„Carlos“ ist nicht das Problem, sondern ein Symptom

Wir sind also schon soweit, dass jemand als Opfer einer Medien-Stampede strafverschärfend ins Gefängnis gesteckt wird. Angeblich zum eigenen Schutz. Kaum jemand, der sich „kritischer Journalist“ nennt, erhebt dagegen die Stimme, wenn ein Regierungsrat genau dies unumwunden zu Protokoll gibt. Nicht einmal die Verweigerung des rechtlichen Gehörs in einem politisch höchst brisanten Arbeits- und strafrechtlichen Verfahren sorgt für Empörung unter denen, die sonst Stéphane Hessel für eine Art Messias hielten. Die Verwaltung kann machen, was sie will, und deshalb wird sie auch immer häufiger machen, was sie will.

In einer Zeit, in der ein selbst ernannter Qualitätsjournalist in seiner Ignoranz den Nationalratspräsidenten als „völlig unwichtig“ der Lächerlichkeit preisgibt und stattdessen einem Verwaltungsreglement des EDA folgend den Bundespräsidenten als „höchsten Schweizer“ auf den Schild hebt, kann solches nicht verwundern. Medien brauchen Einzelpersonen, denen Sie Kaktusse oder Rosen verleihen können. Staatpolitisches Denken hat neben diesem Personenkult keinen Platz mehr.

Das falsche Ziel im Visier

Nun redet seit Monaten alles von „Carlos“ einem jugendlichen Kriminellen, der von den zuständigen Behörden für sein Handeln bestraft wurde. Seit seiner Verurteilung liess er sich nichts mehr zu Schulden kommen, und seine Antworten in einem Interview mit der „Weltwoche“ tönen ganz vernünftig.

Ebenfalls mediale Prügel setzte es für das mit der Betreuung von „Carlos“ betraute Unternehmen „Riesen-Oggenfuss“ ab. Dabei haben wir es mit einer ganz normalen Cluster-Industrie zu tun, wie wir es aus den Bereichen „Drogen“, „Asyl“, „Soziales“ „Soziokultur“ u.a.m. zur Genüge kennen. Warum soll man keinen Profit aus der Grosszügigkeit des Staatsapparates schlagen, wenn diese auch manchmal die Grenze zur Dummheit überschreitet?

Es gibt nur einen Grund, der halbwegs Sinn macht, weshalb Medien dieses Thema nicht aufgreifen: Sie fürchten, mit Kritik – selbst an Auswüchsen – würden sie der SVP in die Hand spielen. Dann doch lieber die Allmacht der Verwaltung stärken.

In dieser „Übungsanlage“ können sich die wirklich Verantwortlichen sicher fühlen. Um keine unangenehmen Fragen beantworten zu müssen, belegt man sich gegenseitig mit Schweigegeboten und dem Siegel des Amtsgeheimnisses, oder man verweist auf ein laufendes Verfahren.

Realitätsferner Staatsanwalt

Die Frage, die mich am meisten interessiert, betrifft die Person von Jugendanwalt Gürber. Wie ist es bloss möglich, dass sich einer der höchst bezahlten Staatsangestellten des Kantons Zürich dermassen von der Realität entfernt, dass er gar nicht auf den Gedanken kommt, die Bevölkerung könnte sein „Sondersetting“ nicht ganz so toll finden, wie er selbst? Der Mann hat SRF schliesslich selber vorgeschlagen, den Fall „Carlos“ als Beispiel für eine gelungene Resozialisierung zu kolportieren. Offensichtlich hat er für seine Masslosigkeit einen Pokal erwartet. Kann jemand ein so wichtiges Amt bekleiden, der offensichtlich den Bezug zur „normalen Welt“ verloren hat. Und wie steht es um seine Vorgesetzten? Sind diese tatsächlich der Meinung, ein polygamer Hippie, der Schlangen züchtet, sei genau das Vorbild, das es braucht, um schwer erziehbare Jugendliche auf den rechten Weg zu bringen?

Der Fisch beginnt immer am Kopf zu stinken. Weder „Carlos“ noch Riesen-Oggenfuss sind jedoch dieser Kopf. Doch für sie haben die Medien nach der Stampede keine Verwendung mehr. Sie sind verbrannt. An einem guten Einvernehmen mit Regierung und Verwaltung haben die Medien hingegen durchaus ein Interesse.