In der Europa heimsuchenden Flüchtlingskrise ist wieder einmal viel von Solidarität die Rede. Genauer: Von Zwangssolidarität. Berlin schafft im Alleingang Fakten und fordert dann von anderen Staaten Solidarität. Gutnachbarschaftliches Verhalten sieht anders aus.
„Die Freiheit des Einzelnen reicht bis dort, wo die Freiheit des Andern beginnt.“ Zumindest in der Theorie ist diese Grundregel für das friedliche Zusammenleben von Menschen simpel und einleuchtend. Doch, wie Friedrich Schiller Wilhelm Tell sagen lässt: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Aufgrund dieser Erkenntnis gaben sich zivilisierte Gesellschaften Regeln, deren Ziel es ist, Konflikte in einem geordneten Verfahren zu lösen.
Eine solche Bestimmung, die das Verhältnis zwischen Nachbarn betrifft, findet sich in Artikel 684 unseres Zivilgesetzbuches (ZGB): „Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.“ Es ist also alles erlaubt, was das Eigentumsrecht des Nachbars nicht übermässig stört. Diesen Schutz der Rechte Dritter kennt auch das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in §903: „Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschliessen.“
Wer in seinem Eigentumsrecht verletzt wird, darf sich vor Gericht gegen die Störung zur Wehr setzen. Warum sollte dieses Prinzip nicht auch für zivilisierte Staaten gelten?
Auch Staaten haben Nachbarn
Bereits im ersten Artikel ihrer Charta setzten sich die Vereinten Nationen das Ziel, „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Massnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen.“ Von „Gleichberechtigung der Nationen“ und vom „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ ist da die Rede. Was ist das anderes, als Nachbarschaftsrecht – wie jenes im ZGB oder im BGB? Und damit sind wir bei der Frage, die mich seit längerer Zeit beschäftig: Was gibt Deutschland das Recht, eine Politik zu betreiben, die viele andere Staaten in Mitleidenschaft zieht?
Deutschland ist ein souveräner Staat und kann als solcher tun und lassen, was es will. Mit einer gewichtigen Einschränkung: Kein Staat darf durch die Ausübung seiner Souveränität die Souveränität anderer Staaten beeinträchtigen. Doch genau das macht Deutschland derzeit regelmässig und zwar mit einem Selbstbewusstsein, das zur Wachsamkeit zwingt. Es fordert von anderen Staaten jene Solidarität, die es bei seinen Alleingängen vermissen lässt. Niemand sonst rief in die Welt hinaus, das Asylrecht kenne keine Obergrenze, wer wolle, dürfe kommen.
Absolutistisches Gehabe der deutschen Regierung
Unser nördliches Nachbarland mag so viele Flüchtlinge aufnehmen, wie es will. Aber seine Bundeskanzlerin hat nicht das Recht nach Belieben aus einer Laune heraus – nota bene ohne Parlamentsbeschluss oder gerichtliche Ermächtigung – Völkerrecht ausser Kraft zu setzen. Deutschland ist damit wortbrüchig geworden. Es gab unter anderem dem Schweizer Volk das Versprechen ab, die Schengen-Aussengrenze werde besonders gesichert und Flüchtlinge, die über ein sicheres Drittland einreisen, würden in dieses zurückgeschickt. Das Schweizer Volk, das diesen Beteuerungen Glauben schenkte, sieht sich betrogen.
Auch in der Energiepolitik nimmt Berlin nur auf die eigenen Interessen Rücksicht. Geltendes Recht und Verträge interessieren kaum. Der politische Wille ist alles. Das gleiche Land, das uns Schweizern im Einverständnis mit einer kopfnickenden Landesregierung vorwirft, wir betrieben eine schädliche Steuerpolitik, nimmt sich das Recht heraus, so genannt alternative Energieformen in einem Ausmass zu subventionieren, dass die daraus für den Markt entstandenen Verwerfungen der Preise für die Schweizer Energiewirtschaft ein existenzbedrohendes Ausmass angenommen haben. Nur das eigene Interesse Berlins zählt. Die anderen sollen sich gefälligst solidarisch, sprich: „gefügig“, zeigen.
In dem vor zwei Jahren erschienenen Buch „Kampf um Vorherrschaft“ zeigt Brendan Simms, Professor für die Geschichte der internationalen Beziehungen an der Universität Cambridge, auf, dass die europäische Geschichte der letzten 500 Jahre stets auch deutsche Geschichte war. Das Streben Deutschlands nach Vorherrschaft in Europa ist eine Konstante, und dieses Streben ist offenbar nicht zu Ende.
Die Schwäche der Schweizer Regierung wird ausgenützt
Dass unsere eigene Regierung nicht einmal die Kraft zum diplomatischen Protest aufbringt, macht die Sache nur noch schlimmer. Jedes Land, das etwas auf sich hält, reklamiert ansonsten für sich das Recht, ein Verhalten auch ausserhalb seines Gebiets zu regeln, wenn dieses Verhalten im eigenen Land Auswirkungen hat. Dieses so genannte Auswirkungsprinzip kommt besonders im Kartellrecht zum Tragen. Staaten pochen auf ihre Souveränität.
Aber eben, es bräuchte eine Regierung, die weiss, wem gegenüber sie verantwortlich ist. Der eigenen Bevölkerung oder fremden Funktionären? Solange dies nicht kristallklar ist, wird Völkerrecht nur noch sein, was Frau Merkel und andere Machtmenschen als Völkerrecht anerkennen und nicht, was souveräne Staaten in guten Treuen vereinbaren. Und da sich unsere heimischen Internationalisten von der FDP bis hin zu den Alternativen, dem Diktat aus Brüssel und Berlin in einem „Rahmenvertrag“ ganz generell unterwerfen wollen, wird es Sache der SVP bleiben, dem Schweizer Volk klar zu machen, was auf dem Spiel steht.
Merkel, die Koryphäe der Heuchelei, und ihre charaktertoten Lakaien aus dem Schweizer Bundesrat geben dieser Tage ein unrühmliches Bild ab. Es wäre tatsächlich erfreulich, wenn unsere Regierung irgendetwas Rückgrat-Ähnliches besässe. Es ist aber nicht Deutschland, das die Souveränität anderer Länder beeinträchtigt, es ist Angela Merkel im Alleingang, die nichts anderes als den Friedensnobelpreis anstrebt und dafür den kulturellen und wirtschaftlichen Untergang des ganzen Kontinents in Kauf nimmt. Das Schlimmste daran: Sie wird ihn in den nächsten Jahren bekommen. Quo vadis, Europa?
Wie sagte einst der kürzlich verstorbene Helmuth Schmidt: „Demokratie ist die Führung durch Demokraten“. Die SVP reklamiert für sich Demokratie, übernimmt aber keine Führung für die Lösung eines Problems, sondern überschüttet demokratisch Gewählte mit Hohn. Das ist Volksverführung und Scheindemokratie, die in eine Pöbelherrschaft abzugleiten droht, wie sie der Historiker Polybios (um 200 vor Christus) nannte.