Selbst wenn Sie nicht den ganzen Film gesehen haben, diese Szene aus dem Horror-Klassiker „Shining“ kennen Sie bestimmt: Als verrückt gewordener Winter-Hausmeister eines abgelegenen Hotels schlägt Jack Nicholson mit einer Axt die Tür zu einem Zimmer ein, in das sich seine Frau und sein Sohn in Todesangst vor ihm geflüchtet haben.
Eine fast identische Szene ereignete sich vor wenigen Tagen in Dänemark: Ein ebenfalls mit Axt und Messer bewaffneter 28 Jahre alter Somalier drang in das Haus des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard ein und versuchte, den 74-jährigen vor den Augen seiner fünfjährigen Enkelin zu erschlagen. Erst die Polizei vermochte den Eindringling durch Schüsse ins Bein zu stoppen. Grund: Nach fast fünf Jahren hat der glühende Anhänger der Friedensreligion Islam noch immer nicht verwunden, dass Westergaard den Propheten Mohammed mit einer Bombe im Turban karikiert hatte.
Die meisten Medien hierzulande beschränkten sich dazu auf Kurzmeldungen. Auf die einzig richtige Reaktion – den Nachdruck der Karikaturen – wurde fast durchwegs verzichtet. Und nirgends war zu lesen, dass nichts, aber auch gar nichts, einen Mord rechtfertigt. Im Tages-Anzeiger schwärmte Daniel Wehrle von der neuen dänischen Regierung, die die Zuwanderer aus dem „nicht-westlichen Ausland“ ausdrücklich als Bereicherung begrüsst. In der NZZ insinuierte Aldo Keel gar ein Eigenverschulden der Dänen, schliesslich habe sich irgendein Buchautor in einem Interview provokativ geäussert. Und in der Südostschweiz legte Steffen Klatt Wert auf die Feststellung, dass sich Muslime in der Regel untereinander umbringen und dies vorwiegend in ihren Herkunftsländern. Der Anschlag gegen Westergaard stelle darum eine Ausnahme dar, der man nicht allzu viel Bedeutung beimessen soll. Viel wichtiger sei stattdessen, dass sich „der Westen“ aus Afghanistan zurückziehe und einen „Dialog der Kulturen“ pflege.
Dialog? Worüber bitte soll denn geredet werden? Wo sind überhaupt Kompromisse möglich? Nichts gegen die Übernahme von Neuem. Doch das Neue muss besser sein als das Alte. Und welches sind die islamischen Errungenschaften, durch die sich unser Leben substantiell verbessern liesse? Ist Scharia-Recht unserem Recht überlegen? Was soll für uns alle besser werden, wenn Religionsvertreter mehr Einfluss auf das öffentliche Leben erhalten? Warum sollen wir Freiheiten aufgeben, von denen wir jeden Tag profitieren? Wäre es etwa ein Fortschritt, wenn jeder nach Belieben zwar noch den Papst und die katholische Kirche beschimpfen darf, man aber seines Lebens nicht mehr sicher ist, wenn man über Mohammed witzelt?
Niemand muss Westergaards Karikatur gut finden. Ich kann sogar nachvollziehen, wenn sich Muslime ihretwegen in ihrem religiösen Empfinden verletzt fühlen. Na und? Wenn sich eine Popgöre zu PR-Zwecken ans Kreuz befestigen lässt, wenn Viktor Giacobbo ständig gegen das Papst- und das Mönchstum polemisiert, oder wenn in so genannt „offenen“ Kirchen pornographische Filme aufgeführt werden, dann verletzt das meine religiösen Gefühle ebenfalls. Doch ich muss das angesichts des verfassungsmässigen Rechts auf freie Meinungsäusserung tolerieren. Und genau so müssen sich auch Muslime Kritik an ihrer Religion und an Mohammed gefallen lassen.
Wenn nun bisweilen suggeriert wird, zwischen der Meinungsfreiheit und der Verletzung religiöser Gefühle bestehe eine feine Linie, die man nicht überschreiten dürfe, dann ist das eben kein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit – sondern ein Versuch, diese einzuschränken. Und dem ist von jedem, dem Freiheit etwas bedeutet, mit Entschiedenheit entgegenzutreten.
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Erschienen in der Berner Zeitung vom 9. Januar 2010