Freiheit ist am wichtigsten. Dann kommt gleich Gerechtigkeit. Dass sich Menschen zu einem Gemeinwesen zusammenschliessen, hat zum Zweck, dem Individuum einen möglichst grossen Freiraum zu garantieren. Und damit möglichst jedes Mitglied der Gemeinschaft in den Genuss dieses Rechts auf Selbstentfaltung kommt und nach seinem Glück streben kann, ist Freiheit gerecht zu verteilen. Aus diesem Grund ist die Rechtsgleichheit in einem Rechtsstaat zentral. Der Staat – Richter, Regierung und Verwaltung, aber auch der Gesetzgeber – hat alle, die dem Recht unterworfen sind, gleich zu behandeln.
Indem die „Minarett-Initiative“ für Muslime besondere Regeln festlegt, verletzt sie das Gebot der Rechtsgleichheit. Das ist der Grund, weshalb ich sie ablehne. Man sollte nicht Gesetze aufstellen, die nur für bestimmte Gesellschaftsgruppen gelten. Mit Annahme der Bundesverfassung von 1999 ist der Einwand, die Schweiz sei ein christliches Land und eine gewisse Hegemonie des Christentums darum legitim, rechtlich nicht mehr haltbar. Es waren damals so „zuvorkommende“ Politiker wie der Christdemokrat Arnold Koller, die sich mit Beteuerungen überschlugen, mit „Gott dem Allmächtigen“, sei keinesfalls der christliche Gott gemeint. Vielmehr wolle man damit jegliche Gottheit ansprechen. Das ist auch das Credo all derer, die ausser „Dialogbereitschaft“ und bisweilen tödlicher Toleranz nichts zu bieten haben. Dass sich Volk und Stände dieser Auffassung angeschlossen haben, hat nun Konsequenzen. Und nur die vollständige Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht vermag die damit einhergehenden Probleme zu lösen.
Hier gelten unsere Regeln
Die verfassungsmässig verbriefte Rechtsgleichheit stellt nicht nur ein Recht dar. Sie enthält auch die Pflicht, sich der geltenden Rechtsordnung uneingeschränkt und im gleichen Masse wie alle anderen zu unterwerfen. Wer hier leben will, hat unsere Regeln einzuhalten. In Fragen wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Mädchenbeschneidung, Zwangsheiraten oder Terrorismus gibt es nichts zu verhandeln. Genauso wenig stehen unsere Freiheitsrechte zur Disposition, zu denen das Recht gehört, Dinge zu sagen, die Muslimen nicht passen, ja sie sogar verletzen. Religionsfreiheit räumt Religionen nämlich keine Sonderstellung ein, sondern schützt das Recht des Individuums auf freie Meinungsbildung und -äusserung in religiösen Angelegenheiten. Auch Atheisten, Agnostiker und Religionskritiker können sich auch die Religionsfreiheit berufen. Muslime haben sich Kritik an Mohammed und am Islam im gleichen Umfang gefallen zu lassen, wie das bei jeder anderen Religionsgemeinschaft der Fall ist. Dass Horden fanatischer Muslime wegen einiger läppischer Karikaturen morden und brandschatzen spricht jedenfalls nicht gegen die Minarett-Initiative, sondern nährt vielmehr Zweifel an der Kompatibilität des Islams mit der Demokratie.
Schielen aufs Ausland
Es ist bedenklich, dass unsere Landesregierung ein Volksbegehren deswegen zur Ablehnung empfiehlt, weil sie um das eigene Image im Ausland fürchtet, dass sie aber nicht einmal daran denkt, von den uns kritisierenden islamischen Ländern Gegenrecht einzufordern, also das Recht, Kirchen, inklusive Türme, zu bauen. Dazu passt, dass sich unser ansonsten so sehr auf Übereinstimmung mit dem Völkerrecht bedachter Bundesrat kürzlich weigerte, in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage darzulegen, ob es möglich wäre, mit einer Volksinitiative hierzulande Scharia-Recht einzuführen.
Dass wir Schweizerinnen und Schweizer über solche Fragen streiten und danach abstimmen dürfen, zeichnet uns aus und stärkt unsere Demokratie. Wer sich dessen als Mitglied einer Behörde schämt, soll schleunigst zurücktreten. Es ist den Initianten hoch anzurechnen, dass sie die Problematik der Islamisierung auf die Tagesordnung brachten. Sie haben sich um die Demokratie, um den Wettstreit der Meinungen, verdient gemacht. Ganz im Gegensatz zu denen, die sich im Ausland für das Volksbegehren entschuldigten noch bevor die erste Unterschrift dafür gesammelt war, und zu denen, die politische Zensur üben, die ich zu Unrecht für überwunden glaubte.
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Erschienen im Tages-Anzeiger vom 2. November 2009