Archiv der Kategorie: Rechtsstaat

Kommission unterstützt PI Zanetti auf Abschaffung des konstruktiven Referendums

Medienmitteilung der Kommission für Staat und Gemeinden

Die Kommission für Staat und Gemeinden beantragt dem Kantonsrat mit 10:5 Stimmen, das so genannte konstruktive Referendum (Referendum mit Gegenvorschlag von Stimmberechtigten) abzuschaffen.

Mit der neuen Kantonsverfassung wurde 2005 ein neues Volksrecht eingeführt, das Referendum mit Gegenvorschlag von Stimmberechtigten. 3000 Stimmberechtigte können zu einer Vorlage des Kantonsrates innert 60 Tagen einen ausformulierten Gegenvorschlag einreichen. Das neue Instrument wurde bereits mehrmals benutzt, beispiesweise beim Gesetz über die ärztlichen Zusatzhonorare, beim Steuergesetz (Steuerentlastung für natürliche Personen) oder letztmals beim Kantonalen Bürgerrechtsgesetz.

Das Referendum mit Gegenvorschlag von Stimmberechtigten sollte verhindern, dass eine Vorlage wegen einer einzelnen, umstrittenen Regelung abgelehnt wird. Mit der aktiven Einbindung der Stimmberechtigten in den Gesetzgebungsprozess sollte ein Gegengewicht zum bewahrenden Charakter des einfachen Referendums gesetzt werden, welches oft als blosse Verhinderung empfunden wurde. Das neue Instrument wird deshalb auch konstruktives Referendum genannt.

Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass damit teilweise „Rosinenpickerei“ betrieben werden kann. Dadurch verliert eine Vorlage ihre ausgehandelte Ausgewogenheit. Die Kompromissfindung im Kantonsrat wird erschwert, wenn partikuläre Interessen nachträglich mittels Referendum nochmals aufgebracht werden können. Schliesslich hat gerade die Abstimmung zum Steuergesetz gezeigt, dass das Abstimmungsverfahren sehr kompliziert wird, wenn mehrere Referenden mit Gegenvorschlag eingereicht werden.

Die rege Nutzung des konstruktiven Referendums ist auch darauf zurückzuführen, dass es mit relativ wenig Aufwand verbunden ist. Zur Debatte stand deshalb, die Anforderungen zu erhöhen, indem beispielsweise die Unterschriftenzahl erhöht wird, wie es mit der Parlamentarischen Initiative Germann, KR-Nr. 323/2009 gefordert wurde. Mit leichten Anpassungen wegen der „Kinderkrankheiten“ hätten weitere Erfahrungen mit diesem Instrument, das schliesslich erst seit wenigen Jahren existiert, gesammelt werden können.

Konsequenterweise hätte dann aber das ganze Gefüge der Volksrechte überprüft werden müssen, also auch die Anforderungen an die Volksinitiative, was keine Befürworter fand. Ausserdem hätte die Erhöhung der Unterschriftenzahl die offensichtlichen Nachteile des Instruments nicht beseitigen können. Die Kommissionsminderheit entschied sich schliesslich dafür, das konstruktive Referendum vorderhand nicht zu verändern und im Gegenteil noch etwas mehr Erfahrung zu sammeln, bevor ein endgültiges Urteil über dieses Instrument der demokratischen Mitwirkung gefällt wird. Sie beantragt deshalb, beide parlamentarischen Initiativen abzulehnen.

Die Kommissionmehrheit kam hingegen zur Ansicht, dass die übrigen Volksrechte die Einflussnahme durch die Stimmberechtigen in angemessener Weise sichern. Sie beantragt dem Kantonsrat daher, die Parlamentarische Initiative Germann abzulehnen, dafür in Zustimmung zur Parlamentarischen Initiative Zanetti die Kantonsverfassung zu ändern und das Referendum mit Gegenvorschlag von Stimmberechtigten wieder abzuschaffen.

Eine Spezialbehandlung für eine spezielle Partei?

Wenn die Menschheit auf dem Gebiet der Staatskunst Grossartiges geleistet hat, dann mit der Trennung der Staatsgewalten in Legislative, Exekutive und Judikative sowie mit der Postulierung von unveräusserlichen Freiheitsrechen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger. All das dient dem Verhindern von Machtkonzentration.

Ihrem Wesen nach ist die Gesetzgebung die wichtigste Staatsaufgabe. Die Regeln festzulegen, ist vornehmer, als die Regeln, die andere aufgestellt haben, anzuwenden. Darum ist die Legislative auch die demokratischste Staatsgewalt. Sie wählt im Bund die Regierung und die Gerichte, und diese haben ihr zu rapportieren. Wenn ein Parlamentarier etwas wissen will, haben Regierung und Verwaltung Auskunft zu geben.

Vergangene Woche wollte Nationalrat Ernst Schibli etwas wissen. Er nutzte dazu die nationalrätliche Fragestunde. Es ging um die Berichterstattung des Schweizer Fernsehens über das Familienfest der SVP vom 10. September 2011 in Bern. Die Frage richtete sich daher an die zuständige Medienministerin, Bundesrätin Doris Leuthard. Nun kann man aus freiheitlicher Sicht einwenden, die beste Medienpolitik sei gar keine Medienpolitik, und es brauche darum auch keine Medienministerin. Doch ganz so einfach ist es nicht. Beim fraglichen Medium handelt es sich um unser zwangsgebührenfinanziertes Staatsfernsehen. Neuerdings muss sogar zahlen, wer gar keinen Fernseher besitzt. Es ist darum absolut legitim staatspolitische Massstäbe anzuwenden, und die oberste Chefin um eine Beurteilung zu ersuchen.

Ernst Schibli stellte also folgende Frage: „Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass es bei der Berichterstattung gegenüber der SVP immer zu ganz speziellen Tricks kommt, die von der SRG angewendet werden?“ Die Antwort von Frau Leuthard: „Da ich nicht Mitglied der UBI bin, kann ich diese Frage nicht beantworten. Aber: Jede spezielle Partei hat ja auch eine spezielle Behandlung.“ Damit hatte die Magistratin zwar die Lacher auf ihrer Seite, doch die Frage hat sie nicht beantwortet.

Klare Fragen nicht zu beantworten, hat bei Frau Leuthard Tradition. Auch ich warte noch immer auf eine Antwort auf eine E-Mail in ähnlichem Zusammenhang vom vergangenen November. Nach undemokratischen Übergriffen gegen die SVP, der Besetzung ihres Parteisekretariats und der Vertreibung aus der Universität Lausanne (wo kurz zuvor die SP noch eine zweitägige Programmtagung durchgeführt hatte) und der Androhung von gewalttätigen Ausschreitungen für den Fall der Annahme der Ausschaffungsinitiative, wollte ich von ihr wissen, ob sie ihre zu Ende gehende Amtszeit als Bundespräsidentin dazu nutzen werde, öffentlich zur Zurückhaltung aufzurufen und klarzustellen, dass das Verdikt des Volkes – wie immer es ausfallen werde – auf demokratischem Weg zustande gekommen sei, und das Wesen einer Demokratie darin bestehe, dass sich die Minderheit dem Beschluss der Mehrheit zu unterziehen habe. Frau Leuthard hat nicht geantwortet und schon gar nichts in diesem Sinne unternommen.

Bekanntlich ist Schweigen manchmal besser als reden. Wer schweigt, hat sogar die Chance, als Philosoph zu gelten. Diese Chance hat Frau Leuthard mit ihrer saloppen Antwort, die den Respekt vor dem höchsten gewählten Gremium des Landes vermissen lässt, vertan. Nicht nur das: In Verletzung des zentralen Gebots der Rechtsgleichheit der Bundesverfassung redet sie einer Spezialbehandlung für eine spezielle Partei das Wort. Kommt diese Spezialbehandlung bald auch im Steuer- oder Strafrecht zur Anwendung? Und bestimmt der Bundesrat, wer „speziell“ ist? Glücklicherweise postuliert Frau Bundesrätin Leuthard vorderhand noch keine „Sonderbehandlung“ für die SVP und begnügt sich mit einer „Spezialbehandlung“. Gleichwohl muss der dümmliche Spruch einer Spitzenfunktionärin zu denken geben.

Konzeptlosigkeit oder das Geschwätz von gestern

Es ist passiert, was zu erwarten war – und von der SVP auch so vorhergesagt wurde: Der neue Finanzausgleich kommt den Kanton rund 100 Millionen teurer zu stehen als behauptet, und die Stadt Zürich fährt mit der neuen Regelung sogar noch wesentlich besser. Die vom Gemeindeamt errechneten Modelle lagen um mehrere Hundert Millionen Franken daneben.

Wir müssen also feststellen, dass der Souverän im Hinblick auf die Volksabstimmung über den Finanzausgleich vom Regierungsrat nicht korrekt informiert wurde. Sogar eine parlamentarische Anfrage unsererseits wurde falsch beantwortet. Hier liegt ein massives Versagen – wenn nicht gar eine bewusste Täuschung – vor. Dies wiegt vor allem deshalb schwer, weil die Regierung bereits wenige Wochen nach der Abstimmung offenbar problemlos in der Lage ist, den Gemeinden die richtigen Zahlen zu liefern. Ist das Handeln nach Treu und Glauben? Ist das das Verhalten redlich und anständig handelnder Menschen?

Gewiss, Fehler können vorkommen. Niemand ist vollkommen, doch darf man von einer Verwaltung, die im Jahr über 12 Milliarden Franken verschlingt, nicht erwarten, dass sie ein paar Zahlen richtig errechnet – Zahlen, nota bene, die in einem Abstimmungskampf eine wichtige Rolle spielten? Und ist es wirklich Zufall, dass der Aufwand für den Kanton zu tief und nicht zu hoch veranschlagt wurde?

Es ist noch keine drei Monate her, da forderte die Zürcher Regierung den Bundesrat zur Wiederholung der eidgenössischen Volksabstimmung vom 24. Februar 2008 über das Unternehmenssteuerreformgesetz II auf. Beim erwähnten Urnengang sei nämlich die Abstimmungsfreiheit der Stimmberechtigten verletzt worden, weil die Steuerausfälle in den Abstimmungsunterlagen des Bundes zu tief beziffert worden seien.

Würde den Regierungsrat sein Geschwätz von gestern kümmern, und würde er nach der gestern noch von ihm propagierten Maxime handeln, müsste er jetzt aus eigenem Antrieb die Wiederholung der Abstimmung über den Finanzausgleich verlangen. Tut er dies nicht, ist das Beleg dafür, dass nicht das Recht, sondern Willkür und Konzeptlosigkeit Grundlage seines Handelns sind. Doch, nur weil man nicht mehr weiss, was man gestern sagte, ist man noch kein Adenauer.

Ein Verfassungsgericht widerspricht dem Wesen der schweizerischen Demokratie

Als Reaktion auf diese Medienmitteilung des Zürcher Regierungsrats verlas ich am 6. Juni 2011 im Kantonsrat diese vom mir verfasste Fraktionserklärung:

Es ist noch nicht einmal ein ganzer Monat her, seit unsere sieben Regierungsräte hier in diesem Saal feierlich gelobten, „die Rechte der Menschen und des Volkes zu schützen“. Eines dieser Rechte ist in Artikel 190 unserer Bundesverfassung verbrieft. Das Volk, das hierzulande der Souverän ist, behält sich in dieser Bestimmung aus¬drücklich das Recht vor, als Verfassungsgeber selber über die Einhaltung seiner Verfassung zu wachen. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit durch ein politisch zusammengesetztes Richtergremium wird damit weitgehend ausgeschlossen.

Geht es nach dem Willen der Zürcher Regierung, soll dem Schweizer und dem Zürcher Volk dieses Recht entzogen werden. Nach einem am vergangenen Freitag kommunizierten Regierungsratsbeschluss soll Artikel 190 BV aufgehoben werden. Nicht mehr das Volk, sondern Richter sollen das letzte Wort haben. Die Zürcher Regierung schützt also nicht, wie versprochen, die Rechte des Volkes – sie will sie ihm entziehen, weil sie einer Handvoll Funktionären mehr vertraut als den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern. Das gleiche Volk, von dem man sich wählen und bezahlen lässt, soll also seiner wichtigsten Kompetenz beraubt werden. Hätten die Regierungsräte einen Eid und nicht nur ein Gelübde geleistet, man müsste sie heute mit Fug und Recht als meineidig bezeichnen. Es mag nun jeder für sich selbst entscheiden, ob es ein Trost ist, dass sie bloss wortbrüchig sind.

Dieser Frontalangriff auf die direkte Demokratie ist selbstverständlich politisch motiviert: Der Abbau von Beitrittshürden ist das erklärte Ziel der Befürworter eines EU-Beitritts der Schweiz, und unsere direkte Demokratie ist nun einmal das grösste Hindernis auf dem Weg in die EU. Darum soll sie beseitigt werden.

Im noch nicht lange zurückliegenden Wahlkampf war der EU-Beitritt kein Thema. Und kein Kandidat liess eine grundsätzliche Demokratie-Skepsis erkennen. Umso ange¬brachter wäre es, dass der Regierungsrat wenigstens jetzt offen und ehrlich über seine wahren Absichten informiert. Leider verheisst der erwähnte Regierungsratsbe¬schluss in dieser Hinsicht nichts Gutes: Allen Ernstes wird darin die Forderung nach der Schaffung eines Verfassungsgerichts mit der Stärkung des Föderalismus begrün¬det. Das ist abwegig, jedem Kind leuchtet ein, dass jedes Gericht von seinem Wesen her der Zentralisierung Vorschub leistet, hat es doch für die einheitliche Anwendung des Rechts zu sorgen.

Offenbar ist dem Regierungsrat die Absurdität seiner Argumentation bewusst. Doch anstatt sich auf seine Verpflichtungen und Versprechen gegenüber der Zürcher Bevölkerung zu besinnen, flüchtet er sich in eine groteske Logik. So schreibt er beispielsweise, bei einer weiteren Vertiefung der Beziehungen zur EU seien inner¬staatliche Reformen zur Festigung der föderalistischen und demokratischen Staats¬organisation unerlässlich. – Pardon? Das Gegenteil ist richtig: EU und Demokratie und Föderalismus passen nicht zusammen. Sie sind inkompatibel. Wer für Födera¬lismus und Demokratie ist, kann nicht für einen EU-Beitritt sein. Und wer in die EU will, muss Demokratie und Föderalismus abbauen, nicht stärken. Das weiss auch der Zürcher Regierungsrat, der endlich aufhören soll, das Zürcher Volk und dieses Parlament für dumm zu verkaufen.

Gefährlicher Paradigmenwechsel

Unsere Hohe Landesregierung hat vergangene Woche einen Gesetzesvorschlag in die Vernehmlassung geschickt, der vorsieht, dass Schweizer Steuerbehörden als Trittbrettfahrer von Amtshilfeverfahren mit anderen Staaten profitieren könnten. Bankdaten, die beispielsweise bei Verdacht auf Steuerhinterziehung den Steuerbehörden anderer Länder geliefert werden, sollen auf diese Weise auch zur Durchsetzung des Schweizer Steuerrechts verwendet werden können. Sollte es tatsächlich soweit kommen, wäre das Bankkundengeheimnis – von einigen belanglosen Ausnahmen abgesehen – Geschichte.

Der Bundesrat, so ist zu lesen, geht mit seinem Vorschlag auf eine Forderung der kantonalen Finanzdirektoren ein. Dieser – ohne demokratische Legitimation oder parlamentarisches Mandat operierende – Club moniert bekanntlich seit Längerem eine Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Steuerämtern.

Mit Verlaub: Das ist keine Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Das ist unreflektiertes Geschwätz, von Leuten, denen kein Mittel zu billig und kein Argument zu plump ist, um ihre Kassen zu füllen. – Was soll daran verwerflich sein, wenn Bürgerinnen und Bürger hierzulande vor dem Zugriff des Fiskus besser geschützt sind als anderswo? Seit wann sind die Interessen der Verwaltung höher zu gewichten als jene der Menschen, die sie finanzieren? Es ist offenbar wieder einmal an der Zeit, in Erinnerung zu rufen, dass unser Staatsapparat für die Bürgerinnen und Bürger da ist und nicht umgekehrt. Niemand in Regierung und Verwaltung verfügt über Macht, die ihm nicht vom Souverän für eine bestimmte Zeit übertragen worden ist. Und was soll das ewige Gerde von den gleich langen Spiessen? Wir wollen nicht gleich lange, sondern längere Spiesse – aber nicht für den Staatsapparat, sondern für die Bürger unseres Landes und seine Volkswirtschaft!

Wie bei Kabinettspolitik üblich ist nicht in Erfahrung zu bringen, welche Position die Zürcher Finanzdirektorin im erlauchten Kreis ihren Amtkolleginnen und -kollegen eingenommen hat. Doch da die Frau einer Partei angehört, die sich „Wirtschaftspartei“ nennt, und zudem Mitglied einer bürgerlich dominierten Regierung ist und dies auch bleiben will, wollen wir annehmen, dass sie wie eine Löwin für das kämpfte, was der Zürcher Kantonsrat vor einigen Jahren auf Antrag ebendieser Regierung beschlossen hat: Er forderte die Verankerung des Bankkundengeheimnisses soll in der Bundesverfassung Der Regierungsrat begründete seinen Antrag damit, dass auf diese Weise dem legitimen Interesse der Bürgerinnen und Bürger nach Schutz ihrer Privatsphäre Rechnung getragen werde. Ja, er widmete diesem wichtigen Thema ein ganzes Kapitel.

Da weder der Souverän unseres Kantons noch dieser Rat seither abweichende Beschlüsse gefasst haben, bleibt unsere Position unverändert. Die SVP erwartet von der Zürcher Regierung darum nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass sie diese in sämtlichen Gremien nach innen und aussen vertritt und insbesondere klar macht, dass im Kanton Zürich das Interesse des unbescholtenen Bürger über jenen des Fiskus steht.

Die Sache mit dem Völkerrecht

„Libyen hat Max Göldi völkerrechtswidrig entführt“, beklagte sich unsere wackere Aussenministerin Micheline Calmy-Rey kürzlich voller Empörung. Wirklich? Welch ein Schlag für Ghadhafis Regime! Glaubte der Diktator doch bisher gewiss selber, dass sich Göldi freiwillig in die Obhut seiner Gefängniswärter begeben hatte. Und nicht etwa, um der angedrohten – völkerrechtswidrigen – Stürmung der Botschaft zuvorzukommen. Schliesslich ist Gastfreundschaft in Beduinenkreisen heilig, und eine nüchterne Zelle der Opulenz einer Schweizer Botschaft allemal vorzuziehen.

Mag man das Völkerrecht im Elfenbeinturm zu Bern auch für sakrosankt halten, auf dessen Altar man sogar die Demokratie zu opfern bereit ist. Potentaten wie Ghadhafi, an deren Händen das Blut Hunderter unschuldiger Opfer klebt, kümmert das wenig. Sie haben ein viel ungezwungeneres Verhältnis zum Völkerrecht. Sie berufen sich allenfalls dann darauf, wenn sie sich davon Schutz versprechen. Etwa, wenn sie im Ausland ihre Angestellten misshandeln und deswegen von den zuständigen Behörden nicht behelligt werden möchten. Ansonsten überlässt man das Völkerrecht gerne der Schweiz – und behält dafür Göldi.

Frau Calmy-Rey weiss nicht nur, was völkerrechtswidrig ist. Sie weiss auch, was völkerrechtskonform ist: Zum Beispiel das Erstellen einer schwarzen Liste unwillkommener libyscher Staatsangehöriger. Doch nur weil die – offizielle – Schweiz bereits einknickt, wenn die OECD – völkerrechtswidrig – mit einer grauen Liste herumfuchtelt, heisst dass noch lange nicht, dass auch der „verrückter Hund des mittleren Ostens“, wie Ronald Reagan den libyschen Putschistenführer einst nannte, wegen einer EDA-Liste ins Wanken gerät. Im Gegenteil, er macht sich über Frau Calmy-Rey lustig und ruft dazu auf, sie mitsamt ihrem Völkerrecht im Genfersee zu versenken.

Was die Souveränität des Nationalstaats ausmacht, nämlich darüber bestimmen zu können, wer sich auf dem eigenen Territorium aufhalten darf, ist mit „Schengen“ zu einer Angelegenheit des Völkerrechts geworden. Gleichsam zu einer Kolchose, in der angeblich „Sicherheit“ produziert wird. Zwar haben sich die Schengen-Staaten das Recht ausbedungen, auch weiterhin unwillkommenen Personen die Einreise zu verbieten, doch haben sich dem – wie in jedem kollektivistischen System – alle anzuschliessen. Und wie im real erprobten Sozialismus funktioniert das genau so lange, wie alle begeistert mitmachen. Im aktuellen Fall hat die Begeisterung allerdings rasch nachgelassen, und das EDA hat seine Liste kassiert – so freiwillig, wie sich Göldi ins Gefängnis begeben hat. Gleichzeitig liess man uns wissen, dass unsere beiden „Guantanamo-Uiguren“ trotz B-Bewilligung und Ausländerpass ein Schengen-Visum beantragen müssen, falls sie je ennet dem Rhein eine Cola trinken möchten.

Egal, ob Frau Calmy-Rey Völkerrechtswidrigkeit oder -konformität behauptet. Am Ende steht sie als Verliererin da. Damit sind wir bei einem Grundproblem des Völkerrechts angelangt: Bei der Frage nach seiner Durchsetzbarkeit. In aller Regel gewinnt der Stärkere. Völkerrecht hin oder her. Höchste Zeit, dass man im EDA zur Kenntnis nimmt, dass nicht nur offene Kriege asymmetrisch geführt werden. Auch in Wirtschaftskriegen und sogar in der diplomatischen Auseinandersetzung geht es in höchstem Masse „unfair“ zu und her.

Selbstverständlich ist der Versuch, Staaten mittels Verträgen und Konventionen zu einem zivilisierten Verhalten untereinander zu bewegen, lobenswert. Mit Autorität auf die Einhaltung dieser Regeln pochen, kann ein kleines Land allerdings nur, wenn es selber glaubwürdig ist. Wer jedoch ein sprunghaftes Verhältnis zur Neutralität pflegt, ständig improvisiert und die Stärken des eigenen Landes, weil angeblich nicht mehr zeitgemäss, mit Füssen tritt, wie Frau Calmy-Rey, darf sich nicht wundern, wenn er zum Spielball der Mächtigen wird. Plötzlich sind nur noch die anderen „aktiv“. Völkerrecht hin oder her.

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Erschienen in der Berner Zeitung vom 3. April 2010

Wenn die Linke bestimmt, wer zur Beschwerde legitimiert ist

Das Bundesgericht zu Lausanne – genauer die Bundesrichter Müller (CVP), Merkli (Grüne) und Zünd (SP) – sind nicht auf meine Beschwerde eingetreten, in der ich eine Verletzung der Gewaltentrennung durch den Zürcher Regierungsrat gerügt hatte. Letzterer hatte nämlich – unter dem Druck einer widerrechtlichen Kirchenbesetzung durch so genannte Sans-papiers – der Einsetzung einer Härtefallkommission zugestimmt, obwohl der Kantonsrat zuvor wiederholt gegenteilige Beschlüsse gefasst hatte.

Die Begründung des Bundesgerichts finden Sie hier: bger-urteil-hartefallkommission.pdf

In diesem Zusammenhang gab ich letzten Montag im Kantonsrat die folgende Erklärung ab:

„Frau Präsidentin, geschätzte Kolleginnen und Kollegen

Vor ein paar Tagen liess sich unser allseits geschätzter Justizdirektor im Tages-Anzeiger mit folgender Aussage vernehmen: „Jeder Entscheid einer Behörde ist anfechtbar.“ Und weiter: „Der Bürger soll sich bei einer unabhängigen Stelle wehren können, falls eine Behörde etwas in willkürlicher Art entscheidet. Das gehört zu den Grundsätzen unseres Rechtsstaats.“ Schliesslich könne man niemandem die Möglichkeiten des Rechtsstaats verwehren.

Es ging konkret um einen Betrüger, der zu insgesamt vier Jahren Gefängnis und einem dreijährigen Berufsverbot verurteilt worden war, und noch immer frei herumspaziert. Sie wissen ja: Die Möglichkeiten des Rechtsstaates…

Etwas völlig anderes ist es freilich, wenn sich ein Mitglied dieses Rates vor Bundesgericht dagegen zur Wehr setzt, dass sich die Zürcher Regierung mit der Einsetzung der so genannten Härtefallkommission über einen wiederholten Beschluss ebendieses Hauses hinweggesetzt hat. Der Regierungsrat ist zwar eine Behörde, und es liegt ein Entscheid vor. Doch ein Kantonsrat kann dagegen nach Ansicht des Bundesgerichts keine Beschwerde erheben, in der er die Verletzung der Gewaltentrennung rügt. Als Schweizer Bürger fehle ihm dazu die Legitimation.

Diese Rechtsverweigerung könnte natürlich auch daran liegen, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen Kriminellen handelt. Naheliegender ist allerdings die Vermutung, dass sich seine politischen Intentionen mit denen des Gerichts nicht decken und ein materielles Urteil vermieden werden sollte.

Hier, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wird es heikel. Eine politische Justiz ist eine gefährliche Justiz. Und all diejenigen, die sich nun freuen, sollten bedenken, dass sich politische Umstände auch ändern können.“

Teure Solidarität

Dass es auch die NZZ normal findet, dass die angebliche „Solidarität“ der Schengen-Staaten mit der Schweiz nicht gratis sei, vermag nicht zu überraschen. Schliesslich waren es vor allem freisinnige Politiker, die ihre Begeisterung darüber kaum zu zügeln vermochten, dass sich Staaten, die von sich behaupten Rechtsstaaten zu sein, an Verträge halten.

Nichts anderes ist nämlich passiert. Die Schweiz hat sich vertragskonform verhalten, als sie Vertretern der libyschen Nomenklatur die Einreise verweigerte, und sie durfte nach Treu und Glauben darauf vertrauen, dass der Schengen-Vertrag auch von den anderen Unterzeichnerstaaten eingehalten wird. Oder haben wir es mit derart unsichere Kantonisten zu tun, dass diese mit Geldzahlungen dazu gebracht werden müssen, sich an Vereinbarungen zu halten?

Wie dem auch sei, von Solidarität kann jedenfalls keine Rede sein. Genau so wenig, wie man bei einem Mietvertrag von einer Solidarität der Vertragsparteien reden würde, wenn der Vermieter das Objekt zu Verfügung stellt, und der Mieter pünktlich die Miete bezahlt.

Eine vollkommen andere Frage ist freilich, ob ein Staat das Recht haben soll, darüber zu bestimmen, wer sich auf seinem Territorium aufhalten darf. Ein Staat, der auf dieses Recht verzichtet, verzichtet auf den Kerngehalt seiner Souveränität. Und wenn es nach dem Vertrag zu Schengen tatsächlich nicht möglich sein sollte, dass die Schweiz einem libyschen Beduinenclan die Einreise verweigert, weil dadurch das Verhältnis Dritter mit dem „mad dog“ eine Störung erfährt, so ist der Vertrag schleunigst zu kündigen.

Prinzipienlosigkeit als Prinzip

Angesichts eines dermassen schwachen Bundesrats, dessen Mitglieder regieren mit „networken“ verwechseln, ist es nicht verwunderlich, dass unsere Verwaltung macht, was sie will. Unliebsame Volksentscheide werden unter Berufung auf das Verwaltungsrechtsprinzip „korrigiert“, und wenn ein Gericht einen unliebsamen Entscheid fällt, wird halt dieser mit Taschenspielertricks umgangen. So meldete eben die Eidgenössische Steuerverwaltung, sie habe einen Kniff gefunden, um den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zur Herausgabe der UBS-Kundendaten zu umgehen: Neu werden liechtensteinische Stiftungen auch als Offshoregesellschaften deklariert. Die Rechtslage und der Wille des Verfassungs- und Gesetzgebers, am Bankgeheimnis festzuhalten, werden vollständig ignoriert. Zur Rettung einer unfähigen UBS-Clique ist jedes Mittel Recht. Da müssen Unsummen von Schmiergeldern im Spiel sein.

Das einzige Prinzip, das noch beachtet wird ist das der Prinzipienlosigkeit. Was heute für „nicht verhandelbar“ erklärt wird, wird schon morgen auf dem Altar des Opportunismus geopfert. Das sei lösungsorientiert, so wird uns erklärt. Dabei werden nur Prinzipien- und Charakterlosigkeit als Pragmatismus etikettiert.

Geradezu devot beeilen sich unsere Bundesräte, die in einem feierlichen Eid versprochen haben, die Interessen der Eidgenossenschaft zu verteidigen, fremdes Recht zu übernehmen. Als wären wir Untertanengebiet wird jedem Wunsch des Auslands eifrig nachgekommen. Man wolle selbstverständlich fremde Rechtsordnungen respektieren, heisst es. Doch haben wir nicht auch eine Rechtsordnung, auf deren Beachtung wir zu pochen hätten?

Nicht genug: Jetzt kommt auch noch Micheline Calmy-Rey, die seit Jahren nichts anderes als den Anschluss an die EU, also an Deutschland, will und zeigt Verständnis für die Kooperation der deutschen Regierung mit Verbrechern. Galt nicht noch in der letzten Legislaturperiode die Einhaltung des Kollegialitätsprinzips als wichtigstes rechtsgut hierzulande?

Im Norden nichts Neues

Auch wenn in Deutschland der Widerstand gegen Hitler mit jedem Tag, der seit Ableben des Führers verstreicht, wächst, und sich sämtliche – sich als demokratisch bezeichnende – Parteien den „Kampf gegen Rechts“ aufs Banner geschrieben haben: Von gewissen totalitärer Traditionen können und wollen sich unsere nördlichen Nachbarn einfach nicht verabschieden. So frönen sie nach wie vor dem Denunziantentum, das der Gestapo und später der Stasi Funktionieren und Überleben erst ermöglichte. Genauso wie man seinerzeit den Nachbarn wegen Abhörens von Feindsendern bei der Obrigkeit verpetzte, fordert man heute die Kooperation mit Kriminellen. Schliesslich geht es um ein so fürchterliches Verbrechen wie Steuerhinterziehung. Die Idee, dass es der deutsche Staat selbst in der Hand hätte, sein Steuersystem so auszugestalten, dass erst gar niemand auf den Gedanken kommt, sein Geld im Ausland in Sicherheit zu bringen, ist etwa so verbreitet wie die Proteststürme nach der „Reichskristallnacht“.

In einem Land, das innert hundert Jahren einem Kaiser, einem Führer und einer Einheitspartei zujubelte, wird weder die Frage nach der Legitimität einer Massnahme noch nach allfälligen politischen Folgen gestellt. Man ist flexibel und bezeichnet Prinzipienlosigkeit als Pragmatismus. Was kümmern jemanden, der sich als Übermensch betrachtet, schon die Interessen und Rechte eines kleinen Binnenlandes? Für die Taliban gibt’s Ausstiegsgeld, für die Schweiz die Peitsche. So will es die Staatsräson.

Nachbar oder nicht, wenn es den eigenen Zielen dient, droht Berlin mit der Kavallerie – als wären wir Schweizer ein Stamm Hereros. Und wie ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte die Meinung, Deutschland komme zu kurz und kämpfe lediglich um den ihm zustehenden Platz an der Sonne. Auch in Sachen „Bankgeheimnis“ ist das so: In bekannter Manier wird so getan, als gelte es, sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Auch der Krieg gegen Polen war schliesslich nur eine Reaktion auf den Überfall auf den Sender Gleiwitz.