Realitätssinn statt Defätismus

Das Verhalten unseres Bundespräsidenten in der so genannten Libyen-Affäre zeugt nicht gerade von Selbstbewusstsein. Es ist Hans-Rudolf Merz scheinbar entgangen, dass sein Gegenüber ein Putschist ist. Einer, der die Zerschlagung der Schweiz fordert. Ein Freund von Jean Ziegler und Jörg Haider. Ein muslimischer Fanatiker. Ein brutaler Diktator, der für die Ermordung Hunderter von Menschen verantwortlich ist und Mao zum Vorbild hat.

Wer, wie Merz, lieber über Stilfragen anstatt über politische Inhalte diskutiert, müsste eigentlich wissen, welcher Stil im Umgang mit solchen Leuten angezeigt ist. Der frühere amerikanische Präsident Ronald Reagan jedenfalls bezeichnete Muammar al-Gaddafi, schon 1986 als den „verrückten Hund des mittleren Ostens“ und bombardierte ihn. Das ist die Sprache, die der „Revolutionsführer“ versteht. Etwas in der Art ist von der Schweiz nicht zu erwarten. Dem Schweizer Steuerzahler, dem Millionen für die super-spezial-top-Profi-Einheit AAD 10 (Armee-Aufklärungsdetachement 10) abverlangt werden, wurde gerade kürzlich eröffnet, dass der Eliteverband nicht in der Lage sei, die in Libyen zurückgehaltenen Geschäftsleute aus dem Land zu holen, obwohl das Pflichtenheft genau solche Kommandoaktionen vorsieht. – Irgendwie musste der Budgetantrag schliesslich gerechtfertigt werden.

Nun mag es verschiedene Methoden geben, um das Verhältnis zu Libyen zu klären und die Festgehaltenen aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Das Konzept des aktiven Defätismus war jedenfalls nicht erfolgreich. Wie immer die Sache ausgeht, wir sind auf die Gnade eines verrückten Hundes angewiesen.

Es ist festzustellen, dass zwischen einzelnen Departementen praktisch Kriegszustand herrscht und dem Bundespräsidenten die Autorität fehlt, für Ordnung zu sorgen. Dabei soll sich das Klima in der Landesregierung mit der Abwahl von Christoph Blocher so sehr verbessert haben. In diesem Klima „alle gegen alle“ wird manches Süppchen gekocht. Und wie üblich mischt auch Bundesrat Couchepin wacker mit. Er wird zwar demnächst aus der Landesregierung ausscheiden, doch seine Sticheleien aus dem Hinterhalt dürften deswegen nicht ausbleiben. Ich sehe sie schon vor mir: „Bodenmann und Couchepin“, wie „Statler und Waldorf“, die beiden alten Stänkerer aus der Muppet Show.

Couchepins grösste Leistung besteht darin, dass er es nicht geschafft hat, die Schweiz in die EU hineinzumanövrieren. Dieses Versagen verdient Applaus. Dass es trotzdem höchste Zeit ist, dass er die Regierung verlässt, zeigen seine jüngsten Medienverlautbarungen: „Wir sind allein in Krisen. Das wäre in der EU anders“, lässt er die verblüffte Öffentlichkeit wissen. Wie bitte? Da ist auf der einen Seite eine Wüstendiktatur, die ausser Öl nichts zu bieten hat, und die Menschenrechte mit Füssen tritt, und auf der anderen Seite ist ein direktdemokratischer Rechtsstaat mit der höchsten Lebensqualität weltweit. Und ein Mitglied der Regierung dieses Landes beklagt dessen angebliche Isolation. Das alleine ist schon grotesk. Vollends Sorgen um Couchepins Gesundheitszustand muss man sich allerdings machen, weil er behauptet, dass wir als Mitglied der EU auf Unterstützung seitens der Verbündeten zählen könnten. Musste EU-Mitglied Österreich nicht gerade auf Druck seiner Verbündeten sein Bankgeheimnis preisgeben? Und hat nicht gerade EU-Mitglied England einen Lockerbie-Attentäter nach Libyen entlassen, wo er von einer jubelnden Menschenmenge empfangen wurde? Und würde dieser Schritt von der britischen Regierung nicht mit Verweis auf den Druck, dem sich die Schweiz momentan ausgesetzt sieht, gerechtfertigt?

Auch wenn es in der Wolle gefärbten Gutmenschen nicht in den Kopf will: Staaten haben, wie Menschen, Interessen, und diese versuchen sie durchzusetzen. Wenn es geht, mit politischen Mitteln im Dialog. Doch bekanntlich findet die Politik ihre Fortsetzung in der kriegerischen Auseinandersetzung. Dazu gehört auch der Wirtschaftskrieg. – Höchste Zeit, dass man sich in Bern der Realität zuwendet.

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Erschienen in der Berner Zeitung vom 5. September 2009

3 Gedanken zu „Realitätssinn statt Defätismus“

  1. Bemerkenswert ist ausserdem, dass Lybien gegenwärtig den Vorsitz der UNO Vollversammlung hat, ein Land also, das Geiseln hält, Menschen verschwinden lässt und andere Staaten mit der Zerschlagung droht. Diese Tatsache manifestiert den völligen moralischen Bankrott der UNO. Ausserdem gibt es ja noch den sog. UNO-Menschenrechtsrat. Auch dort ist Lybien Mitglied womit der Begriff „Menschenrecht“ im Ratsnamen der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Unsere Aussenministerin, M. Calmy, hat übrigens ein grosses Hobby: Ebendiesen Menschenrechtsrat mit Sitz in Genf. Frau Calmy nimmt gern an den Sitzungen teil, besonders wenn die desolate Menschenrechtslage in der Schweiz (sic, sic) besprochen wird. Haben Sie, lieber Leser, schon gehört, dass die Menschenrechtslage in Lybien an die Reihe gekommen wäre ? Ist ja auch nicht nötig, denn in diesem Land ist alles paletti. De moralisch/ethische Glaubwürdikeit der UNO und ihres Menschenrechtsrates sinkt auf 0 (d.h. ist inexistent). Leider muss dies auch von Frau Calmy gesagt werden. Man sagt so etwas nicht gerne von einem Mitglied der Landesregierung. Bedenklich genug, dass es stimmt.

  2. Politik ist bekanntlich die Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln. Deshalb geben wir rechtskonservativen Gutmenschen wie Alfred Heer recht: Die Geiseln haben die Kosten einer allfälligen Befreiungsaktion oder eine Kaution selber zu berappen. Sie sind selber schuld, wenn sie in einem Unrechtsstaat Geschäfte treiben. Wir verweisen auf die berühmte Eigenverantwortung. Boykottiert Tamoil! Sprengt die Tankstellen in die Luft!

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