Archiv der Kategorie: Staat und Demokratie

Ein Verfassungsgericht widerspricht dem Wesen der schweizerischen Demokratie

Als Reaktion auf diese Medienmitteilung des Zürcher Regierungsrats verlas ich am 6. Juni 2011 im Kantonsrat diese vom mir verfasste Fraktionserklärung:

Es ist noch nicht einmal ein ganzer Monat her, seit unsere sieben Regierungsräte hier in diesem Saal feierlich gelobten, „die Rechte der Menschen und des Volkes zu schützen“. Eines dieser Rechte ist in Artikel 190 unserer Bundesverfassung verbrieft. Das Volk, das hierzulande der Souverän ist, behält sich in dieser Bestimmung aus¬drücklich das Recht vor, als Verfassungsgeber selber über die Einhaltung seiner Verfassung zu wachen. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit durch ein politisch zusammengesetztes Richtergremium wird damit weitgehend ausgeschlossen.

Geht es nach dem Willen der Zürcher Regierung, soll dem Schweizer und dem Zürcher Volk dieses Recht entzogen werden. Nach einem am vergangenen Freitag kommunizierten Regierungsratsbeschluss soll Artikel 190 BV aufgehoben werden. Nicht mehr das Volk, sondern Richter sollen das letzte Wort haben. Die Zürcher Regierung schützt also nicht, wie versprochen, die Rechte des Volkes – sie will sie ihm entziehen, weil sie einer Handvoll Funktionären mehr vertraut als den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern. Das gleiche Volk, von dem man sich wählen und bezahlen lässt, soll also seiner wichtigsten Kompetenz beraubt werden. Hätten die Regierungsräte einen Eid und nicht nur ein Gelübde geleistet, man müsste sie heute mit Fug und Recht als meineidig bezeichnen. Es mag nun jeder für sich selbst entscheiden, ob es ein Trost ist, dass sie bloss wortbrüchig sind.

Dieser Frontalangriff auf die direkte Demokratie ist selbstverständlich politisch motiviert: Der Abbau von Beitrittshürden ist das erklärte Ziel der Befürworter eines EU-Beitritts der Schweiz, und unsere direkte Demokratie ist nun einmal das grösste Hindernis auf dem Weg in die EU. Darum soll sie beseitigt werden.

Im noch nicht lange zurückliegenden Wahlkampf war der EU-Beitritt kein Thema. Und kein Kandidat liess eine grundsätzliche Demokratie-Skepsis erkennen. Umso ange¬brachter wäre es, dass der Regierungsrat wenigstens jetzt offen und ehrlich über seine wahren Absichten informiert. Leider verheisst der erwähnte Regierungsratsbe¬schluss in dieser Hinsicht nichts Gutes: Allen Ernstes wird darin die Forderung nach der Schaffung eines Verfassungsgerichts mit der Stärkung des Föderalismus begrün¬det. Das ist abwegig, jedem Kind leuchtet ein, dass jedes Gericht von seinem Wesen her der Zentralisierung Vorschub leistet, hat es doch für die einheitliche Anwendung des Rechts zu sorgen.

Offenbar ist dem Regierungsrat die Absurdität seiner Argumentation bewusst. Doch anstatt sich auf seine Verpflichtungen und Versprechen gegenüber der Zürcher Bevölkerung zu besinnen, flüchtet er sich in eine groteske Logik. So schreibt er beispielsweise, bei einer weiteren Vertiefung der Beziehungen zur EU seien inner¬staatliche Reformen zur Festigung der föderalistischen und demokratischen Staats¬organisation unerlässlich. – Pardon? Das Gegenteil ist richtig: EU und Demokratie und Föderalismus passen nicht zusammen. Sie sind inkompatibel. Wer für Födera¬lismus und Demokratie ist, kann nicht für einen EU-Beitritt sein. Und wer in die EU will, muss Demokratie und Föderalismus abbauen, nicht stärken. Das weiss auch der Zürcher Regierungsrat, der endlich aufhören soll, das Zürcher Volk und dieses Parlament für dumm zu verkaufen.

Seien Sie Egoist!

Würden Sie eine Aktie kaufen, bloss weil diese in der Vergangenheit gut „performt“ hat? Wohl kaum. Der Blick zurück mag zwar durchaus einige Hinweise und Entscheidungshilfen liefern, doch ausschlaggebend sind am Ende die Erwartungen an die zukünftige Entwicklung. Der amerikanische Komiker Groucho Marx brachte das treffend auf den Punkt, als er rhetorisch fragte: „Warum soll ich eine Aktie kaufen, die Du mir verkaufen willst?“

Mit der Politik verhält es sich genau gleich: Der kluge Wähler betrachtet den Wahltag nicht als Zahltag. Warum sollte er sich auch als strafender oder lobender Samichlaus mit Fitze und Mandarinen aufführen? Genau wie der Anleger, der an der Börse investieren will, denkt der kluge Wähler in erster Linie an sich. Auch er schaut in die Zukunft und überlegt, welcher Partei er am ehesten zutraut, die Probleme zu lösen, die ihm am meisten Sorge bereiten. Zurückblickend interessiert ihn nur, ob eine Partei ihre Wahlversprechen eingehalten hat – und darum gewachsen ist.

Wer als Schweizer genug davon hat, immer mehr arbeiten zu müssen, um für einen wuchernden Bürokratenstaat aufzukommen, wird seine Stimme der SVP geben. Wer will, dass im Asyl- und Ausländerwesen Ordnung geschaffen wird, wird seine Stimme der SVP geben. Und schliesslich werden auch all diejenigen SVP wählen, denen unser Land mit seiner direkten Demokratie am Herzen liegt, und die darum einen EU-Beitritt ablehnen.

Wer SVP wählt, tut dies in der Gewissheit, dass der SVP ihre Wahlversprechen heilig sind. Wie keine andere Partei macht sie sich schon am Tag nach der Wahl an die Umsetzung all dessen, was sie vor der Wahl versprochen hat. Genau das darf der Wähler mit Fug und Recht erwarten.

Gefährlicher Paradigmenwechsel

Unsere Hohe Landesregierung hat vergangene Woche einen Gesetzesvorschlag in die Vernehmlassung geschickt, der vorsieht, dass Schweizer Steuerbehörden als Trittbrettfahrer von Amtshilfeverfahren mit anderen Staaten profitieren könnten. Bankdaten, die beispielsweise bei Verdacht auf Steuerhinterziehung den Steuerbehörden anderer Länder geliefert werden, sollen auf diese Weise auch zur Durchsetzung des Schweizer Steuerrechts verwendet werden können. Sollte es tatsächlich soweit kommen, wäre das Bankkundengeheimnis – von einigen belanglosen Ausnahmen abgesehen – Geschichte.

Der Bundesrat, so ist zu lesen, geht mit seinem Vorschlag auf eine Forderung der kantonalen Finanzdirektoren ein. Dieser – ohne demokratische Legitimation oder parlamentarisches Mandat operierende – Club moniert bekanntlich seit Längerem eine Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Steuerämtern.

Mit Verlaub: Das ist keine Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Das ist unreflektiertes Geschwätz, von Leuten, denen kein Mittel zu billig und kein Argument zu plump ist, um ihre Kassen zu füllen. – Was soll daran verwerflich sein, wenn Bürgerinnen und Bürger hierzulande vor dem Zugriff des Fiskus besser geschützt sind als anderswo? Seit wann sind die Interessen der Verwaltung höher zu gewichten als jene der Menschen, die sie finanzieren? Es ist offenbar wieder einmal an der Zeit, in Erinnerung zu rufen, dass unser Staatsapparat für die Bürgerinnen und Bürger da ist und nicht umgekehrt. Niemand in Regierung und Verwaltung verfügt über Macht, die ihm nicht vom Souverän für eine bestimmte Zeit übertragen worden ist. Und was soll das ewige Gerde von den gleich langen Spiessen? Wir wollen nicht gleich lange, sondern längere Spiesse – aber nicht für den Staatsapparat, sondern für die Bürger unseres Landes und seine Volkswirtschaft!

Wie bei Kabinettspolitik üblich ist nicht in Erfahrung zu bringen, welche Position die Zürcher Finanzdirektorin im erlauchten Kreis ihren Amtkolleginnen und -kollegen eingenommen hat. Doch da die Frau einer Partei angehört, die sich „Wirtschaftspartei“ nennt, und zudem Mitglied einer bürgerlich dominierten Regierung ist und dies auch bleiben will, wollen wir annehmen, dass sie wie eine Löwin für das kämpfte, was der Zürcher Kantonsrat vor einigen Jahren auf Antrag ebendieser Regierung beschlossen hat: Er forderte die Verankerung des Bankkundengeheimnisses soll in der Bundesverfassung Der Regierungsrat begründete seinen Antrag damit, dass auf diese Weise dem legitimen Interesse der Bürgerinnen und Bürger nach Schutz ihrer Privatsphäre Rechnung getragen werde. Ja, er widmete diesem wichtigen Thema ein ganzes Kapitel.

Da weder der Souverän unseres Kantons noch dieser Rat seither abweichende Beschlüsse gefasst haben, bleibt unsere Position unverändert. Die SVP erwartet von der Zürcher Regierung darum nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass sie diese in sämtlichen Gremien nach innen und aussen vertritt und insbesondere klar macht, dass im Kanton Zürich das Interesse des unbescholtenen Bürger über jenen des Fiskus steht.

Wo er Recht hat, hat er Recht

Bundesrat Moritz Leuenberger hält nichts von einer Systemreform. Die Schweiz sei politisch bereits gut gerüstet – das System effizient und schnell.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Er hat Recht. Zwar verletzt Leuenberger mit dieser Stellungnahme das Kollegialitätsprinzip, aber er hat Recht, und der Bundesrat liegt falsch, wenn er das Amt des Bundespräsidenten auf zwei Jahre ausdehnen will.

Nach schweizerischer Staatskonzeption ist der Bundespräsident ein „primus inter pares“, der Erste unter Gleichen. Und wenn es in den vergangenen Jahren Probleme gab, so waren diese jedesmal darauf zurückzuführen, dass einige vergassen, dass der Bundesrat eine dienende Funktion hat, und sich ins selbst Rampenlicht drängten. Eine Stärkung des Bundespräsidiums würde dieser Unsitte noch Vorschub leisten.

Die FDP schafft in der Europafrage Klarheit – vorübergehend

Wir stehen vor einem Wahljahr. Am 23. Oktober 2011 werden die Eidgenössischen Räte neu bestellt. Und wie es derzeit aussieht werden zwei Themenkomplexe den Wahlkampf dominieren – und entscheiden: „Ausländerkriminalität und Asylrechtsmissbrauch“ sowie „EU-Beitritt“. Bei beidem haben nur zwei politische Lager eine klare Haltung. Die internationalistische Linke will Grenzen niederreissen, Verantwortung kollektivieren und jeden, dem es hier gefällt, mitsamt Familie einreisen lassen. Mörder und Vergewaltiger des Landes zu verweisen, wird als unmenschlich abgelehnt. Wenn einer hier kriminell wird, so liegt das ihrer Meinung nach daran, dass sich die Schweiz zu wenig um Integration bemüht hat. Auf der anderen Seite hält die SVP die Fahne der nationalen Volks-Souveränität hoch. Sie will weder die direkte Demokratie noch die Neutralität preisgeben und der Bevölkerung keine Verdoppelung der Mehrwertsteuer zumuten. Sie ist darum gegen den Beitritt zur EU. Aus den gleichen Motiven leitet die Volkspartei auch ihre Haltung in der Ausländer- und Asylpolitik ab: „Hier gelten unsere Regeln! Wer hier leben will, hat sich diesen anzupassen!“

Dazwischen findet sich „die Mitte“, die krampfhaft nach einem ominösen „dritten Weg“ sucht und sich nur mittels Fusionen und der Bildung von Fraktionsgemeinschaften über Wasser zu halten vermag. Vermutlich ist das der Grund dafür, dass ihre Positionen so wässrig sind. „Die Mitte“ will es allen recht machen. Genau wie im Berner „Burebüebli: „Mau ufe, mau abe, mau linggs, mau rächts, mau füre, mau hingere, mau linggs, mau rächts…“ Wer nach 162 (FDP), bzw. 119 (CVP) Jahren noch nicht begriffen hat, dass man die auf dem Abstimmungszettel gestellte Frage mit „ja“ oder „nein“ beantworten muss, hat unter den gegebenen Voraussetzungen natürlich ein Problem. Das hat mittlerweile auch Fulvio Pelli erkannt, unter dessen Präsidentschaft die zur „FDP.Die Liberalen“ fusionierten Freisinnigen den niedrigsten Wähleranteil in ihrer Geschichte erreicht haben.

Die Freisinnigen treffen sich heute in Herisau zur Delegiertenversammlung. Es gilt, ein Positionspapier zu verabschieden, das den sexy Titel trägt: „Die Schweiz in einer globalisierten Welt – Selbstbewusste Aussenpolitik, Freihandel und aktive Vermittlung zwischen Konfliktparteien.“ Den Konflikt mit Christian Levrat hat Pelli – ohne Vermittlung Toni Brunners – bereits beendet. Jetzt will er auch noch den parteiinternen „Europa-Graben“ zuschütten. EWR- und EU-Beitritt sollen kein Ziel mehr sein. Doch Pelli wäre nicht Pelli, und die FDP.Die Liberalen nicht die FDP.Die Liberalen, wenn sie das auch so klar sagen und beschliessen würden. Wörtlich heisst es im Positionspapier: „Weder eine „Abschottung in einem Alleingang“, noch ein EU- oder EWR-Beitritt sind aktuelle Optionen.“ – Das mit dem „Alleingang“ ist Unfug. Niemand will das. Genauso so obsolet wäre die Aussage: „Die Verlegung des Bundeshauses nach Dagmarsellen ist keine Option.“ Viel wichtiger ist allerdings das Wörtchen „aktuell“, das die vermeintlich angestrebte Klarheit zunichte macht. Was heisst aktuell? Heute? Nächste Woche? Oder heisst es „bis zum 23. Oktober 2010“? Wird man nach den Wahlen für den EU-Beitritt sein, weil man ja nur „aktuell“ dagegen ist? Waren es nicht auch zwei freisinnige Bundesräte, die das Bankkundengeheimnis für „nicht verhandelbar“ erklärten?

Mit der so „geklärten“ Europa-Position werden auch die freisinnigen Euro-Turbos problemlos leben können. Unter Verweis auf veränderte Umstände werden sie frei nach Ulrich von Rudenz aus Schillers „Wilhelm Tell“ weiterhin behaupten, es sei vergebens, der EU zu widerstreben, die Welt gehöre nun einmal ihr. Und sie werden fragen, ob wir uns tatsächlich „eigensinnig steifen und verstocken, die Länderkette ihr unterbrechen, die sie gewaltig rings um uns gezogen“. Nichts Neues unter der Sonne.

Die freisinnige Familie wird also in Minne auseinandergehen, und niemand wird bemängeln, dass die Sache mit der Nato-Mitgliedschaft, die in der „Vision 2007“ in internationalistischem Übermut gefordert wurde, im neusten Wurf mit keiner Silbe erwähnt wird. Von einer wirklichen Klärung der aussenpolitischen Position kann also keine Rede sein. Es werden einmal mehr die Wählerinnen und Wähler sein, die Klarheit schaffen müssen. In einem Jahr haben sie dazu Gelegenheit.
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Erschienen in der Berner Zeitung vom 16. Oktober 2010.

Wer Argumente hat, braucht das freie Wort nicht zu fürchten

Meinungsäusserungsfreiheit ist der Dorn in der Seite der Mächtigen. Darum ist sie so wichtig, ja unverzichtbarer Bestandteil jeder freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Wo Meinungsäusserungsfreiheit herrscht, müssen die Regierenden ihre Entscheide begründen. Wo sie fehlt, macht sich Einfalt breit.Für den Mächtigen ist das Recht des kleinen Mannes, jederzeit ohne Furcht vor staatlicher Repression frei seine Meinung äussern zu dürfen, natürlich lästig. Das war schon immer so. Päpste setzten unliebsame Schriften auf den Index und schickten brillante Denker wie Giordano Bruno auf den Scheiterhaufen. Auch den französischen Königen fehlten die Argumente für die unterschiedliche rechtliche Behandlung der verschiedenen Stände. Man behalf sich mit Zensur und brutaler Verfolgung der Kritiker. In der Sowjetunion sorgte der berüchtigte Paragraf 58 („konterrevolutionäre Tätigkeiten“ und „antisowjetische Agitation“) für Disziplin. Und falls ein Proletarier an der „Diktatur des Proletariats“ Kritik übte, warteten Gulag oder Lubjanka auf ihn. Und auch bei der Gestapo scherte man sich nicht um die Meinungsfreiheit, als die Mitglieder der „Weissen Rose“ Flugblätter gegen das Nazi-Regime verteilten. Für sie stand das Fallbeil parat.

Eher neu ist, dass Journalisten die Meinungsäusserungsfreiheit infrage stellen, wie dies im Tages-Anzeiger vom vergangenen Montag mit Bezug auf die Islamdebatte geschehen ist. Die dort geforderte Stärkung der Religionsfreiheit läuft zwangsläufig auf eine Zensur hinaus. Doch die Religionsfreiheit schützt nicht Religionen. Sie schützt das Recht jedes Individuums, in religiösen Fragen ohne Furcht vor staatlicher Einflussnahme eine Meinung zu haben, und die eigene Religiosität nach Belieben zu praktizieren. Auch Atheisten, Agnostiker und Religionsgegner können sich auf sie berufen. Sie ist eine Ergänzung, ja sogar Bekräftigung, der Meinungsäusserungsfreiheit und nicht deren Gegenpol. Zensur – und sei sie noch so gut gemeint – lässt sich mit ihr jedenfalls nicht rechtfertigen.

Vor der Einführung der Antirassismus-Strafnorm wurde dem Schweizervolk versichert, die Meinungsäusserungsfreiheit bleibe gewahrt. Nur „ganz schlimme Vergehen“ wie die „systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion“ würden bestraft. Und der „Stammtisch“ gelte nicht als „öffentlich“. Das Bundesgericht strafte diese Beteuerungen Lügen. Wer soll die Grenzen ziehen? Wo sollen diese liegen? Und wer kontrolliert die Kontrolleure? Der Tages-Anzeiger oder Georg Kreis?

Wie leicht ist es in der Theorie, Rosa Luxemburg zu zitieren, die die „Freiheit der Andersdenkenden“ einforderte? Wie rasch ist der Voltaire zugeschriebene Ausspruch wiederholt „Ich lehne Ihre Meinung ab, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“? Die Praxis sieht anders aus: Hiess es zurzeit des Kalten Krieges noch: „Lieber rot als tot“, genügen mittlerweile ein paar beleidigte Muslime, um unsere Intellektuellen kapitulieren zu lassen. An der Universität Yale erschien kürzlich ein wissenschaftliches Werk über den Karikaturenstreit. Aus falscher Rücksicht wurde auf den Abdruck der inkriminierten Karikaturen verzichtet. Die Leute hätten sonst realisieren können, aus welch nichtigem Anlass fanatische Muslime zu Mördern und Brandschatzern werden.

Unweit vom Ground Zero soll ein muslimisches Gebetszentrum errichtet werden. Das ist zwar legal, aber für viele Amerikaner eine Provokation. Und da gibt es eine evangelikale Splittergruppe, die am Jahrestag von „9/11“ Koranausgaben verbrennen wollte. Das ist zwar verwerflich, aber nicht weniger eine Provokation und genau so legal wie der Bau der Moschee. Gleichwohl wird in Intellektuellenkreisen mit zweierlei Ellen gemessen.

Wer Toleranz einfordert und aus diesem Grund den Moscheebau begrüsst, die Koranverbrennung hingegen verurteilt, ergreift Partei. Das ist zwar legitim, doch ist das Argument der Toleranz vollkommen verfehlt. Denn der politische Islam – und nur um diesen geht es – ist der Inbegriff der Intoleranz. Unsere Toleranz interpretiert er zu Recht als Schwäche.Wer in Freiheit leben will, hat sich dafür weder zu schämen noch zu entschuldigen. Im Gegenteil, er muss dafür kämpfen und sich gegen jede Bedrohung zur Wehr setzen. Benjamin Franklin wusste: „Diejenigen, die für ein bisschen vorübergehende Sicherheit grundlegende Freiheiten aufgeben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“ („Those who would give up essential Liberty to purchase a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety). Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Erschienen im Tages-Anzeiger vom 18. September 2010.

Mimosen mit dem Zweihänder

Es genügt, dass Adolf Muschg in einer Fernsehsendung einen Hauch von nachvollziehbarem Volkszorn zu spüren bekommt, und schon wird behauptet, in der Schweiz herrsche eine intellektuellenfeindliche Stimmung. Ja, von einem eigentlichen Intellektuellen-Bashing, also von einem Eindreschen auf diese offenbar geschützte Spezies wird geredet und geschrieben. Mit dem Selbstvertrauen unserer Intelligenzija scheint es nicht weit her zu sein. Wobei manch einer glaubt, alleine schon der Umstand, dass er kritisiert wird, mache ihn zum Intellektuellen.

Wer mit dem Zweihänder austeilt wie Adolf Muschg, seinen Kritikern ständig faschistisches Gedankengut unterstellt, die Neutralität, an der die Schweizer hängen, als „unanständigen Furz“ charakterisiert und beim Anblick Geranien geschmückter Häuser zuerst an Auschwitz denkt, muss auch einstecken können. Intellekt sollt’ aus härt’rem Stoff beschaffen sein – müsste man meinen. Einem Niklaus Meienberg wäre es jedenfalls nicht im Traum eingefallen, in den Medien darüber zu jammern, dass er angefeindet wird. Ihm war klar, dass, wer, wie er selbst, mit harten Bandagen kämpft, entsprechend be-kämpft wird. Es herrschte damals auch noch nicht die Unsitte, dass sich Bundesräte und eben Intellektuelle in die politische Arena begeben, dabei aber für sich in Anspruch nehmen ex cathedra dozieren zu können. Adolf Muschg wurde nach heftigen Attacken gegen Christoph Blocher von diesem wiederholt zu einer öffentlichen Debatte eingeladen. Der Bannerträger der beleidigten Intellektuellen war sich dafür stets zu gut. Dass er nun dermassen jammert, ist peinlich und soll sich wohl positiv auswirken auf den Verkauf seines neusten Buches. Ich werde es nicht kaufen – auch wenn ich mich damit dem Vorwurf, ein Intellektuellen-Basher zu sein, aussetze.

Erstmals aufgetaucht ist der Begriff „Intellektueller“ im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre in den 1890er Jahren in Frankreich. Man bezeichnete damit – durchaus in abschätziger Absicht – eine Gruppe prominenter Leute (darunter Émile Zola), die den jüdischen Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus gegen den fälschlicherweise erhobenen Vorwurf des Landesverrats verteidigten. Heute versteht man darunter im Allgemeinen eine Person, die – meist aufgrund ihrer Ausbildung und Tätigkeit – wissenschaftlich oder künstlerisch gebildet ist. Die Internet-Enzyklopädie „Wikipedia“ stellt klar, dass der Begriff von der „soziologischen Kategorie der Intelligenz“ zu unterscheiden sei. Ein Intellektueller braucht also keineswegs auch intelligent zu sein. Da werden einige aufatmen.

Genau wie es hierzulande genügt, im Fernsehen das Wetter anzukündigen, um „Promi“ zu sein, reicht es, um als Intellektueller gefeiert zu werden, vollkommen, wenn man links ist und sich als „offen“ bezeichnet – also für den EU-Beitritt ist. Nach der intellektuellen Redlichkeit einer Argumentation wird nicht gefragt. Und nie muss jemand den Beweis für die Richtigkeit seiner Thesen antreten.

Mit ungewöhnlich erfrischender Klarheit bestätigte Literaturwissenschaftler Peter von Matt kürzlich, dass Intellektuelle zu Wehleidigkeit neigen. Das ist so richtig wie bekannt. Das Klima ist keineswegs rau oder intellektuellenfeindlich geworden, wohl aber sehen viele Vertreter der Intelligenzija den EU-Beitritt in weite Ferne rücken. Sie greifen darum schon einmal zum verbalen Zweihänder und bezeichnen jene als „Dorftrottel“, die ihre weltarchitektonischen Entwürfe ablehnen. Merke: Fürs Einstecken und Austeilen gelten bei Intellektuellen andere Regeln!

Ist man intellektuellenfeindlich, bloss weil man die ständigen Angriffe von Nestbeschmutzern wie Adolf Muschg auf die Schweiz nicht goutiert? Ist man ein Kulturbanause, wenn man Thomas Hirschhorns Fäkal-Inszenierungen oder Adrian Marthalers Unterhosentheater für nicht subventionswürdig hält? Muss man sich schämen, wenn man die Verlautbarungen des „Club Helvétique“, eines Intellektuellenklüngels um Georg Kreis, Roger de Weck und Kurt Imhof, als etatistisch und demokratiefeindlich ablehnt? Wenn ja, tant pis!

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Erschienen in der Berner Zeitung vom 18. September 2010

Die Freiheit der Andersdenkenden

Der linke Mainstream in Deutschland, zu dem auch die gegenwärtige Regierungskoalition zu zählen ist, kann einen Sieg verbuchen. Getreu der Devise des Grossen Vorsitzenden Mao, dass es genüge, einen zu bestrafen, um Hunderte zu erziehen, wurde an Finanzpolitiker und Buchautor Thilo Sarrazin ein Exempel der Macht statuiert. Die Freiheit der Andersdenkenden weiterlesen

Rasen schlimmer als Morden und Vergewaltigen?

Wie kriminell darf man sein, um in der Schweiz bleiben zu dürfen? Ein Staat, der auf das Recht verzichtet, souverän darüber zu bestimmen, wer sich auf seinem Gebiet aufhalten darf und wer nicht, ist kein Staat mehr. In Wahrnehmung ebendieser Souveränität haben Volk und Stände am 28. November 2010 darüber zu befinden, ob in Zukunft ausländische Mörder, Räuber, Einbrecher, Vergewaltiger, Menschen- und Drogenhändler sowie Sozialbetrüger im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung die Schweiz zu verlassen haben. Die Alternative ist, sie hierbleiben zu lassen und ihnen sämtliche Vorzüge unseres Sozialstaats zu gewähren.

Im Grunde dürfte kaum ein Entscheid leichter zu fällen sein. Der normale Bürger und Steuerzahler entscheidet sich für Ersteres. Die politische Elite für letzteres – alleine schon, weil der Antrag, über den es zu beschliessen gilt, von der SVP stammt. Einmal mehr muss zur Begründung für diese Verweigerung des Selbstverständlichen das Völkerrecht herhalten. Unsere Regierung hat die Ausschaffungsinitiative zwar genau auf diesen Aspekt hin untersucht und den Einwand abgelehnt, doch wir leben in einer Zeit, in der Nichtregierungsorganisationen mehr zu sagen haben als die Regierung. Und wenn der Friedensrat, die „Demokratischen Juristen“, „Solidarité sans frontières“ und die „Landhausversammlung“ die Stimme erheben, steht man in Bundesbern stramm. Schlägt die Hacken zusammen und brüllt: „Hier, verstanden!“ Es schlägt die Stunde der Juristen und Rechtsverdreher, und es wird das Hohelied des Rechtstaats angestimmt.

Doch nun hat die oberste Hüterin über unseren Rechtsstaat, das Bundesgericht, ein bemerkenswertes Urteil gefällt. Eines, das den eben erwähnten Genossinnen und Genossen gar nicht gefallen dürfte. Zu beurteilen war der Fall eines jugendlichen Mazedoniers, der sich mit einem Bekannten ein Autorennen mit tödlichem Ausgang lieferte. Das stellte das Bundesgericht vor ein Dilemma: Sollte es einmal mehr, um der Linken zu gefallen, einen Landesverweis aufheben, oder sollte es, ebenfalls um der Linken zu gefallen, den Familienvater, der seit über 20 Jahren in der Schweiz lebt, wegen eines Delikts, in dem eine Auto als „Tatwaffe“ zur Anwendung kommt, aus dem Land werfen? Es entschied sich für letzteres. Dabei ging es nicht um den Fall eines Mörders, Räubers, Einbrechers, Vergewaltigers, Menschen- und Drogenhändlers oder eines Sozialbetrügers. Nein! Es ging um einen Autoraser. Um ein Delikt also, das, obwohl durchaus schwerwiegend, nicht einmal Aufnahme in den Katalog der Ausschaffungsinitiative fand. Mit anderen Worten: Das Bundesgericht geht weiter als das Volksbegehren der SVP. Überspitzt könnte man sagen: „Das Bundesgericht ist mittlerweile so links, dass es die SVP rechts überholt hat.“

Gegen das Urteil ist nichts einzuwenden. Das Bundesgericht blieb hart, obwohl der Mann anführte, eine Rückkehr nach Mazedonien sei für ihn und seine Frau, die ebenfalls seit 20 Jahren hier lebt, nicht zumutbar. Auch seine Kinder, von denen das ältere die Primarschule besucht, würden durch den Umzug vollkommen entwurzelt. Während dieser Aspekt die Herzen der Bundesrichter in der Regel zu erweichen vermag, kannten sie hier keine Gnade. Der Mann habe sich „krass egoistisch und rücksichtslos“ verhalten und bekunde generell Mühe damit, die schweizerische Rechtsordnung zu respektieren. – Bemerkenswert!

Gleichwohl ist es ein politisch motiviertes Urteil. Die Richter machten sich zu Handlangern von noch-Verkehrsminister Leuenberger, der – in flagranter Verletzung des Gewaltentrennungsprinzips – unlängst von den Gerichten „konsequente und abschreckende Fantasie“ forderte, um Raser als „kriminelle Asoziale“ zu brandmarken. Genau das ist passiert. Nicht bedacht haben die Richter zu Lausanne allerdings, dass sie ihre Genossen damit des Arguments beraubten, die Ausschaffungsinitiative der SVP sei ausländerfeindlich und gehe zu weit. – Vielen Dank und herzliche Grüsse nach Lausanne.

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Erschienen in  der Berner Zeitung vom 21. August 2010.

Die Linken und ihr Privatleben

Als Simonetta Sommaruga ihre Bundesratskandidatur bekanntgab, liess sie die Öffentlichkeit als Erstes wissen, dass sie nicht nur Akten, sondern auch Romane zu lesen gedenke.

Warum kandidieren Linke überhaupt für öffentliche Ämter, wenn für sie doch die Wahrung ihrer privaten Entfaltung das Wichtigste ist? Auch in Zürich haben wir eine Stadtpräsidentin, die in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit ihr ganzes jährliches Ferienguthaben aufgebraucht hatte und sich nach ihrer Rückkehr darüber beklagte, dass ihr Privatleben zu kurz komme.