Ein Gastbeitrag von Michael R. Moser
James Baker und Hans-Dietrich Genscher verkündeten am 2. Februar 1990 in den Nachrichten des deutschen Fernsehens als Durchbruch bei den „Zwei plus Vier“-Verhandlungen sinngemäß: „die Sowjetunion zieht sich aus dem Gebiet der „DDR“ zurück, die NATO rückt nicht nach“. Ich fühlte mich damals, Anfang 20, beseelt von dem Gedanken, den der Journalist, Politik- und Geschichtswissenschaftler, Philosoph und Theologe Franz Alt in seinem 1983 erschienenen Buch „Frieden ist möglich“ beschrieben hatte, zur Zeit des Nato-Doppelbeschlusses und einer Hochphase des Ost-West-Konfliktes: Verständigung unter den Völkern, Dialog auf Augenhöhe, Verständnis für die Position der Gegenseite.
Was ist nur daraus geworden?
Die amerikanischen Präsidenten wurden seit Lyndon B. Johnson von einem sehr einflussreichen Polen in Fragen der Außenpolitik beraten, Zbigniew Brzeziński. Er ersann Strategien, die die Einflusssphären der USA in der Welt vergrößerten. Von ihm stammen Abhandlungen wie „Die einzige Weltmacht“ oder „auf der Suche nach nationaler Sicherheit“. Die nationale Sicherheit verband er und verbanden mit ihm die Präsidenten der USA mit militärischer Stärke und einer Art „Strategie der Spannung“.
Seit JFK listet Wikipedia 39 bekannte Militäroperationen der Vereinigten Staaten auf, für Russland sind es 27, darunter Aktivitäten im Range von „Unterstützung“ und „Beratung“. Berühmt wurde ein Interview der Außenministerin Madeleine Albright aus dem Kabinett Clinton, die zivile Kollateralschäden im Kontext der Irakinterverntion mit den Worten „Es ist diesen Preis wert“ mehr als zynisch kommentierte.
Ein Stratege Namens George Friedman (Stratfor) sprach 2015 vor dem Chicago Council on Global Affairs von dem Ziel der USA, deutsche Ingenieurskunst und russische Ressourcen getrennt zu halten, und zwar mit geostrategischen Mitteln. Friedman schwärmt von den USA als der „einzigen Weltmacht“, die militärische Stützpunkte an und Flottenverbände in allen Weltmeeren besitze.
Die Politik der Einflusssphären erinnert an eine in den Wild-West-Filmen von den Bösewichten an den Tag gelegte Manier, erst schießen, dann fragen; man nimmt sich, wovon man meint, dass es einem zustehe.
Ronald Reagan auf einem berühmten Foto mit Cowboyhut oder wahlweise auf seinem Pferd beim Ausritt, verbinde ich mit diesem Bild und mit dem Ausruf des Darstellers des verschrobenen Wissenschaftlers, Christopher Lloyd, der im Film „Zurück in die Zukunft“ den jungen Hauptdarsteller Michael J. Fox über die Zustände in Amerika fragt: „Dann sag mir, Junge aus der Zukunft, wer ist im Jahr 1985 Präsident der Vereinigten Staaten?“„Ronald Reagan!“„Der Schauspieler? Wer ist dann Vizepräsident? Jerry Lewis? Und John Wayne ist Verteidigungsminister?“
Wenn ich mir die europäische Landkarte seit 1990, seit der deutschen Wiedervereinigung, ansehe und den Wechsel ehemaliger Staaten des „Warschauer Paktes“ in die Nato, so sehe ich förmlich einen Keil von Griechenland über Bulgarien, Rumänien, Polen und den baltischen Staaten durch Europa getrieben. Viele davon dienten Russland noch zuvor als eine Art „cordon sanitaire“ in Richtung Westen.
Im Frühjahr 1999 traten erst Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei. Beim Gipfeltreffen in Prag im November 2002 lud die NATO dann auch die Länder Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien zu Beitrittsgesprächen ein. Nur zwei Jahre Später traten auch diese sieben Länder der NATO bei. Im April 2008 wurde der Beitritt Albaniens und Kroatiens beschlossen.
Vor diesem Hintergrund bedarf es nur noch der Lektüre der Rede Putins 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) und der (weniger bekannten) Rede Gorbatschows vor der Hanns-Seidl-Stiftung in München anlässlich der Verleihung des Franz-Josef-Strauß-Preises am 10. Dezember 2011. Beide betonten das Risiko einer Konfrontation durch strategische Einengung Russlands.
Die USA umzingeln „den russischen Bären“ nicht erst, aber verstärkt, seit Ronald Reagans Strategic Defense Initiative, offizielle Initiative zum Aufbau eines Abwehrschirms gegen Interkontinentalraketen, die mit Schutztruppen in Bataillonsstärke an den Ostgrenzen der Nato platziert wurden.
Von der Strategie der Kommunikation in G8 und sicherheitspolitischer Diskussionen ist man im Westen zwischenzeitlich konsequent abgerückt. Gorbatschow mahnte noch: “ Wir sollen ein System aufbauen, das globale Entscheidungen in unserer globalen Welt möglich macht. Wir brauchen dafür neue Mechanismen, neue Modelle.“ Diese Mechanismen sind tot, die europäische Frage weiter ungelöst.
Näher und näher rückte „der Westen“ dem Bären aufs Fell. Zuletzt mit dem EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, treffend pointiert in der, wegen der Offenlegung von Verstrickungen von Journalismus, „Think Tanks“ und Politik, verklagten und später „freigesprochenen“ ZDF-Sendung „Die Anstalt“ vom 29. April 2014.
Wenn in seiner Bundestagsrede am 27. Januar 2022 der neue CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz apodiktisch fordert, dass man sich in diesem Bundestag einig sein müsse, dass alleine Russland und Wladimir Putin die Schuld am Ukraine Konflikt und der „Gefährdung des Friedens in Europa“ trage und er sich darüber mit Pathos beklagt, dass der Wladimir Putin von 2001 ein anderer war, als er es 2007 war und 2022 ist, verwundert das dann wirklich?
Dieser Wladimir Putin mahnte am 25. September 2001 im Deutschen Bundestag in einer in größten Teilen auf Deutsch gehaltenen Rede die „Einheit der europäischen Kultur“ an und reichte Deutschland die Hand zum Dialog. Putin beschrieb ein geeintes und eigenständiges, sicheres und friedliches Europa, das mittelfristig die amerikanische Einwirkung auf den Kontinent überflüssig machen und zurückgedrängt haben würde.
„Russland ist ein freundliches europäisches Land“, so Putin wörtlich im Deutschen Bundestag.
Wenn ein großer Teil Europas die Handreichung zur Schaffung eines „neuen Europa“ über 20 Jahre nicht nur ignoriert, sondern durch die Politik der Einflusssphären hintertreibt, wen wundert ernstlich eine Anpassung der strategischen Antwort auf die Handlungen der „westlichen Staaten“, die von Russland nur als Bedrohung aufgefasst werden können?
Eher verwundert es, für wie dumm Friedrich Merz, ehemaliger Vorsitzender der einflussreichen „Atlantik-Brücke“, die politischen Beobachter und die deutschsprachige europäische Bevölkerung hält.
Angesichts der Ukraine Krise müssen sich alle politischen Akteure, vor allem in Deutschland fragen lassen, wozu sie es soweit haben kommen lassen und wieso sie die über Jahrzehnte offen gehaltene Tür zum Dialog mit Russland zugeschlagen haben.
Die europäische Frage braucht keinen Krieg, vielmehr Besinnung auf die eigenen europäischen Qualitäten, die zu entwickeln und zu stärken wertvolle 20 Jahre Zeit verstrichen sind.
Quellenverweise
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Militäroperationen_Russlands_und_der_Sowjetunion
https://de.wikipedia.org/wiki/Madeleine_Albright#Politische_Laufbahn_1976
https://de.wikipedia.org/wiki/Ronald_Reagan#Filmografie_(Auswahl)
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Militäroperationen_der_Vereinigten_Staaten
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Alt_(Journalist)
https://de.wikipedia.org/wiki/Zbigniew_Brzeziński
https://www.youtube.com/watch?v=5lomur6IhXE
https://www.youtube.com/watch?v=gcj8xN2UDKc
https://dserver.bundestag.de/btp/20/20014.pdf
https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966
https://www.youtube.com/watch?v=cVSaQmGTnuc
https://de.rt.com/international/131384-gegen-unipolare-weltordnung-putins-legendare/
https://www.youtube.com/watch?v=VPyZX_Na5Hk
https://www.hss.de/news/detail/michail-gorbatschow-erhaelt-franz-josef-strauss-preis-2011-news180/
https://www.hss.de/fileadmin/user_upload/HSS/Dokumente/111210_RM_Gorbatschow.pdf
https://www.atlantik-bruecke.org (Foto „Preisverleihungen“ mit Friedrich Merz und Richard v. Weizäcker)
https://www.atlantik-bruecke.org/in-conversation-with-true-atlanticists-friedrich-merz-and-ambassador-john-emerson/ (After ten years, Friedrich Merz as the chairman is leaving)
https://de.rt.com/inland/84938-atlantik-brucke-friedrich-merz-gibt-vorsitz-auf-sigmar-gabriel/
https://www.sueddeutsche.de/politik/atlantik-bruecke-merz-wieder-am-steuer-1.967672
https://betanews.com/wp-content/uploads/2012/12/Ronald-Reagan.jpg
https://www.deutschlandfunk.de/streit-ueber-raketenabwehrschirm-der-nato-100.html
https://dserver.bundestag.de/btd/18/092/1809265.pdf
https://www.ivw.unisg.ch/wp-content/uploads/2019/03/JT2014.pdf
https://filmcharts.ch/movie/Back-To-The-Future-129
https://www.youtube.com/watch?v=1LONPFtP1GY
https://www.youtube.com/watch?v=hnH10TfhkOQ