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Archiv der Kategorie: Allgemein
Die Zürichsee-Zeitung über Podium in Küsnacht
Vor jungem Publikum debattierten vier Zürcher Politiker. Bildungspolitik und Flüchtlingspolitik hiessen die Themen in der Semihalle der Kantonsschule Küsnacht.
Jede Stimme zählt.
Pizzoccheri di Poschiavo ricetta
Am wichtigsten ist Föderalismus bei Finanzen und Steuern
Die von mir überaus geschätzte Staatsrechtlerin und ehemalige liberale Nationalrätin Suzette Sandoz bezeichnete im Zusammenhang mit der Neuregelung des eidgenössischen Finanzausgleichs (NFA) in der „Neuen Zürcher Zeitung“ Föderalismus als „humanistische und politische Antwort auf die Globalisierung“. Weiter stellte sie fest: „Dies entdeckt die ganze Welt gegenwärtig durch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Dieses führt den schweizerischen Föderalismus als das beste Beispiel einer multikulturellen Politik an, die in der Lage ist, Diskriminierungen zu verhindern. Auch die Europäische Union beginnt dies zaghaft einzusehen.“ Am wichtigsten ist Föderalismus bei Finanzen und Steuern weiterlesen
Portrait im "Zürcher Oberländer" vom 3. September 2015
Solidarität wäre keine Einbahnstrasse
Es ist offensichtlich, dass die Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte versagt hat. Noch nie gaben wir so viel Geld aus für Soziales – und trotzdem steigt die Zahl der Sozialhilfe-Empfänger kontinuierlich. Höchste Zeit für einige grundsätzliche Fragen. Solidarität wäre keine Einbahnstrasse weiterlesen
Verfassungsfeindliche Aktivitäten im Bundeshaus – Bundeskanzlerin mit eigener Agenda
Dass die Sache mit der geheimen Arbeitsgruppe, die Vorschläge für tiefgreifende politische Reformen erarbeiten sollte, aufgeflogen ist, zeugt von einem luziden Moment in der schweizerischen Journalistenszene. Ganz ungestört kann die „Classe politique“ also nicht wursteln. Nicht gelöst ist damit allerdings das eklatante Führungsproblem des Bundesrats.
Beginnen wir mit dem Positiven! Die Schweizer Bundeskanzlerin Corina Casanova verfügt ohne Zweifel über mehr politischen Gestaltungswillen als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Dumme ist allerdings: Frau Casanovas Gestaltungswille und ihre Meinung in politischen Belangen sind bei ihrem Job so irrelevant, wie ihre Geschicklichkeit beim Jassen. In ihrer Funktion hat sie umzusetzen, was andere entscheiden. Von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt und daher auch wieder abwählbar hat ein Schweizer Bundeskanzler „die allgemeine Stabsstelle des Bundesrates“ (Art. 179 BV) zu leiten. Frau Casanova hätte also denen zu dienen, die ihrerseits der Bundesversammlung und dem Schweizer Volk zu dienen haben. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein diskreter Zudiener
Ein guter Bundeskanzler verfolgt keine eigene Agenda. Stattdessen unternimmt er alles, damit seine Chefs ihre Arbeit erledigen können. Er hat die Führung zu unterstützen, nicht selber zu führen. Und wenn der Bundeskanzler etwas taugt, bemerkt man in der Öffentlichkeit kaum etwas von ihm. Erst recht sorgt ein Bundeskanzler nicht für Schlagzeilen. Im Grunde gehört er nicht einmal mit auf das offizielle Bundesratsfoto.
Der letzte Vertreter dieser Schule war der Sozialdemokrat Walter Buser. Auf ihn folgte François Couchepin, der vor allem freisinnig war, was ihn offensichtlich alleine schon aus historischen Gründen für das Amt qualifizierte. Immerhin gehörten von den 15 Amtsinhabern seit 1803 elf Personen den Freisinnigen oder den Liberalen an. Zweimal kam die CVP zum Handkuss und je einmal die KVP und die SP. Noch nie bekleidete ein Mitglied der SVP das Amt. Couchepins Nachfolgerin, die ehemalige Parlamentssekretärin Annemarie Huber-Hotz, war nicht nur freisinnig, sondern auch noch eine Frau. Seither ist ein neues Kriterium massgeblich, und selbst eine vollkommen ungeeignete Person, wie Corina Casanova, kann so den Sprung an die Spitze der „allgemeinen Stabsstelle des Bundesrates“ schaffen.
Grössenwahn und Selbstgefälligkeit
Erst kürzlich sorgte Frau Casanova für Schlagzeilen als ruchbar wurde, dass sie auf Kosten des Steuerzahlers in Kalifornien Ferien machte. Zwar versuchte sie, den fünftägigen Trip mittels halbstündigem Gespräch mit Arnold Schwarzenegger als offizielle Mission zu tarnen, doch ist nicht der kleinste Nutzen für jene Schweizerinnen und Schweizer erkennbar, die für die Reisespesen von 40‘000 Franken aufzukommen haben. Sie sei schliesslich „Magistratin“ liess sie, die sie selber im Grunde nur Sprecherin ist, über ihre Sprecherin ausrichten.
So ärgerlich es ist, solches Finanzgebaren ist überall dort anzutreffen, wo nicht geführt und nicht kontrolliert wird. Niemand stellte auch bloss die Frage, was eine Bundesangestellte 10‘000 Kilometer von ihrem Büro genau zu suchen hat. Es wäre am Gesamtbundesrat, hier für Ordnung zu sorgen. Doch Kostenkontrolle war diesen Damen und Herren noch nie ein Anliegen, und vom Parlament ist auch kein Machtwort zu erwarten. So ist Ständeratspräsident Filippo Lombardi im gleichen Spital krank. Mit seinen Reisespesen bricht er sämtliche Rekorde. Als CVP-Politiker stellte er sich in der Tradition von Medici-Papst Leo X, der seine Prunksucht mit dem Ausspruch rechtfertigte: „Nun hat uns Gott ein schönes Amt gegeben. Da wollen wir es auch geniessen.“
Frau Casanova verfolgt eine eigene Agenda
Die Schlagzeilen, für die Frau Casanova in diesen Tagen verantwortlich zeichnet, sind von wesentlich grösserem Gewicht. Hier geht es nicht mehr „nur“ um Geld und ein übersteigertes Ego. Hier geht es um den Versuch, die verfassungsmässige Ordnung unter Umgehung des verfassungsmässigen Weges zu ändern. Die Rechte des Souveräns sollten beschnitten werden, ohne dass dieser zuvor einen entsprechenden Grundsatzentscheid gefällt hätte – also ohne jede demokratische Legitimation. Gemeinhin bezeichnet man eine solche Aktion als Putsch. Und im Land der anderen Bundeskanzlerin würde der Verfassungsschutz aktiv.
Wie die «SonntagsZeitung» öffentlich machte, haben hinter den Kulissen der Schweizer Politik die Vorbereitungen für eine Änderung des politischen Systems begonnen. Eine Geheimgruppe wurde damit beauftragt, Vorschläge für tiefgreifende politische Reformen zu machen. Die eingeschlagene Stossrichtung wiederspricht in mehreren Fällen klaren Volksentscheiden oder Beschlüssen der Bundesversammlung. So etwa die Frage nach einer verbindlichen Vorprüfung von Volksbegehren oder der Offenlegung der Parteifinanzierung. Schon mehrfach verworfen wurde auch das Stimmrecht für Ausländer. Die „Spin Doctors“ verfolgten eine eigene Agenda. Sie taten genau das, wovon der Stammtisch schon lange überzeugt ist: „Die in Bern machen, was sie wollen.“
Ein „Dorftrottel“ in geheimer Mission
Frau Casanova konspiriert gegen die Mehrheit derjenigen, die ihre Kalifornien-Reise berappen mussten. Ein formeller Auftrag von berufener Stelle fehlt. Die Bundeskanzlei wollte die Gruppe ursprünglich gar geheim halten. Mittlerweile hat sie die Namen der Mitglieder allerdings bekannt gegeben. Damit lässt sich die These, es handle sich um eine reine „Denkgruppe“ – denken wird man wohl noch dürfen! – nicht länger aufrechterhalten. Denn niemand würde, wenn es ihm bloss ums Denken geht, dafür Dieter Freiburghaus verpflichten. Der emeritierte Professor ist ein glühender Verfechter eines EU-Beitritts der Schweiz und wird von gleichgesinnten Journalisten gerne als „Europa-Experte“ interviewt. Vor vier Jahren rief er dabei ins Land, die Schweiz verkomme zum „globalen Dorftrottel“, wenn sie sich nicht endlich dem Brüsseler Diktat unterwerfe. Das hatten wir schon alles: Genau darum geht es schon in Schillers „Wilhelm Tell“ im Dialog zwischen Rudenz und Attinghausen: „Es kostete ein einzig leichtes Wort, um augenblicks des Dranges los zu sein, und einen gnäd’gen Kaiser zu gewinnen.“ Genau das war Pilet-Golaz’s Argumentation in seiner berüchtigten Anpasserrede, und genau das war der Inhalt der „Eingabe der 200“. Das Wort vom „Dorftrottel“ fällt auf den Urheber zurück.
Sofern es dort wirklich intellektuell redlich zu und her gehen soll, ist jemand wie Prof. Freiburghaus eine absolute Fehlbesetzung für eine „Denkgruppe“. Auch würde, wer wirklich denken kann, und über eine gewisse Lebenserfahrung verfügt, nicht eine Sekunde glauben, dass eine Geheimgruppe im Bund auch geheim bleibt.
Die Berufung des EU-Turbos macht nur politisch Sinn. Sie passt perfekt zur nie widerrufenen Aussage des ehemaligen Bundesrats Josef Deiss, wonach der EU-Beitritt für Bundesrat und Verwaltung ein in Arbeit befindliches Projekt sei. Es gehe vorderhand darum, so genannte „Beitrittshürden“ – wie die direkte Demokratie! – zu beseitigen. Für die „Beitrittshürde Mehrwertsteuer“ braucht es hingegen keine geheime Arbeitsgruppe mehr. Hier werden mit Prozenten für AHV, SBB usw. längst Fakten geschaffen.
Es braucht Führung!
Entweder weiss Frau Casanova nicht, was ihr Auftrag ist, oder sie nützt, ähnlich wie die Kinder an einer antiautoritären Schule, jeden Freiraum, den ihr das vorgesetzte Gremium gewährt. Das vorgesetzte Gremium ist der Bundesrat. Und zwar der Gesamtbundesrat, wie das Organisationsgesetz für Regierung und Verwaltung (RVOG) klar festhält. Ob es Frau Casanova passt oder nicht: sie untersteht zu gleichen Teilen Bundesrat Ueli Maurer, wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Ob auch beide im gleichen Masse ihren Einfluss geltend machen, ist freilich eine andere Frage.
Verfasst für den Zürcher Boten
So wird Demokratie zur Farce
Die meisten Kommentare im Nachgang der Europawahl offenbaren vor allem geistige Armut. Der Gedanke, dass die Wähler eine Wahl ernst nehmen könnten, erscheint vielen Politikern, Qualitätsjournalisten und anderen „Experten“ als absurd. Sie pflegen lieber ihre abwegigen Theorien.
Anfang der 90er-Jahre besuchte ich im Bezirk Meilen eine der ersten Podiumsveranstaltungen zum EWR-Beitritt. Der Bundesrat behauptete damals noch, eine institutionelle Anbindung an die damalige EG komme nicht in Frage, und die Politiker waren noch dabei, sich zu dem Vertragswerk eine Meinung zu bilden. Um der Veranstaltung gleich zu Beginn Würze zu verleihen, stellte Moderator Peter Stücheli von der NZZ Nationalrat und SVP-Parteipräsident Christoph Blocher folgende Frage: „Der Unternehmer David de Pury hat gesagt, die Zugehörigkeit zum EWR sei für die Schweizer Wirtschaft überlebenswichtig. Herr Blocher, wollen Sie die Wirtschaft ruinieren?“ Tatsächlich war Herr de Pury erst vor Kurzen von der ABB als Co-Präsident und Lobbyist angeheuert worden. Zuvor arbeitete er als Wirtschaftsdiplomat beim Bundesamt für Aussenwirtschaft. Unternehmer Christoph Blocher war darum um eine Antwort nicht verlegen und stellte klar: „Wenn Herr de Pury Unternehmer ist, dann bin ich auch Staatssekretär, schliesslich war ich auch schon im Bundeshaus.“
Mit religiösem Eifer für die EU
Diese Anekdote kam mir in den Sinn, als ich im Nachgang der Wahl des EU-Parlaments vom vergangenen Sonntag einmal mehr feststellen musste, wie leichtfertig Journalisten mit Etiketten um sich werfen. So wird einer mit der richtigen Gesinnung, wenn er „EU“ richtig buchstabieren kann, flugs zum „Europa-Experten“, und wer hingegen Europa vor der EU schützen will, ebenso rasch zum „Populisten“, „EU-Skeptiker“, „EU-Feind“ oder gar zum Rechtsextremen. Der zwangsgebührenfinanzierte deutsche Staatssender ARD machte aus EU-Skeptikern sogar kurzerhand Demokratie-Skeptiker und verwendete beides synonym. Die Clique der Wohlmeinenden, die selbst für Bombenattentate islamistischer Terroristen noch Worte der Rechtfertigung und Entschuldigung findet, greift zum verbalen Zweihänder, wenn es um die EU geht, der Europa angeblich Frieden zu verdanken hat. „Die EU, das „Friedensprojekt“, ist gut, wer sie kritisiert, muss demnach schlecht sein, muss Krieg wollen“, so lautet das Credo derer, die Andersdenkenden gerne schwarz-weiss-Denken vorwerfen.
Der Experte, er keiner ist
Einer, der von der selbsternannten Qualitätsjournaille gerne als „Experte“ für EU-Fragen beigezogen wird, ist der pensionierte Professor Dieter Freiburghaus, der kaum eine Gelegenheit auslässt, um auf Tages-Anzeiger-Online zu beweisen, dass er vollkommen zu unrecht für einen Experten gehalten wird. Das heisst, für irgendetwas ist er bestimmt Experte. Nur nicht für das, worüber ihn die Journalisten regelmässig befragen. Das Praktische bei ihm ist, dass er immer die gewünschten Antworten liefert. Dafür muss Freiburghaus im Rahmen dieser publizistischen Symbiose nie befürchten, mit einer kritischen Frage konfrontiert zu werden.
Im Zusammenhang mit dem Wahlausgang in Frankreich behauptete Freiburghaus unwidersprochen und ohne Beleg: „In Frankreich war die Bevölkerung bisher offen gegenüber der EU.“ Ein intelligenter und vorbereiteter Journalist hätte an dieser Stelle nachgefasst und darauf hingewiesen, dass Frankreich am 29. Mai 2005 den Verfassungsvertrag der EU verwarf, nachdem es 13 Jahre vorher der berühmten Vertrag von Maastricht mit 51 zu 49 Prozent noch sehr knapp gutgeheissen hatte. Ist es da nicht ganz einfach Blödsinn von einer grundsätzlichen Offenheit sprechen? Müsste man nicht viel mehr eine tiefe Spaltung der Gesellschaft konstatieren? Und dürfte nicht die Missachtung des „Non“ von 2005 durch die so genannten etablierten Parteien nicht wesentlich dazu beigetragen haben, dass es die Franzosen nun mit einer so genannten Protestpartei versuchen wollen? Ja ist es nicht geradezu eine logische Folge und Zeugnis von der Intelligenz der Bevölkerung? Analoges gilt übrigens für Dänemark, das 1992 den Maastricht-Vertrag und 2009 die Einführung des Euro verwarf. Doch, wie gesagt, das sind alles Fragen und Zusammenhänge, auf die ein intelligenter Journalist eingegangen wäre.
Opium für Journalisten
Schweizer Qualitätsjournalisten erkennt man daran, dass sie das eigene Land schlecht reden und suggerieren, wir müssten froh und dankbar sein, wenn sich einer der Hohen Herren zu Brüssel überhaupt dazu herablässt, mit uns zu reden. So auch der Tenor bei Professor Freiburghaus.
Deutsche Qualitätsjournalisten sind hingegen regierungstreuer als die Regierung selber, und wie diese sind sie vom Gedanken beseelt, die Welt müsse am deutschen Wesen genesen. Bemerkenswerterweise sind es gerade diejenigen, die diesen deutschen Hegemonieanspruch infrage stellen, die als „Rechtsaussenpolitiker“ und „Rechtspopulisten“ gebrandmarkt werden. Es gilt als ausgemachte Sache, dass Deutschland in einem Friedensprojekt das Sagen haben muss. Wer könnte schliesslich besser für Frieden sorgen, als derjenige, der den letzten Krieg vom Zaun gerissen hat?
Deutschland weiss, was für die anderen gut ist
Im Stile eines Oberlehrers der Völker zieht Roland Nelles auf Spiegel-Online „Fünf Lehren der Europawahl“. Was mit Artikel 20 des Grundgesetzes seines eigenen Landes gemeint sein könnte, scheint ihm unverständlich. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, ist schliesslich auch eine überaus komplizierte Formulierung für Menschen mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein.
Für den Genossen Nelles lautet darum seine erste Forderung: „Die EU-Freunde dürfen sich von den Populisten jetzt nicht irremachen lassen.“ Das Wichtigste sei jetzt „politische Führung“. Und Weiter: „Nicht weniger, sondern mehr Europa ist die Antwort auf den Angriff der Einfältigen. Die europäische Integration muss vorangetrieben werden.“ Das Ganze gipfelt in der Aufforderung: „Macht etwas draus, schlagt zurück, Europa-Fans!“ In Herrenmenschen-Tradition gibt Nelles auch gleich anderen Ländern die Marschrichtung vor: Frankreich müsse aufhören, in Weltschmerz zu versinken und „sich bei den nächsten Wahlen klar gegen rechts“ positionieren.
Natürlich weiss Nelles auch, was England braucht: Die tapferen EU-Fans dort müssten Unterstützung bekommen. „Sie müssen von der restlichen EU in die Lage versetzt werden, dem eigenen Publikum Erfolge bei den geforderten Reformen der EU-Institutionen vorweisen zu können.“ Welche Erfolge gemeint sein könnten, behält der Qualitätsjournalist für sich. Dafür legt er seine Beweggründe offen. Es ist nicht etwa Altruismus oder gar die Besinnung auf abendländische Wurzeln, die ihn wünschen lassen, England möge der EU erhalten bleiben. Nein, es ist purer Egoismus, das Streben nach Deutscher Hegemonie: „Eine EU ohne Grossbritannien wäre vor allem für Deutschland schlecht, gerade in wirtschaftspolitischen Fragen ticken die Briten eher so wie die Deutschen.“ Und dann kommt ein Satz, der an Arroganz kaum zu überbieten ist und sich mit den hehren Prinzipien einer Wertegemeinschaft nicht vereinbaren lässt: „Oder wollen wir künftig allein mit Italienern und Griechen über die Kunst des ordentlichen Haushaltens diskutieren?“
Einheit ohne Vielfalt
Schliesslich geht Nelles doch noch auf Deutschland ein, das sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen dürfe. Und als hätte es noch eines Beweises für seine undemokratische Gesinnung bedurft, gibt es zum Schluss seines Artikels noch der Hoffnung Ausdruck die „Alternative für Deutschland“ (AfD) möge sich hoffentlich bald in Luft auflösen. – Das ist es also, was man sich unter dem „bunten Europa“ vorzustellen hat, von dem immer dann die Rede ist, wenn gerade keine Wahlen anstehen. Denn die EU in ihrer heutigen Form und Demokratie passen nicht zusammen. Entweder man ist für die EU oder für die Demokratie. Beides geht nicht. Und hiess es früher, etwas fürchten, wie der Teufel das Weihwasser, passt heute besser, „etwas fürchten, wie die EU die Demokratie“.
Kritisch und boshaft sind zweierlei (von TA-Online als “carte blanche” bestellt und dann zensiert)
Die Grundsätze und Richtlinien des schweizerischen Presserats könnten hehrer kaum sein. Da heisst es schon in Artikel 1: Journalisten „halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.“ Anhand einiger Beispiele aus jüngerer Zeit lässt sich leicht darlegen, dass es viele Journalisten mit dieser Wahrheitspflicht nicht sehr genau nehmen. Vielmehr wird deutlich, dass viele eigentlich lieber Politiker wären. Das ist erstaunlich, vor allem bei solchen, die dem Schreibenden regelmässig vorwerfen, er sei ein Möchtegern-Journalist.
Nehmen wir Herrn Städler vom Tages-Anzeiger, der sich von einem Ehepaar in einem klassischen Mobbing-Fall gegen Christoph Mörgeli instrumentalisieren liess. Er musste von Anfang an haargenau wissen, in welcher Absicht ihm vertrauliche Informationen zugespielt wurden. Und dieser Mann fordert nun Transparenz? Niemand könnte sie schneller schaffen als er. Aber es geht um einen verhassten SVP-Nationalrat, und da gelten die Regeln der Fairness nicht.
Viele Journalisten halten sich für kritisch, dabei sind sie bloss boshaft. Ein besonders prächtiges Exemplar dieser Sorte, Christof Moser vom „Sonntag“, unterstelle mir kürzlich, ich würde den wahnsinnigen Schützen von Biel, Peter Hans Kneubühl, gut finden und den Schusswaffengebrauch gegen Polizisten im Dienst als legitimen Widerstand gegen die Staatsgewalt billigen. Wäre es dem Journalisten um die Wahrheit gegangen, hätte er sich von der Absurdität seiner These leicht überzeugen können. Ein Blick auf meine Website oder Rückfragen bei Menschen, die mich kennen, hätten genügt. Offenbar war eine andere Story geplatzt, und so konstruierte er rasch vor Redaktionsschluss eine neue, von der er sich einen Schlag gegen einen SVP-Politiker erhoffte. So etwas hat mit kritischem Journalismus nichts zu tun. Eine solche Person gehört nicht in eine seriöse Redaktion; ebenso wenig der Chefredaktor, Patrik Müller, der solches Treiben zulässt.
Einschränkend zu den oben erwähnten Richtlinien müsste man vielleicht besser sagen, die Öffentlichkeit habe ein Recht, nicht belogen zu werden. Es ist nämlich nicht Pflicht von Journalisten, die öffentliche Neugier zu befriedigen. Jene des öffentlichen Interesses reicht völlig. Ein grosses Problem mit dieser Unterscheidung bekundet Francesco Benini von der NZZ am Sonntag, der es nicht fassen kann, dass ein Schwiegersohn in einer eidgenössischen Vorlage eine andere Meinung hat als sein Schwiegervater. Und ich war dabei, als er fragte, was denn eigentlich die Frau Gemahlin dazu meine. Wie muss ein Hirn beschaffen sein, dem der Gedanke, eine erwachsene Frau könne sich 2013 ohne Vater und Ehemann eine eigene Meinung bilden, frivol erscheint? Und seit wann liegt es im öffentlichen Interesse, zu erfahren, was eine Bürgerin in einer geheimen Abstimmung auf ihren Stimmzettel schreibt? Auch hier interessiert der Sachverhalt nur sehr am Rande. Nur um Zwietracht zu säen, kramte der betreffende Redaktor uralte Geschichten aus der Mottenkiste. Das ist Nährboden für seine „Arbeit“. Und schliesslich ist nächste Woche wieder Sonntag.
Kritisches Denken ist eine Geisteshaltung. Nach Karl Popper zeichnet sich diese dadurch aus, dass sie Wahrheiten nur als vorläufig anerkennt, und darum stets hinterfragt, was gewiss zu sein scheint. Diesen kritischen Rationalismus zu pflegen, wäre vornehmste Aufgabe der Journalisten. Doch leider huldigen viele von ihnen – aus rein politischen Gründen – lieber den Mächtigen der Landesregierung, anstatt diese intellektuell herauszufordern.
Warum kann der Bundesrat handstreichartig den Atomausstieg beschliessen, ohne dafür ein schlüssiges Konzept vorlegen zu müssen? Warum konfrontiert niemand die Regierung mit der lapidaren Feststellung, dass das Bankgeheimnis im Interesse des Kunden und nicht der Bank liegt? Warum muss keiner erklären, warum die direkte Demokratie plötzlich eine Schwäche und keine Stärke unseres Landes mehr sein soll? Fragen gibt es genug. Doch damit wir über die Antworten diskutieren und streiten können, müssen sie erst gestellt werden.
Die geistige Trägheit des medialen Mainstreams hat ein erschreckendes Ausmass angenommen. Obwohl die Richtlinien, die sie sich selber gegeben haben, dazu verpflichten, für die Medienfreiheit zu kämpfen, rührte niemand einen Finger als die EU-Kommission letzte Woche bekannt gab, sie plane eine gross angelegte Intervention in den freien Wettbewerb von Medien und Meinungen – zur Wahrung europäischer Werte. Die politische Absicht verdrängt hier das kritische Denken.
Wer von diesen Ausführungen ausgenommen ist, weiss das. Und wenn sich ein paar Journalisten dennoch zu Unrecht betroffen fühlen sollten, ist das auch nicht weiter schlimm.
