Auf die Frage «Wer regiert die Schweiz?» liefert Google über 3 Millionen Treffer. Dabei könnte die Antwort einfacher nicht sein: «Die Verwaltung». Sie bestimmt über den Ausnahmezustand – selbst wenn im Nebenraum das Parlament tagt. Bundesräte begnügen sich leider immer mehr damit, sie nach aussen hin zu vertreten. Nun wollen sie sogar Entscheide auslagern – an „die Wissenschaft“. Das süsse Gift des Ausnahmezustands weiterlesen
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Völkerrecht ist, was die Mächtigen daraus machen
Der sich abzeichnende Militärschlag gegen Syrien, aber auch die Art und Weise, wie in der EU versucht wird, der Eurokrise Herr zu werden, zeigt wieder einmal deutlich, dass das so genannte „Völkerrecht“ nur dann Recht ist, wenn es den Mächtigen passt. Nur Toren würden sich ihm blind unterwerfen.
Schon der Begriff „Völkerrecht“ ist irreführend, denn es sind nicht die Völker, die das, was wir Völkerrecht nennen, setzen, sondern Funktionäre. Und ausgerechnet im Bereich der Aussenpolitik blieben voraufklärerische Strukturen und Formen besser erhalten, als in jeder andern Domäne. So unterscheidet sich beispielsweise das Gesuch des Bundesrats an die EG um Aufnahme von Beitrittsverhandlungen oder der „Neutralitätsbrief“ an den UNO-Generalsekretär in Ton und Form kaum von jenem, in dem die eidgenössische Gesandtschaft im November 1663 den französischen König Ludwig XIV unterwürfig um einen neuen Allianzvertrag ersuchte.
Völkerrecht ist nicht das Produkt eines harten politischen Ringens in einem gewählten Parlament, sondern das, worauf sich elegante Diplomaten beim Cocktail einigen. Einer der ersten Kongresse an denen Völkerrecht gesetzt wurde, der Wiener Kongress von 1814/15, wird nicht ohne Grund auch „der tanzende Kongress“ genannt.
Gutes und schlechtes Völkerrecht
Gewisse dem Zeitgeist – Rose oder Kaktus? – verpflichtete Politiker, „Experten“ und Journalisten halten „Völkerrecht“ für das Mass aller Dinge. Sie finden es gut, weil es „übergeordnet“ sei und fordern die bedingungslose Unterwerfung unter alles, was sich „Völkerrecht“ nennt. Selbst unsere Landesregierung, die einen Eid geleistet hat, die Rechte des Volkes zu schützen, vertritt mittlerweile diese Auffassung. Das ist dumm und unreflektiert. Ebenso dumm und unreflektiert ist es allerdings, etwas abzulehnen, nur weil es zum „Völkerrecht“ gehört. Es ist so wie fast überall: Es gibt gutes und schlechtes Völkerrecht. Und ein souveräner Staat hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, genau zu prüfen, in welchem Masse er sich binden will.
Niemand, der ganz bei Trost ist, kann etwas dagegen haben, wenn Staaten ihr Verhältnis untereinander vertraglich regeln. Wenn beispielsweise durch Konventionen versucht wird, wenigstens etwas Menschlichkeit in Kriegshandlungen zu bringen, so stellt dies für die ganze Welt einen Fortschritt dar.
Den erwähnten Politikern, „Experten“ und Journalisten geht das aber noch viel zu wenig weit. Sie sind bereit, auch all das als verbindliches „Völkerrecht“ zu akzeptieren, das auf subalterner Funktionärsstufe vereinbart wurde. Recht also, dem kein Volk je zugestimmt hat.
Völkerrecht als Selbstbedienungsladen
In diesen Tagen erwartet die Welt ein militärisches Eingreifen „des Westens“ in den syrischen Bürgerkrieg. Als liessen sich Kriege im Voraus beliebig zwischen zwei Golfrunden terminieren, liess der „leader of the free world“ verlauten, es stehe ein Zweitagekrieg bevor. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, es handle sich um eine bessere Polizeiaktion, für die es das Einverständnis des UNO-Sicherheitsrates nicht brauche. Da dort nicht mit einem Plazet zu rechnen ist, verzichtet man kurzerhand auf das Votum des Gremiums, das gemäss bundesrätlichen Erläuterungen für die UNO-Abstimmung vom 3. März 2002, eigens geschaffen wurde, „um rasch auf Konflikte reagieren zu können.“
Auch andere Staaten haben unmissverständlich klar gemacht, dass sie die Haltung des grössten „Friedensprojekts“ nicht kümmert, solange sie sich auf Kriegspfad befinden.
Es ist also so, dass selbst im Kriegs- und Friedensrecht, dessen Legitimität, ja Notwendigkeit unbestritten ist, Völkerrecht ausser Kraft gesetzt wird, wenn es im Interesse der Mächtigen liegt. Was „die Völker“ davon halten, wird nicht gefragt.
„Maastricht“ – vom Völkerrecht zu Makulatur
Ein für westliche Staaten schier unglaubliches Beispiel für die willkürliche Relevanz von Völkerrecht liefert auch die EU mit ihrem Umgang mit dem als „historisch“ gefeierten Vertragswerk von Maastricht. Weite Teile der darin beschworenen Vereinbarungen sind heute Makulatur. Als Deutschland und Frankreich als erste Staaten einräumen mussten, dass sie die ehernen „Maastrichter Kriterien“ hinsichtlich der Neuverschuldung nicht würden einhalten können, gewährte man sich gegenseitig Dispens von den vertraglich vereinbarten Sanktionen.
Weiter wurde in diesem Vertragswerk eine „unabhängige Zentralbank“ ins Leben gerufen, die längst Spielball der Politiker und Funktionäre geworden ist. Letztere haben auch versprochen, bei der Aufnahme neuer Mitglieder in die Eurozone „strenge Kriterien“ anzuwenden. An solchen wären Griechenland und Zypern gescheitert. Sie sind Mitglieder und als solche zu einer Gefahr für die übrigen geworden, weil sich Politiker und Funktionäre über Völkerrecht hinwegsetzten.
Um den Vertrag dem deutschen Volk schmackhaft zu machen, wurde gebetsmühlenartig betont, es bestünden Sicherheitsmassnahmen, damit kein Land für Schulden eines anderen aufkommen müsse. Ja Artikel 104b verbiete das sogar ausdrücklich: […] „Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.“
Die identische Bestimmung findet sich zwar auch im Lissabonner Vertrag von 2009, angewendet wird sie deswegen trotzdem nicht. Die Politiker tun so, als gäbe es sie gar nicht, oder sie behaupten gar, man sei zur „Rettung“ der Währungsunion gezwungen gewesen, den Vertrag zu brechen. Frei nach Carl Schmitt bestimmt eine oligarchisch organisierte Gruppe von grösstenteils nicht demokratisch legitimierten Funktionären, wann Ausnahmezustand herrscht. Eine solche Entwicklung kann nur gutheissen, wer nichts Gutes im Schilde führt, oder die Demokratie als Bedrohung betrachtet.