zu gelangen, versuchte Ex-Präsident Sarkozy in letzter Verzweiflung noch ein neues Reformprogramm für die EU zu lancieren, in dem die typische französische Überheblichkeit und der Nationalismus einmal mehr dokumentiert wurde. Aber seine Anbiederung an das Wahlprogramm von Marine Le Pen erwies sich als Rohrkrepierer. Anlässlich eins Seminars der «Les Républicains (LR)» im Juli 2016 hat Präsidentschaftskandidat Sarkozy folgendes 5 Punkte Programm vorgelegt:

  1. Die EU soll das Schengen Abkommen derart modifizieren, dass jedes Land wieder mehr Kontrolle über die eigenen Grenzen erhält. (Der Druck der Strasse und des FN zeigen ihre Wirkung).
  2. Europa soll eine eigene Version des IMF erhalten, so dass man sich vom Diktat der US lösen könne. Der heutige Selbstbedienungsladen IWF (z.B. für die Finanzierung Griechenlands oder der Ukraine) unter französischer Leitung scheint den Franzosen nicht auszureichen.
  3. Die EU-Kommission soll weniger Gesetze verabschieden.
  4. Die nationalen Parlamente sollen über alle neuen Gesetze abstimmen können.
  5. Die bisher ungebremste Ausweitung der EU soll ein Ende finden.

Dazu kommen weitere herbeiphantasierte «Reformwünsche» der Franzosen. Die EU-Präsidentschaft soll nicht mehr alle halbe Jahre von einem anderen EU-28 Mitgliedsland übernommen, sondern abwechslungsweise von Frankreich und Deutschland ausgeübt werden. Es könne auch nicht länger toleriert werden, dass die EU-Administration Gesetze lanciere und verabschiede. Aus dem Sarkozy Lager wurde auch die Idee lanciert, die EU-Kommission durch ein «Sekretariat der Nationen» zu ersetzen.

François Fillon (62) ist innert Kürze vom Hoffnungsträger der Republikaner zum veritablen Heilsbringer aufgestiegen. Er gilt als gefährlichster Herausforderer von Marine Le Pen, weil er umfassende Reformen verspricht. Der Republikaner gilt als neoliberal, konservativ und erzkatholisch. Als Bewunderer von Margaret Thatcher und Ronald Reagan verspricht er nicht nur eine Schocktherapie für die angezählte ehemalige Weltmacht. Neben einer radikalen ökonomischen Runderneuerung samt drastischem Sozialabbau soll die Nation auch dank einer geistig-moralischen Wende zu früherer Grösse zurückfinden. Fillon will das Arbeitsgesetz (35-Stundenwoche) lockern, das Renteneintrittsalter erheblich, von 62 auf 65 Jahre,  erhöhen und Steuersenkungen für die Unternehmen und die Wohlhabenden durchsetzen. Diese Steuerausfälle sollen möglicherweise durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer kompensiert werden. Er will rund 500‘000 Stellen im öffentlichen Dienst streichen und EUR 100 Mio. Einsparungen im Staatshaushalt vornehmen. Bezogen auf die Staatsausgaben Frankreichs von  total  EUR 1‘243 Mrd. (2015) entspräche dies einer Ausgabenkürzung um 8%. Er setzt auf Privatisierungen, um Geld für Investitionen freizusetzen. Er will den im Inland herangewachsenen radikalen Islamismus bekämpfen und die Immigration stärker kontrollieren.

Er bekennt sich zu konservativen Familienwerten, hat 2013 gegen die Zulassung von gleichgeschlechtlichen Ehen gestimmt und will eine internationale Kampagne gegen die Leihmutterschaft und die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare anführen. Er wird somit nicht nur Stimmen aus dem linken Lager und seitens der Staatsbediensteten verlieren, sondern auch aus weltanschaulich liberaleren Kreisen. Fillon gilt als russlandfreundlich und tritt im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) für eine Koalition mit Moskau ein. Fillon warb zudem in der Zeitung „Le Monde“ für das Ende der europäischen Sanktionen gegen Russland. Kritisiert wird Fillon, weil er sich nun plötzlich als progressiver Bürgerlicher aufspielt, aber als Premierminister (2007-2012) unter dem Reformzauderer Präsident Sarkozy keine entsprechenden Reformen durchbrachte.  Im  Gegenteil, während der Regierungszeit bis 2012 wurden die Steuern vor Wohlhabende erhöht und eine „Exit Tax“ eingeführt, die den Wegzug erschweren sollten. Schon damals setzte eine Flucht der Gutverdienenden und Wohlhabenden aus Frankreich ein. Dieser Trend verstärkte sich nach der Machtübernahmen durch die Sozialisten im Jahre 2013. 2012 verliessen 2’669 in Frankreich Steuerpflichtige mit einem Einkommen von über EUR 100’000 das Land, 2013 waren es bereits 3’744. Vermögende mit mehr als 1.3 Mio. Vermögen flüchteten 2012 deren 620, 2013 waren es 714.

Die Aufdeckung von Zahlungen in Höhe von rund EUR 600’000 (EUR 50’000 pro Jahr) an seine Ehefrau Pénélope als seine Parlaments-Assistentin, die jedoch keine Arbeit für Fillon verrichtete,  aus dem Staatshaushalt durch Präsidentschaftskandidat Fillon zeigt, dass auch die bürgerlichen Kandidaten von Raffgier nicht gefeit sind. Er stand vor einigen Jahren auch in der Kritik weil er 2010 eine Einladung für sich und seine Familie vom damaligen ägyptischen Staatschef Mubarak zu einer Nil-Fahrt mit allem Drum und Dran angenommen hatte.

Grüne chancenlos

Yannick Jadot (50): Jadot kam als Vertreter der französischen Grünen in Umfragen bisher nie über 3%. Er wird somit bei den Präsidentschaftswahlen keine Chance haben. Von Interesse ist höchstens noch, welchem Lager sich seine Unterstützter in der zweiten Runde anschliessen werden. Jadot  ist ein  französischer Umweltaktivist und seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments für das grüne Wahlbündnis Europe Écologie. Jadot studierte Wirtschaftswissenschaften und lebte mehrere Jahre in Burkina Faso und in Bangladesch, wo er in der Entwicklungshilfe und im Umweltschutz tätig war. Anfang September 2008 kündigte Jadot an, dass er Greenpeace verlassen würde, um sich dem neu gegründeten grünen Wahlbündnis Europe Écologie anzuschließen, mit dem die französischen Grünen unter Leitung von Daniel Cohn-Bendit zur Europawahl in Frankreich 2009 antraten. Er präsentierte sich im EU-Parlament als Russland-Gegner, wollte er Russland doch die Olympischen Spiele versagen.

Linkes Lager heillos zerstritten

Das linke Lager ist zerstritten und der seit Jahren andauernde Kampf zwischen dem linken und rechten Parteiflügel könnte dazu führen, dass ein Teil der Sozialisten nicht einmal den eigenen Kandidaten unterstützen wird, wenn dieser aus dem anderen innerparteilichen Lager stammt. Dazu kommen alte „Abrechnungen“ zwischen den Spitzenkandidaten. Die Sozialisten werden zudem von zwei unabhängige Kandidaten, die von der Partei abgesprungen sind, und selbständig kandidieren, konkurrenziert.  Letztere, Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélechon, liegen in den Umfragen Ende Januar sogar noch vor den offiziellen Kandidaten der Sozialisten. Die Verlierer des innerparteilichen Machtkampfes bei den Vorwahlen (Valls, Montebourg,) droht ein Ende ihrer politischen Karriere. Als Verlierer der sozialistischen Vorwahlen, wäre eine Trotzreaktion mit einer Kandidatur auf eigene Faust, ein hoffnungsloses Unterfangen und würde die Stimmen des Linkslagers noch weiter aufsplittern.

Im ersten parteiintenen Vorwahlverfahren vom 22. Januar 2017 gingen Benoît Hamon (35.2%) und Manuel Valls (31.6%) als Sieger hervor. Die übrigen Kandidaten erhielten folgende Stimmen: Arnaud Montebourg 18.7%, Vincent Peillon 6.5%, François de Rugy 3.5%, Sylvia Pinel 2.1%, Jean-Luc Bennahamias 1.6%.

Am 29. Januar 2017 obsiegte schliesslich Benoît Hamon mit 58.6% zu 41.4% als offizieller Kandidat der Sozialisten für das französische Staatspräsidentenamt.

Benoît Hamon (50): Bei der Abstimmung über die Präsidentschaftskandidatur von Frankreichs Sozialisten lag der frühere Bildungsminister (5 Monate) Benoît Hamon bereits nach der ersten Runde vom 22. Januar 2017 überraschend vorne. Auch diese Nomination entspricht nicht den Erwartungen der Mainstream-Medien. Hamon ist Vertreter des linken Parteiflügels und gilt als Kritiker von Präsident François Hollande. Valls gehört dem wirtschaftsfreundlichen rechten Flügel der Partei an. Der 49-jährige Hamon fordert unter anderem ein bedingungsloses Grundeinkommen von EUR 750 für alle Franzosen. Die dafür notwendigen Euro 400 Mrd. will Hamon über höhere Steuern für „die Reichen“ und notfalls über Schulden beschaffen. Zudem will er den Cannabis-Konsum legalisieren, 37’000 neue Lehrerstellen schaffen und die im vergangenen Jahr verabschiedete Liberalisierung des Arbeitsrechts wieder rückgängig machen. Mit einem solchen Wirtschaftsprogramm wird die serbelnde französische Wirtschaft kaum zu retten sein. Hamon kritisierte Kanzlerin Merkel für ihre Haltung zum europäischen Fiskalpakt, der für die Krisen in Griechenland, Spanien und Portugal verantwortlich sei. Während Valls in den nächsten 5 Jahren nur 30‘000 Flüchtlinge aufnehmen will, spricht sich der linke Flügel der Sozialisten (Hamon, Montebourg, Vincent Peillon) für wesentlich grosszügigere Aufnahmen aus.

Hamon gilt als linker Selbstdarsteller auf einer Linie mit dem spanischen Podemos-Messias Pablo Iglesias sowie dem Syriza-Anführer und seit 2015 griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Mit seiner Kandidatur für die Sozialisten erhöhen sich Le Pens Wahlchancen. Sollten die Sozialisten bzw. Hamon nicht einmal in die Stichwahl vorstossen, würde diese Niederlage wohl zu einem derart grossen Prestigeverlust für die Sozialisten führen, dass sie während Jahren nicht mehr als ernstzunehmende politische Kraft wahrgenommen würden.

Manuel Carlos Valls (55): Der unterlegene Kandidat der Sozialisten, Manuel Carlos Valls entstammt einem spanisch/schweizerischen Elternhaus. Er studierte Geschichte und wurde 1982 französischer Staatsbürger.  Er gilt als Politiker aus dem links orientierten Pariser Intellektuellenzirkel, war zwischen 2012 und 2014 Innenminister, danach bis zum 6. Dezember 2016 Premierminister der Französischen Republik. Zu seinem Nachfolger wurde der bisherige Innenminister Bernard Cazeneuve bestimmt. Er hat sich offensichtlich in den letzten Jahren zu viele parteiinterne Feinde geschaffen, so dass er nun für seine Intrigen und Ämterschacherei die Quittung präsentiert erhielt. Er hat zu hoch gepokert und alles verloren.

So wurde er eigentlich nur dank der Führungsschwäche von Präsident Holland Premierminister. Er drohte 2014 zusammen mit Innenminister Arnaud Montebourg aus der Regierung Holland auszutreten, falls Holland den damaligen Premierminister Jean-Marc Ayrault nicht entlassen würde. Letzterer wurde für die Wahlschlappe anlässlich der Regionalwahlen verantwortlich gemacht. Holland entliess daraufhin Ayrault und ernannte Manuel Valls zum Premier. Valls wiederum setzte Minister Pierre Moscovici (heute EU-Kommissar), den Konkurrenten seines damaligen Verbündeten Montebourg, auf die Strasse. Als es danach zu innerparteilichen Machtkämpfen zwischen dem rechten (Valls) und dem linken Parteiflügel (Montebourg, Hamon) kam, reichte Valls am 25. August 2014 den Rücktritt seiner Regierung ein. Er wurde jedoch von Präsident Holland sogleich wieder mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, was Valls dazu nütze, die Minister des linken Flügels (Industrieminister Arnaud Montebourg und Bildungsminister Benoît Hamon) aus ihren Ämtern zu werfen. Rund ein Drittel der PS-Abgeordneten verweigerte nach dem Rauswurf von Montebourg und Hamon bei Abstimmungen im Parlament oft die Unterstützung Valls. Auch zwei einflussreiche Linkspolitikerinnen haben sich gegen Valls verschworen, die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo sowie ihre Amtskollegin in Lille, die frühere Parteichefin Martine Aubry.

Manuel Valls konnte seine Reformen des Arbeits- und Sozialrechts nur mit Notverordnungen  (Art. 49, Abs 3 der Verfassung) durchsetzen. Neuerdings behauptet Valls zwar, dass ihm dieses Vorgehen „aufgezwungen“ worden sei. Er spricht sich heute sogar für eine Abschaffung des Notverordnungsartikels 49 aus. Als Führer des rechten Parteiflügels verfolgte er eine pragmatisch sozialliberalen Kurs. Er kritisierte seine Parteikollegen des linken Flügels als ewiggestrige Nostalgiker marxistischer Prägung. In der Flüchtlingspolitik verfolgt Valls einen harten Kurs, sprach er sich im November 2015 doch dafür aus, keine weiteren Flüchtlinge aus dem Nahen Osten mehr aufzunehmen, sondern lediglich noch die zugesagten Kontingente einzuhalten. Der Strippenzieher Valls war es auch, der Präsident Holland den Verzicht auf eine Wiederkandidatur nahelegte, was dieser am 5. Dezember 2016 auch ankündigte.

Eines der Hauptprobleme Frankreichs sind der überdimensionierte Staatssektor und das längerfristig nicht mehr finanzierbare Rentensystem. Auch unter Premier Valls wurden diese heissen Eisen kaum angefasst. So erfolgte die Reformen des unfinanzierbar gewordenen Rentensystems zu zaghaft. Das Berechtigungsalter für Zusatzrenten im Privatsektor wird zwar von 62 auf 63 Jahre angehoben. Der Staatssektor wurde von der Reform jedoch nicht betroffen und das reguläre Rentenalter verbleibt bei 62 Jahren. Wer mit 62 in Pension geht, muss lediglich für drei Jahre eine leichte Rentenkürzung in Kauf nehmen. Die Rentenzahlungen belaufen sich bereits heute auf 13% des BIP mit steigender Tendenz. Valls will zwar das Staatsdefizit unter 3% des BIP drücken, aber nicht auf Null gehen. Die staatlichen Sozialleistungen sollen zu einem „angemessenen Einkommen“ (= Vorstufe zu einem bedingungsloses Grundeinkommen gemeint) zusammengefasst werden.

Hamon und Montebourg traten in den Vorwahlen zum Staatspräsidium gegen Valls an und nach dem Ausscheiden von Montebourg gab dieser bekannt, dass er und sein Lager Hamon in der zweiten Runde unterstützen würden. Im Falle einer Präsidentschaft Hamons, dürfte Valls wegen den alten Feindschaften und seiner politische rechteren Grundhaltung keinen Platz in einer Regierung Hamon finden.

Arnoud Montebourg (55): Anders präsentiert sich die Ausgangslage für Montebourg. Er ist zwar in den Vorwahlen der PS ebenfalls aus dem Rennen um die französische Präsidentschaft gefallen, aber er dürfte im Falle eines Wahlsieges von Hamon in der Regierung dennoch eine Rolle spielen, da er letzteren als Vertreter des linken Parteiflügels in der innerparteilichen Entscheidungsrunde unterstützte. Der studierte Jurist war von 2012 bis 2014 französischer Wirtschaftsminister in den Kabinetten Ayrault I, Ayrault II und Valls I. Er gilt als Globalisierungskritiker. Als Rechtsanwalt trat er in Frankreich bei mehreren spektakulären Verfahren auf. Seit seinem Weggang aus der Regierung ist Montebourg teils in der Privatwirtschaft tätig (Möbelkette Habitat, Technologieunternehmen Talan, Windkraftanlagenbauer New Wind). Montebourg erachtet die 3%-Defizitobergrenze des EU-Stabilitätspaktes als absurd, archaisch und überholt. Er werde als Präsident nach Brüssel gehen und dort das Ende des französischen Sparkurses ankündigen. Er steht für eine „Entglobalisierung“, für eine stärkere staatliche Kontrolle der Finanz- und Gütermärkte. Ziel seiner Industriepolitik war und ist die drohende Desindustrialisierung Frankreichs zu verhindern. Bereits als Industrieminister versuchte er die Übernahme französischer Unternehmen durch ausländische Investoren (z.B. Alstom – GE / Dailymotion – Yahoo / PSA Peugeot – Dongfeng) zu verhindern und er bedrohte Werkschliessungen mit Verstaatlichungen (Mittal-Stahlwerk). Montebourg will den wirtschaftlichen Aufschwung vor allem durch Lohnerhöhungen und entsprechend höhere Kaufkraft der Bürger erreichen, wozu höhere Staatsausgaben unumgänglich seien. Dass auch Montebourgs protektionistische Industriepolitik kein Erfolg war, illustriert der Index der industriellen Produktion, der immer noch auf dem Niveau von 1995, bzw. 12% unter dem Vorkrisenhoch liegt:

Emmanuel Macron (40): Der ehemalige Investmentbanker Emmanuel Macron präsentiert sich als unabhängiger Anti-System-Kandidat. Er war bereits Wirtschaftsberater von Ex-Staatspräsident Mitterrand, später von Präsident Hollande. Als Investmentbanker der Rothschild & Cie. in Paris hat er unter anderem Nestlé beim Kauf der Pfizer Babyfood-Sparte gegen den französischen Mittbewerber Danone begleitet. Er hat sich vorzeitig aus der Regierung Holland als Wirtschaftsminister (2014-2016) verabschiedet, um sich als parteiloser Kandidat zu empfehlen. Deshalb wird Macron von den Sozialisten als „Verräter“ wohl kaum gewählt werden und seine eigene Bewegung “ En Marche“ ist wohl nicht stark genug, um ihn in die Schlussrunde zu bringen. Nach der Niederlage von Valls, der wie Macron als Vertreter des rechten Parteiflügels gilt, könnte er aber Stimmen aus der Valls-Anhängerschaft machen. Macron selbst sieht sich als unabhängiger Modernisierer mit einem Auge für das soziale Gleichgewicht. Er hat mit dem nach ihm benannten Dienstleistungsgesetz wenigstens einige kleine liberale Reformen der Wirtschaft mitgetragen: längere Ladenöffnungszeiten an Sonntagen, Öffnung des Fernbusverkehrs, Niederlassungsfreiheit für Notare. Aber viel mehr Spielraum wurde ihm vom Präsidenten Hollande und vom damaligen Premierminster Valls nicht zugestanden.

Macron forderte 2014 von Deutschland ein EUR 50 Mrd. Programm zur Belebung der Wirtschaft in Europa. In Frankreich arbeitete er zuhanden von Präsident Holland an einem Reformpaket mit, das auch Steuersenkungen von EUR 30-40 Mrd. für Unternehmen binnen 3 Jahren beinhaltete. Dieses sollte dazu dienen die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Der spätere Gesetzesentwurf das „Loi Macron“ mutierte nach rund 3’000 Änderungsanträgen im Parlament zu einem zahnlosen Gesetzeswerk mit 200 Artikeln. Aber selbst diese abgeschwächte Variante stiess auf Widerstand, weshalb das Gesetz nur mit der Notstandsregelung, über den Art. 49, Abs. 3 der Verfassung durchgesetzt werden konnte, gewissermassen ohne Parlament, denn die mit diesem Vorgehen verbundene Vertrauensabstimmung gewann die Regierung. Per Saldo hatte sich Macron aber in wesentlichen Punkten (Arbeitsmarkt) nicht durchsetzen können. Dennoch wird ihm die Gesetzgebung mit der Brechstange als Negativum angekreidet.

Als Minuspunkte für die Wahlen sind Medienberichte im Jahre 2016, die besagen, dass Macron zu wenig Steuer bezahlt habe. Er hat sich zudem mit den Gewerkschaften überworfen, denen er vorwarf, sie sollten lieber arbeiten statt streiken, damit sie nicht mehr in T-Shirts herumlaufen müssten, sondern sich auch anständige Kleider, wie er sie trage, leisten könnten. Seither gilt er bei den Gewerkschaften als rotes Tuch und viele dieser Stimmen werden ihm fehlen, selbst wenn er in die zweite Runde gelangen würde. 52% der Franzosen forderten in einer Umfrage im Juni 2016 seinen sofortigen Rücktritt. Dass sich Macron bereits damals auf einen Abschied aus der Regierung vorbereitete, zeigt die Gründung einer eigenen Partei „En Marche“. Am 30. August trat Macron aus der Regierung aus. Sein Nachfolger wurde Michel Sapin. Innert Kürze gelang es Macron danach Millionen für seinen Wahlkampf zu sammeln, doch wurden die Finanzquellen nicht offengelegt, was wiederum zu Kritik Anlass gibt. Am 16. November 2016 kündigte Macron seine offizielle Kandidatur fürs Präsidialamt an.  Er ist ein Absolvent der Eliteschule ENA und gilt als Teil der Elite. Seine Prioritäten Wirtschaft, Jobs und Arbeitslosigkeit, aber auch Sicherheit und Kampf gegen den Terrorismus sprechen viele Wähler an. Macron wird von Gérard Collomb dem Bürgermeister von Lyon und Ségolène Royal (Hollands Ex) unterstützt.

PS: Am 30. August 2006 wurde Macron zum Pressesprecher der damaligen PS-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal ernannt, die damals noch mit dem heutigen Präsidenten Holland verheiratet war. Dass er 2014 so rasch aus der Regierung geworfen wurde, hat auch damit zu tun, dass er damals als Royal-Pressesprecher öffentlich erklärte, dass sie für das Präsidentenamt besser qualifiziert sei als ihr Mann (Präsident Hollande).  Damit hatte Präsident Holland mit Macron noch eine alte Rechnung zu begleichen.

Jean-Luc Mélechon (60): Geringere Chancen werden Jean-Luc Mélenchon eingeräumt, der mit seiner Bewegung „La France insoumise“ (das widerspenstige Frankreich) einen eigentlichen Anti-Merkel-Wahlkampf führt und von den Kommunisten unterstützt wird. Für die Griechenlandkrise macht er in erster Linie die „rechte“ deutsche Regierung verantwortlich.  Auch er ist ein PS-Abtrünniger und kann deshalb nicht auf die volle Unterstützung der PS zählen, zumal mit Hamon ein Vertreter des linken Parteiflügels zum offiziellen Kandidaten gekürt wurde. Obwohl sich die PS für ein „Ja“ zu einer europäischen Verfassung ausgesprochen hatte, setzte sich Mélechon 2005 vehement für ein „Nein“ ein. Die Stimmbürger lehnten die EU-Verfassung denn auch deutlich mit 54.7% Neinstimmen ab. 2008 trat er als Verlierer gegen die Vertreterin des rechten Parteiflügels, Ségolène Royal, beim Kampf um das Parteipräsidium aus der Partei aus. Er gründete danach die „Partie de Gauche“, die ihm sogar den Einzug ins EU-Parlament ermöglichte, wo er jedoch vor allem durch Abwesenheit und Nichtstun glänzt. Mélechon gehört zu den heftigsten Kritikern einer marktwirtschaftlich orientierten Spar- und Reformpolitik. Er will auch aus der Nato austreten.

Schafft es Fillon in die Endauswahl, dann muss die Linke zwischen ihrem Erzfeind Le Pen und dem Anti-Gewerkschafter Fillon wählen. Die Linke hofft, dass das gemeinsame Feindbild „Fillon“, das zerstrittene linke Lager von Kommunisten, Linkspartei, Trotzkisten, Gewerkschaften und Grünen einigen könnte. Sie hoffen mit Klassenkampf-Wahlpropaganda gegen Fillon doch noch ihren Kandidaten in den Schlussgang bringen zu können. Daraufhin deutet auch die Lancierung ihres Spitzenkandidaten aus dem linken Parteiflügel, Benoît Hamon. Misslingt dieser letzte Versuch, so könnte es in der Stichwahl aber durchaus auch zu einer Unterstützung von Le Pen durch einen Teil der linken Wählerschaft kommen, so wie in den USA viele Wähler Präsident Trump die Stimme gegeben haben, weil sie einen Wahlsieg von Hillary Clinton verhindern wollten und nicht weil sie von Trump begeistert waren. Sowohl  Le Pen als auch Fillion werden einen anderen Russland-Kurs einschlagen und punkto Russlandpolitik als Stütze der deutschen Kanzlerin Merkel wegbrechen.

Die jüngsten Wählerumfragen (vor der Nominierung Hamons zum PS-Spitzen-kandidaten) zeigen folgende Stimmenanteile in der ersten Runde:

Folgen für die Aussen- und Wirtschaftspolitik

Russland-Politik: In Bezug auf Russland zeichnet sich ein  Kurswechsel der französischen Aussenpolitik ab. Nicht nur Le Pen und Fillon geben sich russlandfreundlich, sondern auch der scheidende Präsident Hollande. Er war sogar der erste Regierungschef, der bereits 2016 ein Ende der Russlandsanktionen forderte. Holland hoffte, dass Putin im Gegenzug dem Westen im Kampf gegen den IS (und damit gegen den Terrorismus in Frankreich) beistehen würde, denn er glaubte nicht mehr an ernsthafte Hilfe aus den USA. Der Aussenseiter Emmanuel Macron, steht den Russland-Sanktionen ebenfalls skeptisch gegenüber. Er vertritt eine «Deeskalationspolitik» gegenüber Russland. Er wirft der französischen Regierung vor, immer auf der Seite der deutschen Scharfmacher gegen Putin zu stehen. Die pro-russische Haltung bzw. der Anti-Amerikanismus hat in Frankreich schon Tradition. Ideologisch wurde diese Haltung in den 60er-Jahren durch den Bestseller des französischen Journalisten und Politikers Jean-Jacques Servan-Schreiber untermauert. In seinem Buch „Die amerikanische Herausforderung“ legt er dar, dass Europa an die Amerikaner verkauft werde. Der Erfolg der Amerikaner in Europa liege nicht primär in einer überlegeneren Organisation und Produktivität der amerikanischen Industrie, sondern in der schnellen Eroberung europäischer Schlüsselindustrien durch amerikanische Firmen. Er befürchtete damals, dass die dritte industrielle Weltmacht nach den USA und der UdSSR in 15 Jahren sehr wohl nicht Europa, sondern die „amerikanische Industrie in Europa“ sein könnte. Was in besonders ärgerte war dabei die Tatsache, dass dieser Erfolg fast ohne eigenes Finanzengagement der Amerikaner erzielt wurde. Von den 1965 neu investierten USD 4 Mrd. amerikanischer Firmen stammten 55% aus Anleihen auf dem europäischen Kapitalmarkt, 35% aus Gewinnen in Europa und Subventionen durch die Staatshaushalte europäischer Länder und nur 10% aus dem direkten Transfer von Dollars aus den USA. Die amerikanischen Investitionen in Europa würden zu  neun Zehnteln die aus europäischen Finanzierungsquellen finanziert. Deshalb sei es den Amerikanern gelungen, in zukunftsträchtigen Schlüsselindustrien eine dominierende Stellung zu erobern. 1966 hatten  amerikanische Firmen in Europa einen Produktionsanteil von 15% bei Radio- und Fernsehempfängern, 50% bei Halbleitern, 80% bei elektronischen Datenverarbeitungsanlagen und 95% bei integrierten Schaltkreisen. Von dieser starken Stellung in der elektronischen Industrie aus ergeben sich weitgehende Einwirkungsmöglichkeiten auf andere Bereiche der Wirtschaft, Verwaltung und Forschung. Mélechon kritisierte anlässlich der Krimkrise die Ukraine-Politik der USA und der EU. Das Vorhaben, die Nato-Grenze näher an Russland zu verschieben, sei inakzeptabel. Als einziger der Präsidentschaftskandidaten wollte Manuel Valls noch Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten.

Die Wirtschaftsprogramme der im Rennen verbliebenen Bürgerlichen und Sozialisten erscheinen nicht sonderlich wirtschaftsfreundlich. Eine signifikante Verbesserung der wirtschaftlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen ist nicht in Sicht. Je nach Wahlausgang kann es sogar zu einem Alptraum für viele Anleger, auch Direktinvestoren, kommen. Im besten Falle kommt es zu einer weiteren leichten Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Aber wer Frankreich kennt, weiss, dass jede Reform des Arbeitsmarktes unmittelbar heftigen Widerstand der Gewerkschaften mit lähmenden Streiks weckt. Der Staatshaushalt wird höchstens marginal zurückgefahren, denn Fillons angekündigte Radikalkur dürfte auf heftigen Widerstand stossen. Frankreich bleibt wirtschaftlich betrachtet selbst bei einem Wahlsieg von François Fillon ein Sorgenkind.

Gröbere Auswirkungen auf die Wirtschaft sind aber im Falle einer Wahl von Marine Le Pen zur Präsidentin zu erwarten. Ein Kurswechsel nach Art des FN würde sich aber ebenfalls nicht zugunsten der Kapitalanleger auswirken.  Anlässlich der „State of the Union“ Diskussion im EU-Parlament bestätigte Marine Le Pen, dass sie im Falle einer Wahl ein Referendum in Frankreich über einen Verblieb in der EU ansetzen werde. Damit würde Frankreich im Gegensatz zu Grossbritannien gleichzeitig auch den EUR verlassen müssen. Ein Austritt Frankreichs hätte somit für die Kapitalanleger weit grössere Folgen als der Brexit.

Dennoch sind die vermuteten Auswirkungen auf die Finanzmärkte nicht ganz klar.  Die Risikoaufschläge französischer Bonds gegenüber Deutschland liegen mit  61 BP (30.1.2017) bereits heute, im Vorfeld der Wahlen, wieder deutlich über dem letztjährigen Tiefstand von 15 Basispunkten (5.9.2016) und auch über dem langjährigen Mittel seit 2007. Bei einem Wahlsieg von Le Pen dürfte die Risikoprämie gegenüber den deutschen Bunds noch deutlicher ansteigen.  Immerhin scheint die Bonität der französischen Unternehmen, auch der Banken, deutlich besser zu  sein als in Italien. Die Zinsen in Europa dürften aber nicht nur in Frankeich, sondern europaweit ansteigen, falls Le Pen ein Referendum zum EU- oder Euro-Austritt ankündigen würde. Auch viele der gemeinsamen EU-Anleihen (ESM, Europäische Investitionsbank etc.) werden wegen den unklaren Garantien im Falle eines EU-Austritt einzelner Mitgliedsländer zur Diskussionen Anlass geben. Wie die britischen müssten auch die französischen Banken um einen EU-Marktzugang bangen.

Parlamentswahlen vom  11. Juni 2017

Auch in den beiden Kammern des Parlamentes halten die Sozialisten die Mehrheit. Entsprechend hoch wurden die Erwartungen nach den Wahlen 2012 angesetzt. Umso enttäuschender fiel nun aber der Leistungsnachweis der sozialistischen Regierungselite aus. Nach diesen Frustrationen mit den Sozialisten ist deshalb auch der Wahlausgang der nächsten Parlamentswahlen, die am 11. Juni 2017 stattfinden werden, ungewiss. Auch bei den Parlamentswahlen haben die Kandidaten meistens zwei Wahlgänge durchzustehen (11. und 18. Juni 2017). Im ersten Wahlgang müssen die Kandidaten nicht nur das absolute Mehr, sondern auch mindestens 25% der Stimmen der im Wahlregister der Wahlbezirke verzeichneten Wähler auf sich verbuchen, um direkt gewählt zu sein. Am zweiten Wahlgang nehmen nur noch jene Kandidaten teil, die im ersten Durchgang mindestens 12.5% der Stimmen erzielten. Im zweiten Wahlgang reicht dann das relative Mehr für einen der derzeit 577 Parlamentssitze aus. Von den 577 Wahlkreisen entfallen 539 auf Frankreich selbst, 27 auf die Territorien in Übersee und 11 sind für Ausland-Franzosen reserviert.

Bei den letzten Wahlen (2012) erreichte die linksgerichtete PS 29.45 % (280 Sitze = 48.5%) der Stimmen, auf die konservative UMP entfielen 27.1 % (194 Sitze = 33.6%) der Stimmen, die rechtsextreme Front National erhielt 13.6 % (2 Sitze = 0.34%) der Stimmen und 6.9 % (10 Sitze = 1.7%) der Wähler entschieden sich für die linke Front de Gauche. Der Rest verteilte sich auf verschiedene Parteien der extremen Linken (Kommunisten, Trotzkisten), die Zentristen und Grünen. Die Zahlen beziehen sich auf den ersten Wahlgang, bei dem 57.2 % der Wähler ihre Stimmen abgaben. Trotz des Stimmenanteils von 13.6% gelang es dem FN nur zwei Sitze in der Nationalversammlung zu erobern, weil er im ersten Wahlgang kein Direktmandat gewann und sich die anderen Parteien bei den Ausmarchungen in der zweiten Runde oft gegen den FN verbündeten und sich gewisse Kandidaten zugunsten eines Nicht-FN-Mitbewerbers zurückzogen, um den FN von der Regierung fernzuhalten. Der FN ist (seit der Parlamentswahl im Juni 2012) mit zwei Sitzen in der Nationalversammlung vertreten.

Bei der Europawahl 2014 war der FN mit 24.86 % der Wählerstimmen erstmals die französische Partei mit den meisten Wählerstimmen. Sie zog mit 24 (= 33%) Abgeordneten der 72 französischen Sitze ins EU-Parlament ein. Der FN könnte 2017 somit auch in der Nationalversammlung deutlich zulegen. Allerdings wird die FN-Fraktion im französischen Parlament wohl noch keine derart signifikante Rolle spielen, dass damit eine  allfällige Präsidentschaft von Marine Le Pen erleichtert würde.

Die Senats-Wahlen finden am 24. September statt

Senatoren werden mittelbar durch etwa 150’000 Abgeordnete und Lokalpolitiker gewählt. Mit Wirkung vom September 2004 änderte sich das Wahlsystem in wichtigen Punkten: Die Wahlperiode sank von 9 auf 6 Jahre. Die Senatoren werden zeitlich gestaffelt gewählt. Da sich der dreijährige Wahlrhythmus nicht änderte, wird seit 2004 nicht ein Drittel, sondern die Hälfte der Senatoren jeweils neu gewählt. Am 24. September 2017 stehen 170 Senatoren-Sitze (von derzeit 348) zur Wahl. Die Zahl der Wähler einer Region ist dabei abhängig von der Bevölkerungszahl, aber nicht proportional zu dieser. Ländliche Regionen haben bei der Wahl im Verhältnis mehr Stimmen als Städte. Senatoren sind im politischen System Frankreichs an der Gesetzgebung beteiligt, können aber im Zweifelsfall von der Nationalversammlung überstimmt werden. Die Kontrollrechte gegenüber der Regierung sind nur schwach ausgeprägt.  Der Senat hat das Recht sie zu befragen und Berichte zu veröffentlichen, aber keine formellen Sanktionsmöglichkeiten. Aufgrund der ländlich geprägten Wählerschaft hat im Senat seit seiner Entstehung 1959 meistens aus einer bürgerlich-konservative Mehrheit bestanden. Anfangs 2017 besetzten die Republikaner 144 der 348 Sitze, auf die Sozialisten und Kommunisten entfielen 108 bzw. 21 Sitze, die Unabhängigen Demokraten 30, die Grünen 9 und die übrigen (darunter 2 FN) 36 Sitze. Die Linksparteien halten derzeit zusammen knapp die Mehrheit.

Fazit: Die Wahlen in Frankreich könnten weitreichendere Konsequenzen nach sich ziehen, als es viele derzeit noch wahrhaben wollen. Ein Wahlsieg von Marine Le Pen wäre wohl noch überraschender als der Brexit-Entscheid der Briten. Entsprechend wären auch die wenigsten Anleger darauf vorbereitet, was Panikverkäufe und grosse Verwerfungen an den Finanzmärkten auslösen könnte. Auch wenn bei einem Wahlsieg nicht sogleich Taten folgen werden, zumal im Juni 2017 auch noch die französischen Parlamentswahlen stattfinden, entstände eine europaweite Verunsicherung, die die Finanzmärkte über längere Zeit belasten würde. Bei einem unerwarteten Sieg der Sozialisten oder von Le Pen dürften Frankreichs Chancen einen Teil des vor dem Brexit aus London flüchtenden Finanzgeschäftes zu erben, schwinden. Damit rückt Frankfurt als mögliches neues EU-Finanzhauptzentrum in den Fokus, vorausgesetzt, dass nicht auch in Deutschland ein unerwarteter Wahlausgang resultiert. 

Wie in jüngster Vergangenheit vom Brexit, der Trump-Wahl etc. vordemonstriert, wirken sich politische Ereignisse vor allem auf die Währungen aus, denn die Zinsen werden weiterhin von den Notenbanken vorgegeben, die längst nicht mehr unabhängig sind, sondern im Sinne der Regierenden jede Krise mit einer noch extremeren Tiefzinspolitik auszugleichen versuchen.  Da Frankreich im Gegensatz zu Grossbritannien Mitglied des Euro ist, würde der Euro in einer ersten Phase geschwächt, aber nicht in gleichem Ausmass wie das Pfund im Nachgang zum Brexit absackte (-15% zum CHF), da im Euro auch Deutschland und einige andere als solide geltende Länder beteiligt sind. Ferner muss mit einem Anstieg der Risikoprämie der französischen Staatsanleihen gegenüber den deutschen Bunds und ein genereller Zinsanstieg am langen Ende in Europa gerechnet werden. Eine Rückstufung der Bonität Frankreichs durch die Rating Agenturen (heute S&P AA stabil, Moody’s Aa2 stabil, Fitch AA stabil) erscheint wahrscheinlich.

Wenn Frankreich und allenfalls auch noch Italien aus der EU austreten würde, nähme logischerweise das Gewicht der anderen Länder, insbesondere jenes von Deutschland von heute 20.2% (BIP-Anteil 2016) auf 23.8% (nach Brexit), bzw. auf 28.7% (nach Frexit) und sogar auf 33.9% nach dem Itexit zu. Noch folgenreicher wären die Auswirkungen auf die Eurozone, deren BIP heute 69% der EU ausmacht. Innerhalb der Euro-Zone, die auch für gewisse gemeinsame Schulden haftet und deren Mitgliedsländer letztlich den Wert des Euro ausmachen, bleibt der Anteil Deutschlands nach dem Brexit zwar unverändert bei 29.2%, nach einem Frexit würde er auf 36.8%, und bei einem anschliessenden Itexit sogar auf 45.7% ansteigen. Deutschland’s BIP wäre dann innerhalb der 17 verbliebenen Euro-Länder so gross wie das addierte BIP der 15 kleinsten Länder im Club. Die Volkswirtschaft der Eurozone würde bei einem Frexit um 21%, bei einem anschliessenden Itexit sogar um 36% schrumpfen. Die EU würde nach dem Brexit (-15%) und bei einem Austritt Frankreichs und Italiens um 30% bzw. 40% abnehmen. Im Vergleich zur USA erreicht das BIP der EU 2016 rund 92%. Nach einem Brexit läge es noch bei 78%, nach dem Frexit noch bei 65% und bei einem nachfolgenden Itexit sogar nur noch bei 55%. Damit wäre dann wohl auch der Traum von einem Euro als gleichwertige Weltwährung  zum USD ausgeträumt. Allerdings würde der hohe Anteil Deutschlands an der Euro-Zone nach einem Austritt Frankreichs und Italiens wohl zu einer substanziellen Aufwertung des EUR führen.

Brisant wären im Falle eines Euro-Austritt Frankreichs auch die Haftungs- und Kapitalisierungs-Verpflichtungen gegenüber dem EFSF (Euro-Rettungsschirm). Im Gegensatz zu Grossbritannien, das nicht Mitglied des Euro war,  musste sich Frankreich gegenüber dem EFSF (Euro-Rettungsschirm) zum Einschuss von EUR 142.7 Mrd. Eigenkapital verpflichten. Davon wurden jedoch nur EUR 16.3 Mrd. effektiv einbezahlt. Gleichermassen garantiert Frankreich mit einer Quote von 21.9% bzw. für 158.5 Mrd. für den EFSF. Ende 2015 lag die Bilanzsumme des EFSF bei rund EUR 778 Mrd. Sie hatte Anleihen in Höhe von EUR 72 Mrd. ausstehende. Wie sich Frankreich aus diesen Verpflichtungen loskaufen könnte, ist unklar und vor allem würde der EFSF bonitätsmässig geschwächt. Der nichteinbezahlte Betrag von EUR 126.4 Mrd. entspricht 5.8% der heutigen Staatsschulden und falls dieses Geld für den Einschuss am Kapitalmarkt beschafft werden müsste, würde sich die Staatsverschuldung 2016 von 97.2% auf 102.8% erhöhen.

An der EIB (Europäische Investitionsbank) ist Frankreich mit 16.11% beteiligt. Die EIB hatte Mitte 2016 bei einer Bilanzsumme von EUR 580 Mrd. Anleihen in Höhe von EUR 494 Mrd. ausstehend. Frankreich bezieht aber auch Kredite von der EIB. Ein Ausscheiden Frankreichs aus der EIB würde somit auf der Aktiven- als auch auf der Passivenseite der Bilanz Fragen aufwerfen.

Grossverluste müssten wohl die EZB, aber auch die SNB hinnehmen, wenn die EUR-Bonds Frankreichs in FF-Bonds umgewandelt würden und der FF voraussichtlich abwerten und die Zinsen gleichzeitig ansteigen würden. Ein bedeutender Teil der von der SNB gehaltenen EUR-Währungsreserven (Gegenwert CHF 280 Mrd.) dürfte wohl auch in französischen Zinspapieren stecken.  

Der französische Immobilienmarkt hat in den letzten Jahren keinen Rückschlag erlitten, wie dies in einigen anderen südeuropäischen Ländern der Fall war. Der Markt gilt daher eher als überbewertet. Ein Rückzug von Immobilienfonds und anderen Anlegern könnten einen Immobiliencrash auslösen. Eine weitere Euro-Krise mit Massenflucht in den CHF könnte für Schweizer Anleger und Banken bedeuten, dass die SNB den Negativzins auf CHF-Cash von heute 0.75% vorerst auf 1.25% und später allenfalls noch weiter erhöhen wird. Gleichzeitig wird im Zuge des Brexit und weil zu wenig repräsentative Marktteilnehmer noch Kurse stellen, auch die Weiterexistenz des Libors infrage gestellt. Viele Hypotheken und andere Verträge basieren jedoch auf Libor-Plus-Zinssätzen. Der Wahlausgang in Frankreich könnte somit Schweizer Anleger indirekt noch stärker treffen als die Franzosen.

Ein Euro-Ausstieg Frankreichs würde in Europa zu einem finanziellen Chaos führen. Eine eigene französische Währung würde wohl gegenüber dem EUR massiv abwerten und entweder zu einer Erhöhung der Staatsschulden führen, die von ausländischen Anlegern gehalten werden oder zu einer Umwandlung dieser Schulden in FF führen, wie dies Marine Le Pen ankündigte. Panikverkäufe von Anleihen französischer Schuldner durch ausländische Anleger könnten zu massiven Verwerfungen an der Zinsfront führen, denn ein Euro-Austritt wiegt viel schwerer als ein EU-Austritt eines Landes, das sich in der eigenen Landeswährung verschuldet hat.  Ein massiver Zinsanstieg in Frankreich wäre wohl die Folge davon.   Wie repräsentativ ein EUR-Libor ohne die Teilnahme französischer Banken noch wäre, ist ungeklärt.  

Wirken sich die Wahlen negativ auf das Geschäftsklima in Europa aus, weil sie auch als schlechtes Omen für die Wahlen in Deutschland interpretiert werden, muss mit einem vorzeitigen Abbruch der sich abzeichnenden Konjunkturbeschleunigung gerechnet werden. Davon würden letztlich auch die Unternehmensgewinne und die Aktienmärkte zu leiden haben. Frankreichs Anteil am MSCI-Weltindex (ACWI) beträgt 3.8%, gemessen am Welt-Index der Industrieländer 4.4%, am MSCI-Europaindex des Westens 17.3%. Wer in Europa-Indexfonds anlegt, muss sich bewusst sein, dass der Wahlgang in Frankreich auch solche Indexfonds signifikante treffen könnte.  

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Hans Kaufmann ist seit der Gründung Verwaltungsratspräsident der Kaufmann Research AG. Neben seiner beruflichen Tätigkeit für Kaufmann Research übt Hans Kaufmann verschiedene Beratungs- und Verwaltungsratsmandate, insbesondere im Pensionskassenbereich, aus. Zuvor war er Direktor und Chefökonom der Bank Julius Bär, verantwortlich für die Anlagestrategie Schweiz. Von 1986 bis 1997 leitete er die Abteilung Aktienanalyse Gesellschaften Schweiz. Seine berufliche Ausbildung ergänzte er durch Einsätze bei verschiedenen New Yorker Brokern wie Goldman Sachs, Salomon Brothers und Kidder, Peabody & Co. 1980 trat er bei der Bank Julius Bär ein, nachdem er seit 1974 als Finanzanalyst bei der Zürcher Kantonalbank tätig gewesen war. Hans Kaufmann begann seine Karriere 1973 als Goldminenanalyst in Johannesburg. Er verfügt über ein Lizenziat der Universität Zürich (lic. oec. publ). 2011 wurde er in den Bankrat der Zürcher Kantonalbank gewählt.

Als Vertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP) des Kantons Zürich war Hans Kaufmann von 1999-2014 Mitglied des Nationalrats.